Den anderen Kindern in der Schule Diabetes zu erklären, ist wirklich nicht einfach! Als Hilfsmittel bei der Sensibilisierung für Diabetes und gegen Stigmatisierung entwickelte eine Pflegefachfrau ein originelles Holztheater. Inspiriert wurde sie vom japanischen Kamishibaï.

Klopf, klopf. Ein Mädchen klopft auf den Tisch und gebietet dann leise und bestimmt: «Holzkoffer, öffne dich!» Mit diesem Zauberspruch öffnet sich das kleine Theater auf dem schwarzen Tischtuch. Das Mädchen setzt sich zu den anderen. Wo gerade noch helle Kinderstimmen durch den abgedunkelten Raum hallten, ist es jetzt ganz still: Alle Augen sind auf das Kamishibaï gerichtet. Zwei Scheinwerfer beleuchten die Szene.

Zwischen den roten Bühnenvorhängen sieht man Lisa und Théo hervortreten. Théo wundert sich wirklich über Lisa. Ständig hat sie Durst, gähnt und schläft sogar in der Schule ein! Im Turnen verschwindet sie immer wieder Richtung Toilette. Manchmal kommt sie während mehreren Tagen nicht in die Schule. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sind ganz bei der Sache, ab und zu sind Zwischenrufe zu hören. Nun treten die Zuckerwürfel auf. Ratlos suchen sie den Weg in den Menschenkörper. Sie bleiben im Blut eingeschlossen, bis ihnen lächelnde Schlüsselchen die Türen öffnen.

Erzählt wird diese Geschichte von Candide De Carvalho, einer Pflegefachfrau für pädiatrische Diabetologie. Gut versteckt hinter dem Kamishibaï blättert sie Seite um Seite der Bildtafeln mit Spiralbindung um. Nach der Vorstellung kommt sie mit den Kindern ins Gespräch. «Was habt ihr alles verstanden?» «Also … dass Lisa Diabetes hat, ist Théo egal, sie kann weiterhin seine Freundin sein», antwortet ein Junge. «Wenn ihr mit einem diabeteskranken Kind spielt, könntet ihr euch anstecken?» «Neeein!», ruft es aus dem Publikum. Auch die Rolle des Insulins ist ein Thema, denn eines der Kinder hat Diabetes. «Dürft ihr mit ihm das Essen tauschen?» «Neeein!» Die Kinder lernen auch, dass sie eine erwachsene Person rufen müssen, wenn es dem diabeteskranken Kind in der Pause nicht gut geht.

Wir sind in Lausanne in einer ausserschulischen Betreuung. Etwa 20 Kinder zwischen vier und zehn Jahren sind da, auch Kinder mit besonderen Bedürfnissen (Autismus u. a.). Es gilt, auf den Rhythmus von jedem einzelnen zu achten, erzählt Candide De Carvalho. Hier zeigt sich eine grosse Stärke des Minitheaters: Es lässt einen die Zeit vergessen und fesselt die Aufmerksamkeit. Das realisierte Candide De Carvalho, als ihr Sohn zu einer Kamishibaï-Vorstellung in der Bibliothek eingeladen war. Sie war begeistert: Alle Kinder waren höchst konzentriert, sogar ihr Sohn, damals knapp zweijährig und normalerweise ständig in Bewegung.

Wissen führt zu Verständnis

Das Holztheater wurde so lange getestet und verbessert, bis es gross genug, aber nicht zu schwer und damit praktisch zu verwenden war. Inzwischen wird es in einer Werkstatt in der Region nach Mass gebaut, die Bilder entwirft eine Illustratorin. Um sicher zu sein, dass die Inhalte den internationalen Empfehlungen entsprechen, liess Candide De Carvalho sie von Spezialistinnen und Spezialisten überprüfen. «Am Anfang dachte ich noch gar nicht so weit! Ziel war einfach, meine Arbeit um ein Werkzeug zu erweitern. Als ich das Kamishibaï Kolleginnen und Kollegen zeigte, waren sie sprachlos.» Da beschloss Candide De Carvalho, es anderen Fachpersonen zur Verfügung zu stellen.

Das Projekt entstand in Partnerschaft mit der Abteilung für Diabetologie, Endokrinologie und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen des CHUV Lausanne und mit Unterstützung der Genfer Stiftung «Vivre avec le diabète de type 1». Seine Originalität und Wirksamkeit wurde mit drei Preisen ausgezeichnet. Der pädagogische Koffer mit zwei Bildergeschichten (auch in deutscher Sprache) kostet 189 Franken, jede zusätzliche Geschichte 30 Franken. Beides kann über die französische Website www.lamalletteeducative.com bestellt werden. Mehrere Diabetesvereine der Westschweiz stellen ihr Kamishibaï ihren Mitgliedern zur Verfügung oder setzen es selbst bei Veranstaltungen ein.