Essen im Altersheim

Gehört: «Meine Mutter bekommt im Pflegeheim oft wirklich kein gesundes Essen», beklagt sich die 64jährige Frau U. bei ihrem Arzt anlässlich des letzten Besuchs. Sowohl sie selbst wie auch ihre 89jährige Mutter haben einen Typ-2-Diabetes. Frau U. ist deshalb auf das Essen «sensibilisiert». «Da gab es doch letzthin Rösti und Spiegeleier, dann Gschwellti und Käse. Und ein anderes Mal bekam sie Quarkspätzli, Siedwurst und Apfelmus.»

Geantwortet: Sie sprechen ein Thema an, «Essen im Alter», das nicht in zwei Sätzen besprochen werden kann. Dies vor allem deshalb, weil die Altersspanne immer grösser wird. Sie, liebe Frau U., gehören ebenso zu den «Älteren» wie ihre betagte Mutter. Ihre Lebensumstände, aber auch ihre gesundheitlichen Bedürfnisse sind indes sehr verschieden.
Alle Menschen altern, die einen etwas früher, die andern später. Bereits ab etwa dem 50. Lebensjahr nimmt die Muskelmasse langsam aber stetig ab. Bis ins hohe Alter kann dies mehr als ein Drittel der ursprünglichen Muskulatur sein. Gerade bei Übergewichtigen denkt man wegen der Körperfülle kaum je an einen Schwund der Muskulatur. Immerhin kann dieser Prozess durch regelmässige körperliche Aktivität deutlich verlangsamt werden. Mit dem Verlust an Muskelmasse reduziert sich selbstverständlich der Energiebedarf. Mit 75 kann dies bis zu 25% des maximalen Grundumsatzes in jungen Jahren ausmachen. Dazu kommt, dass auch die körperliche Aktivität bei fast allen älteren Menschen geringer wird. Die täglich benötigte Kalorienzahl ist im Alter also definitiv deutlich tiefer.
Eine kurze Zwischenbemerkung: Auch Kraft und Geschicklichkeit nehmen im Alter ab. Es gibt also mehrere wichtige Gründe, dass Sie gut daran tun, möglichst täglich körperlich aktiv zu sein. Sie werden im hohen Alter durch eine längere Selbständigkeit dafür «belohnt».

Tabelle Biologische Wertigkeit einiger Nahrungsmittel

In Ihrem Alter – mit 64 gehören Sie gemäss der WHO zu den Menschen «im Übergang ins Alter» und nächstes Jahr (mit 65) werden Sie die «jungen Alten» verstärken – und mit Ihrer Lebensweise ist die Ernährung grundsätzlich gleich, wie sie Ihnen anlässlich der früheren Diabetesberatungen vorgestellt worden ist. Ob Sie mediterran oder nordisch essen («d-journal» 239, 2016), entscheiden Sie selbst. Dass Ihr Kalorienbedarf altersbedingt (!) bereits abgenommen hat, merken Sie schon seit einiger Zeit.
Bei Ihrer Mutter ist die Situation eine gänzlich andere. Betagte und Hochbetagte haben selten noch einen grossen Appetit. Das Durstgefühl ist kaum mehr vorhanden. Das Geruchs- und Geschmacks­empfinden geht zurück. Wegen der – oft krankheitsbedingt– fast fehlenden körperlichen Aktivität nimmt die Muskulatur noch rascher ab. Fachleute sprechen von einer «Sarkopenie». Der Bedarf an Eiweiss, aber auch an Mineralstoffen und Vitaminen ist erhöht. Empfehlungen für gesunde, aktive Ältere liegen bei 1,0 – 1,2 Gramm Protein pro kg Körpergewicht pro Tag (im mittleren Lebensalter 0,8 Gramm). Kranke Betagte brauchen noch mehr. Allerdings kann dies mit einer normalen Ernährung fast nicht erreicht werden. Es ist deshalb sinnvoll, sich auch an der biologischen Wertigkeit der Lebensmittel zu orientieren (Tabelle 1, Tabelle biologische Wertigkeit einiger Nahrungsmittel ).
Gelegentlich kann es auch sinnvoll sein, zusätzliches Eiweiss zu geben in Form eines Drinks. Speziell geeignet ist dabei das Molkenprotein, welches alle neun essenziellen (lebensnotwendigen) Aminosäuren enthält. Insbesondere durch das in der Molke reichlich vorkommende Leucin wird der Muskelaufbau begünstigt. Es gibt übrigens zahlreiche Hinweise darauf, dass alte Menschen Proteine weniger effizient nutzen können.
Die Gefahr, an Gewicht zuzunehmen, ist kaum mehr vorhanden. Erinnern Sie sich noch, dass Ihre Mutter nach dem Tod des Vaters während längerer Zeit eigentlich ungewollt abgenommen hat. Das kommt sehr oft vor: Die Trauer; der Umstand allein essen zu müssen; bei gewissen Leuten auch die Unfähigkeit oder der Unwille, einkaufen zu gehen; zahnbedingte Probleme mit dem Kauen fördern den Appetit selbstverständlich nicht. Ihre Mutter hat das Gewicht ja auch erst wieder stabilisieren können nach dem Eintritt ins Altersheim.

