Blutzucker-Kontrolle

Blutzucker (BZ)-Messungen gehören für die meis­ten Menschen mit Diabetes zum Alltag. Wie oft und wann gemessen werden soll, ist jedoch von Person zu Person sehr verschieden. Für bestimmte Fälle kommen auch neue Messmethoden durch Glukosesensoren in Betracht. Dieser Artikel soll dazu eine Übersicht geben.

Kapilläre Blutzucker-Messungen
Wer neu an Diabetes mellitus erkrankt oder schon länger damit lebt, wird in der Regel die BZ-Selbstmessung erlernen. Was spricht dafür? Aus Sicht der Betroffenen ist es ein Baustein des Selbst-Managements. Es gibt eine unmittelbare Rückmeldung über den Einfluss bestimmter Mahlzeiten und Aktivitäten. Und nicht zuletzt ist es aus rechtlicher Sicht für viele (nicht für alle) Menschen mit Diabetes Voraussetzung, weiter Autofahren zu können. Aus ärztlicher Sicht schafft die BZ-Selbstmessung häufig ein Bewusstsein für die Erkrankung und führt nicht selten allein durch eine Intensivierung – d. h. häufigeres Messen – schon zu einer besseren Diabetes-Einstellung. Zudem können informierte Patienten eine Veränderung der BZ-Kontrolle frühzeitig feststellen, bevor es zu einem Anstieg des HbA1c kommen muss.
Das bedeutet nicht, dass jeder Patient mit Diabetes täglich den Blutzucker messen soll. Es gibt dazu keine einheitlichen Empfehlungen. Die Häufigkeit der BZ-Messungen hängt stark vom Risiko für Unterzuckerungen (Hypoglykämien) ab. Dies gilt im besonderen Masse für eine Insulintherapie, allerdings nicht für alle Insuline gleich. Wer lediglich ein langwirksames (Basis-)Insulin einmal täglich spritzt, hat in der Regel ein tiefes Hypoglykämierisiko. Wenn kurzwirksames (Essens- oder Bolus-)Insulin mehrmals täglich appliziert wird, ist das Hypoglykämierisiko höher. Insgesamt sind aber zahlreiche Faktoren mitbeteiligt und das Risiko ist sehr individuell. Eine pragmatische Empfehlung gibt Tabelle 1. Generell kann man festhalten, dass eine aufwendigere Behandlung mehr BZ-Messungen erfordert und bei ungewohnt hohen oder stark schwankenden Werten mehr Messungen nötig sind.

Empfehlungen für Frequenz der Blutzucker-Selbstmessung - Tabelle 1

  • Bei Behandlung ohne Risiko* für Unterzuckerungen  –  gelegentliches Tagesprofil (z.B. 1-mal alle zwei Wochen)
  • bei Behandlung mit Risiko für Unterzuckerungen  –  etwas häufigeres Tagesprofil
  • bei Einsatz von Langzeitinsulin (+/- Tabletten)  –  täglich Nüchtern-BZ, zusätzlich 1-mal pro Woche Tagesprofil
    (oder 2- bis 3-mal pro Woche zusätzlich Messung v. d. Nacht)
  • bei intensiviertem Insulinschema  –  täglich Tagesprofil (2-) 3- bis 4 Messungen

*Ohne Hypoglykämie-Risiko sind Behandlungen mit Metformin, DPP-4-Hemmern, GLP-1-Analoga, SGLT-2-Hemmern, Pioglitazon und Acarbose.

