Liegender Salzstreuer

Ein Freund von mir beginnt nicht mit dem Essen, bevor er grosszügig den Salzstreuer benutzt hat, was immer auch auf seinem Teller liegt. Als Arzt habe ich mich getraut, ihn einmal darauf anzusprechen. Zu viel Salz kann der Gesundheit schaden, und unser oft übermässiger Salzverzehr ist ja nicht eine Notwendigkeit, sondern in der Regel eine pure Gewohnheit. Mein ca. 60-jähriger Freund erklärte mir, dass er keinerlei gesundheitliche Probleme habe. Insbesondere sei sein Blutdruck völlig normal. In seiner ganzen Familie habe nie jemand an hohem Blutdruck gelitten. Offenbar ist man in seiner Familie nicht salzempfindlich. Selbstverständlich habe ich meine «Gesundheitserziehung» bei ihm in der Folge abgebrochen.

Für viele Leute ist die Salzzufuhr allerdings von Bedeutung. Gemäss einer Statistik der WHO (Weltgesundheitsorganisation) ist der hohe Blutdruck – Fachleute sprechen von der «Hypertonie» – zurzeit auf Rang 14 der wichtigsten gesundheitlichen Probleme; und er schickt sich an, bis ins Jahr 2030 auf den 8. Platz vorzurücken. Dies – nota bene – trotz weltweit immer häufigerem Einsatz von Medikamenten gegen den hohen Blutdruck. Unsere Lebensweise fördert also das Auftreten einer Hypertonie. Und dabei spielt die hohe Salzzufuhr eine zentrale Rolle.

Grundlegendes zum Salz
Kochsalz besteht aus den Elementen Natrium und Chlorid (NaCl). In unserem Organismus hat es insgesamt 150 – 300 Gramm davon. Pro Tag verlieren wir über den Schweiss, den Urin und den Stuhl 1 – 3 Gramm Salz. Dieses muss wieder ersetzt werden. 1 Gramm Natriumchlorid entspricht 17,1 mmol bzw. 393,4 Milligramm Natrium.
Der tägliche Salzkonsum liegt in vielen Ländern bei 10 – 15 Gramm NaCl, in der Schweiz essen wir 8 – 10 g Kochsalz. Zum Vergleich: Vor 5 000 Jahren haben unsere Vorfahren vermutlich weniger als 0,5 Gramm Kochsalz zu sich genommen. Von zahlreichen Fachgesellschaften wird eine Salzzufuhr von 4 – 6 Gramm pro Tag empfohlen.
Das Kochsalz ist zusammen mit anderen Natrium-Salzen massgeblich beteiligt an der Regulation des Flüssigkeitshaushaltes. Zu viel an Salz heisst in der Regel auch zu viel an Wasser. Der Körper ist «aufgeschwemmt»; es treten sogenannte Ödeme auf.
Zu wenig Salz bedeutet ein «Austrocknen» des Körpers. Blut- und Gewebedruck sinken, was zu Schwächeanfällen führen kann. Ein echter Salzmangel ist allerdings selten, da ein gesunder Organismus sich gut gegen Salz- bzw. Natriumverlust schützen kann. Wesentlich kritischer ist indes die Kontrolle eines erhöhten Salzkonsums. Das Gleichgewicht kann nicht immer wiederhergestellt werden über eine vermehrte Ausscheidung von NaCl. Der Körper bleibt dann chronisch etwas überwässert. Dies ist ein wichtiger Grund dafür, dass sich ein erhöhter Blutdruck einstellen kann. Die Hypertonie ist die wichtigste Ursache kardiovaskulärer Erkrankungen. Sie ist verantwortlich für über 60 % der Hirnschläge und über 50 % der Erkrankungen der Herzkranzarterien (Koronararterien).

Salzempfindlichkeit
Die «Salzempfindlichkeit» ist, wie eingangs angedeutet, individuell sehr verschieden. Mein Freund wird wegen seines hohen Kochsalzkonsums nie einen hohen Blutdruck entwickeln. Erwiesene ­Risikofaktoren für eine erhöhte Natrium-Sensitivität – und damit das Auftreten von hohem Blutdruck – sind: zunehmendes Alter; Übergewicht; ein bereits bestehender hoher Blutdruck; gleichzeitiges Vorhandensein eines Typ-2-Diabetes und Nierenkrankheiten. Bei Menschen dunkler Hautfarbe ist die Salzempfindlichkeit generell grösser. Die Vererbung spielt also auch hier eine wichtige Rolle.

