Mann bindet sich Rennschuhe

Häufig, wenn ich von meinen sportlichen Aktivitäten im Zusammenhang mit meinem Diabetes erzähle, kommt die Frage: «Hast Du denn immer alles im Griff? Wie schaffst Du das bloss?».
Auch in meinem letzten Bericht im «d-journal» Nr. 226/14 schrieb ich von diversen, positiven Leistungen. Man erzählt schliesslich eher ungern, dass nicht immer alles so optimal läuft, wie man es gerne hätte …

Auch ich bin Blutzuckerschwankungen unterworfen, einmal stärker, einmal weniger. Doch sind die Schwankungen in den letzten Jahren merkbar weniger geworden.
Wenn ich einen hohen Blutzucker messe, versuche ich immer, herauszufinden warum dieser erhöht war und warum nicht. Die Motivation dazu liegt bei mir natürlich im Sport. Es nützt ja nichts, stundenlang auf ein Ziel hin zu trainieren, aber den Blutzucker schlecht eingestellt zu haben. Denn eine schlechte Einstellung limitiert die Leis­tungsfähigkeit.

Ab an den Biennathlon
Aber ich möchte Euch doch auch einmal ein etwas schlechteres Beispiel erzählen: Der Biennathlon ist ein sogenannter «Multisportanlass» rund um Biel, bei welchem man 15 km auf den Inlines, 1,5 km schwimmend, etwa 28 km auf dem Mountainbike und 10 km zu Fuss zurücklegen soll. Man kann alles in einem 4er-Team als Staffel absolvieren, sich die Strecken zu zweit aufteilen oder als Single-Startender alle Disziplinen absolvieren.
In dem Jahr, von dem ich erzähle, hatte ich mich als Single angemeldet. Schon die Packerei braucht einiges an Zeit und Aufwand. Vor allem, wenn meine Freundin auch als Single startet, dann braucht es eine gute Übersicht. Darum waren wir froh, als wir im Auto sassen und losfahren wollten. Doch halt, ich habe nur ein Blutzuckermessgerät eingepackt, ich hole sicherheitshalber noch ein zweites. Nochmals rasch hochrennen, ein Ersatzgerät schnappen und los geht’s. Da wir sowieso eher knapp sind, eilt es etwas. Dass in dem Stress der Blutzucker sicher etwas steigt, wäre ja logisch.

Am Biennathlon
In Biel angekommen ist unser erstes Ziel: Startnummern abholen. Man trifft da Jemanden, den man kennt, da ein vertrautes Gesicht, und Schwupps ist viel Zeit vergangen. Dann geht’s ab in die Stadt: Mittagessen einkaufen. Leicht verdaulich soll es sein, noch eine schöne Ladung Kohlenhydrate beinhalten, aber bei sonnigem Wetter dann doch lieber etwas Kaltes sein. Selbstverständlich habe ich das Essen grob mit Insulin abgedeckt, aber dann geht es bald zurück zum Auto. Nun müssen wir die Mountainbikes ausladen und in die Wechselzone transportieren, da noch mit Jemandem fachsimpeln, Neoprenanzug und Schwimmsachen parat machen, Laufausrüstung platzieren, genügend Nahrung und das Diabetesmaterial an seinen Ort verstauen …
Die Nervosität steigt und mit ihr der Blutzucker (den ich wohl vor etwa 4 Stunden das letzte Mal gemessen habe) – 16,2 mmol/l und das etwa 70 Minuten vor dem Start, super! Klar, ich korrigiere, aber doch nicht zu viel, um eine Unterzuckerung zu vermeiden. Und gleichzeitig reduziere ich die Basalrate der Pumpe, damit ich beim Start nicht mehr zu viel Insulin im Körper habe.
20 Minuten später der nächs­te Test, 18,5, also nochmals gestiegen. Was nun? Soll ich warten und hoffen? Oder doch noch einmal korrigieren? Ich entscheide mich, noch eine halbe Einheit zu spritzen, mehr «symbolisch». Nun folgt eine kurze Runde Warmlaufen in den Laufschuhen, die Messung danach zeigt 17,8, also leicht sinkend. Eine Einlaufrunde auf den Inlines – letzte Messung, 12,6 mmol/l, sicherheitshalber esse ich noch etwas (Weissbrot geht immer), die Pumpe läuft schon länger nur noch mit 10 %. Sicherheitshalber nehme ich das Messgerät heute ins Trikot, geplant hatte ich, das Gerät erst beim Biken mitzunehmen, da die Inlinestrecke nur kurz ist.