Kann man auch zu viel messen?
Gelegentlich werden trotz stabiler Stoffwechselkontrolle 10 oder mehr BZ-Messungen pro Tag gemacht. Dahinter steckt meist eine Verunsicherung, häufig auch eine Angst vor Hypoglykämien.
Relevanter ist die Frage: Kann man zum falschen Zeitpunkt messen? Oder: Wann ist der richtige Moment für eine BZ-Messung? Dieser Aspekt ist vor allem für Menschen von Bedeutung, die keine Insulintherapie durchführen, deren Hypoglykämie-Risiko in der Regel tief ist. In solchen Fällen ist z. B. die Aussagekraft einer täglichen Messung am Morgen sehr begrenzt, insbesondere wenn die Resultate immer ähnlich sind. Wertvoller sind Messungen zu verschiedenen Tageszeiten. Eine gute Lösung sind sogenannnte «Tagesprofile», also 3 bis 4 Messungen an einem Tag, jeweils vor den (Haupt)Mahlzeiten sowie vor der Bettruhe. Ein solches Tagesprofil z. B. einmal pro Woche – oder je nach Situation zweimal pro Woche oder auch nur einmal pro Monat – bietet viel Information, sofern es sich um einen repräsentativen Tag handelt. Eine Alternative sind sogenannte «gepaarte» Messungen, etwa vor und 2 bis 3 Stunden nach einer Mahlzeit oder vor dem Schlafen und am nächsten Morgen. Hingegen sind BZ-Messungen kurz nach einer Mahlzeit weniger sinnvoll, bisweilen sogar irreführend, ausser bei Anzeichen einer Hypoglykämie.
Und schliesslich ist es nicht angebracht, einen missliebigen (also unerwartet hohen) Blutzucker-Wert mehrfach zu kontrollieren, um ihn zu «relativieren». BZ-Geräte sind nicht perfekt genau, aber genau genug. Bei wiederholten Messungen nacheinander werden somit leicht unterschiedliche Werte resultieren, was auch die normalen Schwankungen des Blutzuckers illustriert. Eine unmittelbare Kontrolle eines BZ-Wertes ist nur angezeigt, wenn dieser völlig unplausibel ist.

Blutzuckermessungen bei Insulintherapie
Bei einer Insulintherapie sind tägliche Messungen eigentlich «Pflicht». Hier hat auch die morgendliche Nüchtern-Messung ihren Stellenwert, da diese die Insulindosis am besten reflektiert, v. a. zusammen mit einem BZ-Wert vor der Bettruhe. Der BZ-Verlauf über die Nacht, unbeeinflusst durch Essen und Bewegung, kann sehr aufschlussreich sein und ist wesentlich für die Dosis eines Basisinsulins – bzw. auch für den Entscheid, ob der Beginn einer solchen Insulintherapie sinnvoll ist. Dies ist typischerweise dann der Fall, wenn der Blutzucker über die Nacht ansteigt. Da eine Beurteilung sich nie nur auf zwei Werte stützen kann, sind wiederholte Messwerte-Paare (vor dem Schlafen und am nächsten Morgen) oder Tagesprofile über einen Zeitraum von mehreren Wochen bzw. Monaten für den behandelnden Arzt eine grosse Hilfe.

Müssen die gemessenen Werte dokumentiert werden?
Früher war der Eintrag in ein BZ-Kontrollheft die einzige Möglichkeit zur Dokumentation. Mittlerweile gibt es gute Alternativen dazu. Die BZ-Geräte können elektronisch analysiert werden. Dies steht aber in erster Linie spezialisierten Diabetes-Praxen/-Ambulatorien zur Verfügung. Smartphone-Apps stellen eine zeitgemässe Ergänzung dar, die Akzeptanz ist unterschiedlich, die Praktikabilität bzw. Übersicht auch. Somit hat das konventionelle BZ-Büchlein in meinen Augen durchaus weiter seinen Stellenwert und bietet für die Betroffenen eine gute Übersicht, wann Messungen erfolgt sind und welche Einflüsse zu welchem Verlauf beigetragen haben. Unabhängig davon, welche Methode der Dokumentation gewählt wird: Die Resultate sollten zum Arzt-Besuch mitgenommen – und dann vom Arzt auch angeschaut werden. Nur so kann man das Potenzial ausschöpfen, das die Selbstmessungen bieten.
Abschliessend sei bemerkt, dass die Krankenkassen bei nicht insulinpflichtigen Diabetikern max. 400 BZ-Teststreifen jährlich bezahlen müssen. Es gilt also, diese vernünftig über ein Jahr zu verteilen, was eine lösbare Aufgabe ist. Sobald eine Insulintherapie benötigt wird, gilt die Beschränkung der BZ-Teststreifen nicht mehr.