Salzkonsum und Ernährung
Da ein grosser Teil des Kochsalzes «versteckt» zugeführt wird, meist über industriell verarbeitete Lebensmittel wie Wurstwaren, Backwaren, Brot etc., ist es ausgesprochen schwierig, den täglichen Salzkonsum zu erfassen. Weil der überwiegende Teil des aufgenommenen NaCl wieder im Urin ausgeschieden wird, kann man durch die Messung der Natriumausscheidung im 24-Stunden-Urin gute Rückschlüsse auf die individuelle Salzzufuhr ziehen. Diese Messung – insbesondere das korrekte Sammeln des Urins – ist aber aufwändig. Sie kann deshalb nur in Einzelfällen eingesetzt werden, zum Beispiel bei hohem Blutdruck, der schlecht auf Medikamente anspricht, nicht aber zur Erfassung des Kochsalzkonsums in der Bevölkerung, etwa im Rahmen von epidemiologischen Studien.
Unsere Ernährung ist komplex, ebenso ihr möglicher Einfluss auf den Blutdruck. Entsprechende Untersuchungen müssen deshalb immer viele Variablen berücksichtigen. Ihre Resultate müssen mit Vorsicht interpretiert werden. Es gilt heute indes als gesichert, dass sich eine Ernährung mit vermehrter Zufuhr von Obst und Gemüse, fettreduzierten Milchprodukten und Vollkornprodukten und reduzierter Zufuhr an gesättigten Fetten günstig auswirkt auf den Blutdruck. Ebenfalls unbestritten ist, dass Vegetarier in der Regel weniger häufig an einer Hypertonie leiden. Dies ist allerdings nicht allein auf das Weglassen von Fleisch und Wurst zurückzuführen. Vegetarier nehmen auch – hauptsächlich mit Obst und Gemüse – vermehrt Kalium, Nahrungsfasern, Vitamin C und Magnesium zu sich, die alle einen günstigen Einfluss auf den Blutdruck haben.
Falls Sie einen Typ-2-Diabetes haben, gleichzeitig einen erhöhten Blutdruck und auch noch übergewichtig sind, ist die Wahrscheinlichkeit sehr gross, dass Sie eine erhöhte Salzsensitivität haben. Auch wenn es schwer fällt, seine Essgewohnheiten zu verändern, wäre es dann aus gesundheitlicher Sicht sehr wünschenswert, einen Versuch mit einer salzarmen Ernährung von möglichst unter 6 Gramm NaCl pro Tag zu machen. Wer versucht, das Salz zurückhaltend einzusetzen, wird allerdings bald feststellen, dass es schwierig ist, diese 6-Gramm-Limite einzuhalten. Das meiste Salz, das wir zu uns nehmen, ist in Fertigprodukten wie Brot und Backwaren, Wurst und Fleisch, in Käse etc. bereits enthalten. Lediglich ca. 20 – 25 % werden beim Kochen bzw. am Esstisch zugefügt. Eine Ernährungsberaterin kann Sie beim schwierigen Unterfangen, den Salzkonsum zu reduzieren, kompetent begleiten.
Erstaunt es Sie, dass unsere «Wunderdroge Nummer 1», die regelmässige körperliche Aktivität, ebenfalls einen günstigen Einfluss auf den Blutdruck hat? Der Mindestaufwand für einen blutdrucksenkenden Effekt beträgt 3- bis 5-Mal pro Woche eine Ausdaueraktivität von 60 bis 90 Minuten bei 60 bis 90 % der maximalen Herzfrequenz. Befragen Sie dazu Ihren Fitnesstrainer.

