Ärztin

Gehört: Vor einigen Wochen habe ich in der Zeitung einen Artikel gelesen mit dem Titel «Diabetes ist heilbar», berichtet Frau P., 58-jährige Typ-2-Dia­betikerin seit 6 Jahren. «Der Inhalt des Artikels hat mich zwar nicht restlos überzeugen können. Er erschien aber immerhin in der NZZ und nicht in irgendeinem Boulevard-Blatt. Ist tatsächlich etwas Neues gefunden worden?»

Geantwortet: Dieser Titel war tatsächlich geeignet, die Leser zu verunsichern, auch die Fachleute. Er war mit grossen, dicken Buchstaben geschrieben und hatte kein Fragezeichen! Zudem erschien er unter der Rubrik «Forschung und Technik». Und Forscher machen zum Glück ja immer wieder neue Entdeckungen.
Bereits der Untertitel (der Lead) bestätigte den leisen Verdacht, hier gehe es nicht nur um sachliche Aufklärung, sondern auch um Effekthascherei. «Das Gerücht, wonach der ‹Alterszucker› unablässig voranschreitet, hält sich hartnäckig. Wie die meisten Gerüchte ist es falsch.» Es ist kein Gerücht, dass der Typ-2-Diabetes ein «Eigenleben» hat und – zwar in individuell sehr unterschiedlichem Tempo – fortschreitet, sondern eine vielfach erwiesene Tatsache. Dies bestätigt im Folgenden sogar der Autor, wenn er schreibt: «Anfangs noch reversibel, lässt sich dieser Ruhezustand mit zunehmender Dia­betesdauer immer weniger rückgängig machen. Denn irgendwann sterben die schlafenden Betazellen ab.»
Selbstverständlich kann man sich erfolgreich gegen den natürlichen Verlauf des Diabetes wehren. Wir haben darüber ausführlich berichtet im «d-journal» 235/2015. Je rascher und je konsequenter man den Blutzucker nach Diagnose eines Diabetes normalisiert, desto erfolgreicher ist man im Kampf, eine «Remission» der Krankheit zu erzielen. «Remission», haben wir dort geschrieben, wird im Fremdwörterlexikon unter anderem übersetzt als «vorübergehendes (!) Nachlassen von Krankheitserscheinungen». Es ist wie bei Menschen, die man in die Verbannung schickt. Sie sind nicht tot und können früher oder später wieder zurückkommen.
Wir haben im erwähnten Artikel die Möglichkeiten aufgezeigt, wie man eine – unter Umständen mehrere Jahre dauernde – Remission erreichen kann. Wir haben die intensivierte Insulintherapie erwähnt, die Behandlung mit oralen Antidiabetika, und die sehr effektive Therapie mit dem Messer des Chirurgen (bariatrische Chirurgie). Und selbstverständlich haben wir auf die regelmässige körperliche Aktivität, eine diabetesgerechte Ernährung und eine Gewichtsreduktion hingewiesen. Diese Umstellung des Lebensstils ist die weitaus natürlichste Therapie des Diabetes, für viele Betroffene aber leider sehr schwierig über längere Zeit konsequent durchzuführen.
Wenn der Autor des NZZ-Artikels gegen Schluss hin schreibt «Die meisten Ratschläge implizieren aber, dass der Alterszucker ein unablässig fortschreitendes Leiden ist.», liegt er schlichtweg falsch. Alle Ratschläge sind darauf angelegt, den Diabetes – am liebsten den neu entdeckten – so gut und so konsequent zu behandeln, dass er in eine möglichst lange Remission geht. Und während dieser Remission dürfen die Betroffenen ihre Bemühungen nicht einstellen. Der Diabetes ist nur verbannt, aber leider nicht gestorben!

P.S.: Im Übrigen hat es im erwähnten Artikel informative und interessante Passagen.

AutorIn: Dr. med. K. Scheidegger