BZ Kontrolle Alle Geraete

 

Blutzucker-Gerätelisten 2018

Glukosesensoren
Bei der kontinuierlichen Glukosemessung haben die letzten Jahre eine Reihe von Innovationen gebracht. Die Technik wird immer besser und alltagstauglicher, bislang aber noch nicht billiger. Gemeinsam ist allen Sensoren, dass sie den Gewebezucker messen, nicht den Blutzucker. Dieser Unterschied muss von den Nutzern – d. h. Patienten und Ärzten – verstanden werden. Es kommt weniger auf den Absolutwert an als auf den Trend.
Der Gewebezucker ist dem Blutzucker grundsätzlich sehr nah, er ändert sich aber mit einer gewissen Verzögerung. Je schneller eine BZ-Änderung eintritt, umso mehr «hinkt» der Gewebezucker hinterher. Dieses Verständnis ist wichtig, um die Grenzen der Sensor-Technologie zu realisieren. Es gilt, Situationen zu erkennen, in denen man dem Sensor nicht «trauen» darf, sondern eine zusätzliche kapilläre BZ-Messung durchführen sollte: z. B. wenn der angezeigte Wert nicht plausibel ist und/oder mit den körperlichen Symptomen nicht übereinstimmt.
Der mittlerweile verbreitetste Sensor ist der FreeStyle Libre der Firma Abbott. Die Messung des Gewebezuckers findet kontinuierlich statt, die Übertragung der gemessenen Werte auf den Empfänger aber nicht. Die Daten müssen vom Sensorträger aktiv geholt werden. Diesen Schritt nennt die Firma «scannen», die gesamte Technologie «Flash Glukose Messung». Dieses Scannen sollte sinnvollerweise mehrmals täglich erfolgen, um überhaupt einen Nutzen aus der kontinuierlichen Messung ziehen zu können. Kapilläre Messungen sind grundsätzlich nicht nötig, werden vom Hersteller auch nicht verlangt zur Kalibrierung des Sensors.
Es gilt aber die oben genannte Einschränkung. Wer systematisch Sensor- und kapilläre Werte vergleicht, wird Unterschiede feststellen, zum Teil erhebliche. Einen Teil dieser Unterschiede kann man durch die Trendangabe beim Sensor (Pfeil in der Anzeige des Lesegeräts, vgl. Abb. “Übersichtstabelle der in der Schweiz erhältlichen Glukosesensoren-Systeme”) ausgleichen. Es gibt Nutzer, die solche Unterschiede als zu grosse Ungenauigkeit wahrnehmen und deshalb mit diesem Sensor nicht zufrieden sein werden.