Tabelle Kochsalzgehlt verschiedener Lebensmittel
Buchtipp: Kochen für das Herz

Zu viel Salz ist sehr teuer
Verlassen wir vorübergehend die persönliche, individuelle Ebene und wenden wir uns nochmals der Volksgesundheit bzw. gar der Weltgesundheit zu. Wir haben ja gehört: Der hohe Blutdruck wird weltweit ein immer grösseres gesundheitliches Problem. Da es unmöglich ist, bei jedem einzelnen Menschen den Grad seiner Salzsensitivität zu testen, wurden Berechnungen darüber angestellt, was es bedeuten könnte, wenn der gesamten Bevölkerung empfohlen würde, sich weniger salzreich zu ernähren. Man hat errechnet, dass in den USA eine Salzreduktion von 3 Gramm pro Tag längerfris­tig das Auftreten einer koronaren Herzkrankheit, eines Herzinfarktes oder eines Hirnschlags um bis zu einem Drittel reduzieren könnte. Damit liesse sich potenziell – allein in den USA – die sagenhafte Summe von 10 bis 24 Milliarden Dollar für das Gesundheitswesen sparen, ohne dass auch nur ein einziges Medikament verschrieben werden müsste. Die Kochsalz-Einschränkung kann bezüglich ihrer Bedeutung durchaus verglichen werden mit Interventionen wie Nikotinstopp, Gewichtsreduktion bei Übergewicht und Adipositas, Behandlung von hohem Blutdruck oder erhöhtem Cholesterin.
Diese Zahlen sind sehr eindrucksvoll. Sie müssen aber leider stark relativiert werden. Vielen Menschen gelingt es nicht, ihren Lebensstil permanent umzustellen, oft nicht einmal kurzfristig. So beschränkt sich die erzielte Blutdrucksenkung bei bereits erhöhtem Blutdruck auf durchschnittlich 5 mm Hg systolisch und etwa 3 mm Hg diastolisch. Und mit zunehmender Dauer ist der blutdrucksenkende Effekt noch geringer, da viele Patienten wieder ihre alten Essgewohnheiten annehmen. Erfolgversprechender sind deshalb Massnahmen, die den Salzkonsum auf politischem Weg, sozusagen per Dekret, reduzieren. So ging zum Beispiel der Salzverzehr in Portugal innerhalb von 5 Jahren um 20 % zurück, nachdem im ganzen Land der Salzgehalt des Brotes reduziert werden musste.

Allgemeine Empfehlungen
Es ist zwar Aufgabe der Gesundheitsbehörden, alle Massnahmen zu unterstützen, die zu einem geringeren Salzkonsum beitragen könnten. Auf individueller Ebene – sozusagen im Praxisalltag – wird der einzelne Arzt aber hauptsächlich dann eine Salzrestriktion durchzusetzen versuchen, wenn eine Hypertonie mit Medikamenten schwer einstellbar ist. Die ersten und «einfachsten» Empfehlungen sind ein erhöhter Verzehr von Obst und Gemüse, was durch deren hohen Kaliumgehalt die Natrium-Ausscheidung fördert, und das konsequente Weglassen des Nachsalzens am Tisch. Die weiteren nichtmedikamentösen Massnahmen zur Blutdrucksenkung sind Ihnen, liebe Leserinnen und Leser des «d-journals», von der Behandlung des Diabetes bestens bekannt: konsequente Ernährungsumstellung, Reduktion des Übergewichts und regelmässige körperliche Aktivität.

… und ausserdem

• Bei chronischen Nierenerkrankungen trägt eine Verminderung der Natriumzufuhr zu einer Reduktion der Eiweissausscheidung durch die Nieren bei.

• Das Fortschreiten von Nierenkrankheiten wird durch eine Salzrestriktion oft gebremst.

• Eine eingeschränkte Natriumaufnahme wirkt sich – unabhängig vom Effekt auf den Blutdruck – direkt auf die Häufigkeit von Hirnschlägen aus.

• Eine hohe Salzzufuhr ist ein Risikofaktor für eine Osteoporose.

• Eine chronisch erhöhte NaCl-Zufuhr fördert eine krankhafte Verdickung des Herzmuskels und damit das Entstehen einer Herzschwäche (Herzinsuffizienz).

• Die Behandlung einer Herzschwäche wird unterstützt durch eine natriumreduzierte Ernährung.

• Es ist umstritten, ob es auch eine zu geringe NaCl-Zufuhr gibt, die ebenfalls Schaden anrichten könnte.

• Das jodierte Kochsalz ist unsere hauptsächlichste Quelle der Jodversorgung. Es muss sichergestellt sein, dass wir auch bei geringerer NaCl-Zufuhr genügend Jod zu uns nehmen.

AutorIn: Dr. med. K. Scheidegger