Gericht Rösti mit Speigelei
Rösti (200 g), Spiegeleier (2 Stk.)
Eiweiss: 19 g / Kohlenhydrate anrechenbar 50 g
© Rita Fricker, dipl. Ernährungsberaterin FH / Fotos: Bruno Kläy, Hinterkappelen
Menü Raclette mit Kartoffeln
Raclette (50 g), Kartoffeln (120 g), Essiggurke (35 g)
Eiweiss: 16 g / Kohlenhydrate anrechenbar 20 g
© Rita Fricker, dipl. Ernährungsberaterin FH / Fotos: Bruno Kläy, Hinterkappelen
Menü Hüttenkaese, Hartkaese und Brot
Hüttenkäse (100 g), Hartkäse (30 g), Vollkornbrot (75 g)
Eiweiss: 27 g / Kohlenhydrate anrechenbar 30 g.
© Rita Fricker, dipl. Ernährungsberaterin FH / Fotos: Bruno Kläy, Hinterkappelen
Menü Kalbsbratwurst, Teigwaren und Broccoli
Kalbsbratwurst (120 g), Teigwaren (120 g gekocht), Broccoli (120 g)
Eiweiss: 25 g / Kohlenhydrate anrechenbar 30 g
© Rita Fricker, dipl. Ernährungsberaterin FH / Fotos: Bruno Kläy, Hinterkappelen

Weitere biologische hochwertige Lebensmittelkombinationen, einige Ideen:

  • Maistortilla mit getrockneten Bohnen, z. B. Red Kidney
  • Tofu-Piccata
  • Birchermüesli
  • Fotzelschnitten
  • Vollkornteigwaren-Auflauf
  • Kartoffelgratin
  • Pfannkuchen
Wichtigstes Ziel bei sehr alten Menschen ist also das Vermeiden einer Mangelernährung. Diabetes und Fettstoffwechsel stehen nicht mehr im Vordergrund. Man kann bei Betagten ja auch etwas erhöhte HbA1c-Werte um 8,0 % akzeptieren. Wir sind dankbar, wenn sie – vielleicht sogar mit etwas Freude – überhaupt genügend essen.
In der Altersspanne, die zwischen Ihnen und Ihrer Mutter liegt, gilt es, zur geeigneten Zeit das Richtige zu tun. Ab wann soll wegen der Gefahr einer Mangelernährung konsequent auf eine kalorienreduzierte Ernährung verzichtet werden? Ab wann soll die Eiweisszufuhr forciert werden? Welche Behandlungsziele stehen im Mittelpunkt? Wann kann die Qualität des Essens – die «Nährstoffdichte» – zugunsten einer «Wunschdiät» etwas gelockert werden?
Die von Ihnen erwähnten Menüs passen durchaus ins Konzept. Sie sind bekömmlich, enthalten genügend hochwertiges Eiweiss und dasApfelmus liefert auch noch zusätzliche Vitamine und ­Mineralstoffe.

AutorIn: Dr. med. K. Scheidegger