BZ-Messgeraete Uebersicht CGM 1

Uebersichtstabelle Der In Der Schweiz Erhaeltlichen Glukosesensoren Systeme

Die Mehrzahl der Menschen, die FreeStyle Libre einsetzen, realisiert die Unterschiede aber nicht und profitiert vom «Mehrwert» der Sensordaten und dem Wegfall der kapillären Messungen. So fokussiert die Firma Abbott auch die Werbung auf die Vermeidung von konventionellen BZ-Messungen («warum stechen, wenn man scannen kann»), richtet sich also an Menschen mit Diabetes, die mehrmals täglich Blutzucker messen müssen. Dies gilt insbesondere für Diabetiker mit intensivierter Insulintherapie, die also nicht nur Basisinsulin, sondern auch kurzwirksames Bolusinsulin zu den Mahlzeiten spritzen müssen.
Die Dosis dieses Bolusinsulins richtet sich bekanntlich nach dem jeweils gemessenen BZ-Wert, dem Kohlenhydratgehalt der Mahlzeit und der körperlichen Aktivität. Entsprechend ist die Vergütung dieser FreeStyle Libre Sensoren durch die Krankenkassen eingeschränkt. Sie werden nur Menschen mit einer intensivierten Insulintherapie bezahlt, limitiert auf 27 Sensoren im Jahr, eine Tragedauer von 14 Tagen pro Sensor vorausgesetzt. Die Verordnung dürfen nur Fachärzte für Diabetologie ausstellen. Diese Voraussetzungen werden von den Krankenkassen penibel geprüft, es gibt praktisch immer Nachfragen. Die Kosten liegen bei etwa CHF 1 700.– im Jahr (bei CHF 65.– pro Sensor) und damit in einem ähnlichen Bereich wie bei vier kapillären BZ-Messungen pro Tag.
Die Bestellung der Sensoren war anfangs nur über die Firma Abbott möglich (per Internet oder Telefon), was für einige Patienten eine Hürde darstellt. Inzwischen ist es über einige regionalen Diabetesgesellschaften möglich, auch über einzelne Apotheken, wobei der Preis beachtet werden muss.
Die anderen verfügbaren Sensoren der Firmen Dexcom, Medtronic und Roche funktionieren im Grundsatz nach demselben Prinzip, also der Messung des Gewebezuckers, übertragen die Daten aber kontinuierlich an einen Empfänger. Die Information wird also automatisch übertragen, man muss sie nicht aktiv einholen, kann sich aber auch schlecht dagegen wehren. Damit verbunden ist ein Alarmsystem, das den Sensorträger bei Überschreiten programmierter Grenzwerte informiert. Das ist der wesentliche Unterschied zur oben genannten Flash Glukose Messung. Die Alarmfunktion bietet Sicherheit, v. a. in Hinblick auf Hypoglykämien, aber auch ständige Präsenz des Diabetes, was etliche Betroffene nicht schätzen. Es profitieren am meisten Patienten mit einem Hypoglykämie-Problem, also sehr häufigen und/oder unbemerkten Hypoglykämien bzw. einem insgesamt instabilen Diabetes, auch Menschen mit einem sehr aktiven Lebensstil und damit stark wechselnden körperlichen Belastungen.
Es liegt auf der Hand, dass diese Sensoren primär von Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 eingesetzt werden, auch wenn dies nicht explizite Voraussetzung ist. Gemeinsam ist allen diesen Sensoren auch die Notwendigkeit einer zweimal täglichen Kalibrierung durch eine kapilläre BZ-Messung. Die Kosten sind hoch. Sie betragen über CHF 5 000.– im Jahr. Es ist immer eine Kostengutsprache der Krankenkasse erforderlich, die an bestimmte Bedingungen geknüpft ist.

Worin unterscheiden sich die Sensoren mit Alarmfunktion?
Von der Firma Dexcom gibt es zwei Geräte: Dexcom G4 und Dexcom G5, für letzteren kann als Empfänger ein Smartphone eingesetzt werden. Die Sensoren haben offiziell eine Tragedauer von einer Woche, dann muss ein neuer Sensor gesetzt werden.
Der Enlite-Sensor von Medtronic kann als einziger mit einer Insulinpumpe «kommunizieren», wodurch sogar eine automatische Abschaltung der Insulinzufuhr bei drohender Hypoglykämie möglich ist («sensorunterstützte Pumpentherapie»). Der Sensor hält sechs Tage, ist auch ohne Insulinpumpe verfügbar und hat als Empfänger ebenfalls ein Smartphone.
Als jüngster Anbieter hat die Firma Roche den Langzeitsensor Eversense lanciert. Diese Sensoren werden unter die Haut am Oberarm implantiert und verbleiben dort drei Monate, zukünftig sogar bis zu sechs Monate. Die Implantation ist ein kleiner Eingriff, der in lokaler Betäubung vom Diabetologen durchgeführt wird. Zur Datenübertragung muss ein sog. Transmitter auf der Haut über dem implantierten Sensor befestigt werden, als Empfänger dient wiederum das Smartphone. Die Auswertung der Daten geschieht über verschiedene Programme, die Speicherung ist zunehmend «cloud-basiert». Für den Anwender ist das weniger ein Problem als für den betreuenden Diabetologen, der in seiner Sprechstunde mit immer mehr Programmen umgehen muss.
Insgesamt werden Glukosesensoren in naher Zukunft sicher noch mehr Verbreitung finden, bleiben aber reserviert für eine Minderheit der Menschen mit Diabetes, gebunden an eine intensivierte Insulintherapie und damit ein höheres Hypoglykämie-Risiko. Nicht alle akzeptieren die Technik in gleichem Masse. Für viele ist auch der Fremdkörper auf der Haut ein Hindernis. Deshalb wird die konventionelle kapilläre Blutzucker-Messung ihren Stellenwert auch längerfristig behalten.

Kolumne: Diabetes na und?! “Sensorstress”

AutorIn: Dr. med. Tilman Drescher, Oberarzt Endokrino­logie/Diabetologie, Kantonsspital St. Gallen