Los geht’s
Kurz darauf erfolgt der Startschuss, ich komme gut weg und meistere die erste Disziplin problemlos, Inlineskating ist auch meine stärkste Disziplin. Blutzuckermessen in der Wechselzone – 3,6 mmol, knappe 30 Minuten seit der letzten Messung sind vergangen und ich bin um 9 mmol gesunken! OK, als erstes nun Traubenzucker plus etwas Sportler-Powergel, ein Biberli und noch ein Stück eines Riegels essen, gleichzeitig die Pumpe abhängen und den Neopren anziehen. Zum Glück darf ich meiner Freundin (Wechselplatz gleich daneben) beim Anziehen ihres Neoprens helfen. So hat mein Zucker mehr Zeit, um noch etwas anzusteigen.
Zum Schwimmen stecke ich mir immer zugeschweisste Traubenzucker oder Zuckergel unter den Neoprenanzug, so könnte ich notfalls bei einer Unterzuckerung reagieren. Bevor ich ins Wasser gehe, esse ich noch einmal etwas Riegel, spüle den mit Isostar runter, und dann geht’s los. Ich überlege zwar, ob ich nicht vernünftiger aufhören sollte, hoffe aber, dass die zugeführten Kohlenhydrate ausreichen.
Das Schwimmen klappt wieder ohne Probleme, ich bin erleichtert und messe einen Wert von 5,1. Ich ziehe den Neoprenanzug aus, montiere die Pumpe wieder (ich lasse sie aber noch auf 0 %), ziehe die Velo­kleider an und los geht’s. Zuerst fahre ich eine ganze Weile bergauf, mein Blutzucker sinkt schon wieder. Ich habe das Gefühl, ich sei nur noch am essen, und trotzdem messe ich einen Wert von 3,2 mmol/l. Gel, Riegel, isotonisches Getränk – irgendwann steigt der Wert auf 6,5, und ich starte die Pumpe wieder. Wie meistens an Wettkämpfen läuft sie jetzt auf 10 % – ich erhalte also nun 10 % meiner üblichen Basalrate. Langsam beginnt sich die Situation zu stabilisieren, ich fühle mich wieder leistungsfähiger und auch die Werte bleiben stabil um 6,5 mmol/l.
Die erste Hälfte der Strecke ist mehrheitlich ansteigend, auf dem zweiten Teil geht es über anspruchsvolle Trails wieder runter. Da messe ich den Zucker nicht mehr, nehme aber regelmässig einen Schluck isotonisches Getränk. Beim nächsten Wechsel bin ich deutlich schneller, verliere aber auch da immer mehr Zeit als meine Konkurrenten – Verpflegung, Messgerät und Wasser nehme ich mit auf die Laufstrecke. Die 10 km verlaufen dann zufriedenstellend. Ich weiss zwar, dass ich nach solchen Blutzuckerturbulenzen nicht gleich leistungsfähig bin wie sonst, das gute Gefühl im Ziel stellt sich aber trotzdem ein! Schliesslich kämpfe ich nicht um Podestplätze sondern bin froh, wenn ich solche Herausforderungen meistern kann. Und der Biennathlon ist meistens eine Standortbestimmung für nächste Wettkämpfe.
Ich probiere nun, den Blutzucker jeweils vor dem Start nicht mehr aus den Augen zu lassen und viel häufiger zu messen, um solche Turbulenzen während der nervösen Phase zu vermeiden. Bei zukünftigen Wettkämpfen werde ich auch einen konti­nuierlichen Glukosesensor einsetzen, der sollte mich ja dann zum Glück vor solchen Anstiegen warnen.

AutorIn: Martin Ruegge, dipl. Ernährungsberater HF