Gefragt: «Seit einem halben Jahr habe ich stärkste Schmerzen wegen eines sogenannten ‹Impingementsyndroms› der linken Schulter», berichtet die 52jährige Frau Wohler, die seit 27 Jahren an einem Typ-1-Diabetes leidet. «Selbst Kortisonspritzen in das Gelenk haben nichts genützt. Könnte es sein, dass die Schulterschmerzen mit dem Diabetes zusammenhängen?»

Geantwortet: Grundsätzlich unterscheidet man zwischen degenerativen und entzündlichen Gelenkserkrankungen.
Ein besonders gutes Beispiel einer degenerativen Gelenkskrankheit ist die Arthrose. Sie tritt vor allem im Lauf des Alterns und nach langer Über- und Fehlbelastung der Gelenke auf. Diabetesbetroffene leiden häufiger an Arthrosen, vor allem wenn sie übergewichtig sind. Meistens sind die Kniegelenke betroffen. Der Diabetes ist aber bei weitem nicht die Hauptursache dafür.
Dies gilt auch für das Impingementsyndrom, von dem Sie betroffen sind, Frau Wohler. Es kann in einem weiteren Sinne ebenfalls den degenerativen Gelenkserkrankungen zugeordnet werden, obwohl noch andere Ursachen dazukommen und die Entstehung sehr vielfältig ist. Aber auch hier ist der Dia­betes bei weitem nicht die Hauptursache.
Impigement SyndromDer Begriff «Impingementsyndrom» kommt übrigens vom englischen Wort «impingement», was Aufprall oder Zusammenstoss bedeutet. In der Medizin wird für diese Beschwerden, die häufig das Schultergelenk betreffen, auch der Begriff «Engpassyndrom» verwendet. Dies beschreibt das zugrundliegende Problem genau: Der Raum zwischen Schulterdach und dem Kopf des Oberarmknochens ist nämlich von Natur aus sehr schmal. Kommt es zu einer zusätzlichen Verengung, vor allem wenn der Arm über den Kopf angehoben wird, werden die Sehne und der dazugehörige Schleimbeutel in dieser Engpassstelle eingeklemmt.
Als Ursachen sind Abnützungserscheinungen an Gelenk und Sehne, eine chronische Entzündung des Schleimbeutels oder eine sogenannte Kalkschulter zu nennen. Der Körper reagiert im betroffenen Bereich (und nur dort!) mit einer Entzündung, was die Beschwerden noch zusätzlich vorantreibt und den Raum weiter einengt.
Ein besonders gutes Beispiel einer entzündlichen Gelenkskrankheit ist die chronische Polyarthritis. Dies ist eine schmerzhafte Entzündung der Gelenke und betrifft den ganzen Körper. Heute wird dafür der Begriff «Rheumatoide Arthritis» verwendet.
Sowohl der Diabetes Typ 1 als auch Typ 2 können mit entzündlichen Rheumaerkrankungen zusammenhängen. Denn auch hier laufen im Körper chronische Entzündungen ab. Bei der Entstehung der rheumatoiden Arthritis spielen die gleichen Entzündungsenzyme eine Rolle, die auch wichtig sind für die Entstehung des Typ-2-Diabetes. Bei Patienten/-innen mit rheumatoider Arthritis muss deshalb auch immer an das Vorliegen eines Typ-2-Diabetes oder gar eines metabolischen Syndroms gedacht werden.
Andere entzündliche Rheumakrankheiten, die bei Typ-2-Diabetes vorliegen, sind zum Beispiel Gicht und Pseudogicht oder die Schultersteife, die sogenannte «frozen shoulder» oder «adhäsive Capsulitis».
Die rheumatoide Arthritis zählt man auch zu den Autoimmunkrankheiten. Das sind Krankheiten, bei denen das körpereigene Immunsystem Abwehr- und Entzündungsstoffe gegen Gewebe aus dem eigenen Körper ins Blut abgeben. Sowohl der Typ-1-Diabetes als auch die rheumatoide Arthritis sind solche Autoimmunkrankheiten. Leute mit Typ-1-Diabetes haben deshalb ein etwa fünffach höheres Risiko für eine sogenannte ccp-positive rheumatoide Arthritis als Nichtdiabetesbetroffene. Es gibt Hinweise, dass gewisse Medikamente (sogenannte Biologica), die gegen die rheumatoide Arthritis wirken, auch den Verlauf des Typ-1-Diabetes günstig beeinflussen könnten.
Umgekehrt können entzündungshemmende Kortisontabletten, die bei dieser Krankheit sehr gut wirksam sind, einen noch nicht ausgebrochenen Typ-2-Diabetes auslösen. Dies wird dann von den betroffenen Patienten/-innen verständlicherweise alleinig auf das Kortison zurückgeführt, was natürlich nicht korrekt ist.
Die Antwort auf Ihre Frage, liebe Frau Wohler, lässt sich demnach so zusammenfassen: Ja, es bestehen zweifellos Zusammenhänge zwischen Diabetes und gewissen rheumatischen Erkrankungen. Sehr viele Menschen mit Rheuma haben aber keinen Diabetes. Gerade in Ihrem Fall ist der Diabetes sicher nicht Hauptursache für das Impingementsyndrom. Ich hoffe, dass Sie Ihre Beschwerden bald in den Griff bekommen werden.

AutorIn: Dr. med. A. Spillmann