Warum braucht ein Patient mit Diabetes mellitus eine spezielle orthopädische Schuhversorgung?

Ein diabetischer Fuss ist ein sehr komplexes Problemgebilde. Er ist eine Spätfolge bei über Jahre schlecht eingestelltem Diabetes mellitus. Die Fussform verändert sich, was am offensichtlichsten an einer Veränderung der Zehenstellungen – diese nehmen eine sogenannte Krallenzehenfehlstellung ein – festgestellt werden kann. Dazu werden die Füsse trocken und rissig. Die wichtigste Veränderung, die häufig am spätesten bemerkt wird, ist die verminderte Schmerzwahrnehmung.
Diesem Problemkomplex kann nur mit speziell angepasstem Schuhwerk begegnet werden. Hierbei gibt es grundsätzlich 3 Typen:

Orthopädische Schuheinlage
Abb. 1a) Orthopädische Schuheinlage mit roten Weichbettungen zur Druckentlastung.
Orthopädische Suheinlage
Abb. 1b) Orthopädische Schuheinlage mit Bezug, wie sie an die Patienten abgegeben wird.

1. Die orthopädische Schuheinlage nach Mass
Die orthopädische Schuheinlage nach Mass (Abb. 1a und 1b) wird exakt auf die Fussform des Patienten angepasst. Dazu gibt es verschiedene Systeme. Wichtig ist, dass die Feinabstimmung am Ende von Hand durch einen Spezialisten erfolgt. Die orthopädische Schuheinlage nach Mass kommt bei einfachen Verformungen und Entlastungen zum Einsatz und hat den Vorteil, dass sie im gesamten Schuhsortiment verwendet werden kann, sofern die Schuhe genügend Platz bieten.

Orthopädischer Serienschuh
Abb. 2a) Orthopädischer Serienschuh: Alltagsmodell.
Orthopädischer Serienschuh, Sportmodell
Abb. 2b) Orthopädischer Serienschuh: Sportmodell.

2. Der orthopädische Serienschuh mit Fussbett nach Mass
Der orthopädische Serienschuh mit Fussbett nach Mass (Abb. 2a und 2b) ist ein sogenanntes Halbfabrikat. Das heisst, der Schuh ist so angefertigt, dass er vom Orthopädie-Schuhmacher noch fertiggestellt werden muss. Hierzu gehört vor allem ein Fussbett nach Mass. Zusätzlich können noch weitere Anpassungen – man spricht von Zurichtungen – vorgenommen werden: Ein sogenannter Pufferabsatz, der die Schläge beim Auftreten mit der Ferse dämpft, eine Schuhsohlenversteifung, die das Durchbiegen schmerzhafter Fussregionen verhindert, eine Abrollrampe, die bei der Schuhsohlenversteifung den Kraftaufwand vermindert. Die Schuhversorgung mit einem orthopädischen Serienschuh mit Fussbett nach Mass, kommt bei komplexeren Fuss­problemen zum Einsatz, wenn die orthopädische Schuheinlage nach Mass nicht mehr ausreicht.

Orthopädischer Massschuh
Abb. 3) Beispiel für einen orthopädischen Mass-Schuh.

3. Der orthopädische Mass-Schuh
Der orthopädische Mass-Schuh (Abb. 3) wird bei sehr komplexen Fuss-Verformungen mehrheitlich von Hand in zahlreichen Einzelschritten angefertigt. Dank einer neuen Technik, der Carbonverarbeitung, können auch Stützelemente in den Schuh eingearbeitet werden, wo früher eine Schiene in Kombination mit einem Spezialschuh getragen werden musste. Dies bringt neben einem kleineren Risiko von Druckstellen auch eine deutliche Gewichtsreduktion mit sich, was speziell bei diabetischen Patienten eine Rolle spielt, da diese beim Gehen so weniger rasch ermüden. Der orthopädische Mass-Schuh kommt bei Patienten mit sehr starken Fuss-Verformungen und Gelenksinstabilitäten zum Einsatz.

Sobald sich die Fussform eines diabetischen Patienten verändert und möglicherweise sogar Druckstellen auftreten, muss unbedingt eine orthopädische Schuhversorgung eingeleitet werden. Der Entscheid, welche Versorgungsform für welchen Patienten am geeignetsten ist, fällt der Facharzt gemeinsam mit dem Orthopädie-Schuhmacher und dem Patienten.
Es gilt der Grundsatz: So viel wie nötig, so wenig wie möglich.

Was ist der Unterschied zwischen orthopädischem und Konfektionsschuhwerk?
Orthopädische Schuhe lassen den Füssen speziell genügend Platz im Zehenbereich und erlauben die Versorgung mit einer orthopädischen Schuheinlage oder einem Fussbett nach Mass. Sie führen die Ferse gut, stützen an den richtigen Orten ab und entlasten Problemstellen. Ferner haben sie keine freien Nähte vorstehen, die zu Druckstellen führen können und erlauben dem Patienten einen sicheren Stand.
Orthopädisches Schuhwerk – inklusive die Einlagen und Fussbettungen – zeichnet sich durch atmungsaktives, gut verträgliches, hochwertiges Material aus, das soweit möglich aus natürlichen Bestandteilen besteht, um keine Allergien hervorzurufen.

Wodurch zeichnet sich eine professionelle orthopädische Schuhversorgung aus?
Eine wichtige Voraussetzung für eine passende orthopädische Schuhversorgung ist die Beratung durch einen spezialisierten Facharzt, der die entsprechende Versorgung auch verordnen kann. Die Versicherungen übernehmen die Finanzierung nur, wenn die Versorgung von einem Spezialisten verordnet wurde.
Die nächste Etappe führt zum Orthopädie-Schuhtechniker. Dieser hat eine mehrjährige Spezialausbildung absolviert und berät die Patienten bezüglich eines geeigneten Schuhs. Bei Unklarheiten bespricht er sich mit dem Arzt, der die Verordnung ausgestellt hat. Nicht zuletzt ist er auch darum bemüht, den orthopädischen Schuh so ansprechend wie möglich zu gestalten, damit die Patienten diesen auch anziehen.
Die professionelle orthopädische Schuhversorgung zeichnet sich dadurch aus, dass die Schuhe exakt auf den Patienten angepasst sind. Ziel ist, dass dem Patienten in den Schuhen wohler ist, als ohne, weil die Schuhe am richtigen Ort entlasten und an den geeigneten Stellen abstützen. Ob die Schuhe für den Patienten ideal angepasst sind, zeigt sich auch darin, dass sich beim täglichen Tragen an der Fuss-Sohle keine oder kaum Hornhaut bildet. Wenn vor der Versorgung viel Hornhaut vorhanden war, bildet sich diese bei gut angepasstem Schuhwerk schnell zurück.
Das Anpassen des ortho­pädischen Schuhwerks bringt einen relativ hohen Zeitaufwand mit sich, für den Patienten wie für den Orthopädie-Schuh-Techniker. Der Aufwand lohnt sich aber, wenn dadurch langwierige Wundbehandlungen oder Spitalaufenthalte vermieden werden können.
Wichtig ist auch, dass die Patienten nicht nur mit orthopädischem Schuhwerk für den Aussenbereich ausgestattet werden, sondern nach Möglichkeit auch mit angepassten Hausschuhen versorgt sind. Dieser Punkt geht häufig vergessen und mancher Patient zeigte sich bei uns in der Sprechstunde enttäuscht über die ausgebliebene Besserung seiner Beschwerden, trotz bestens angepasstem Schuhwerk, war aber zu Hause barfuss oder in alten Hotelschlappen unterwegs.

Wer sagt mir, ob ich eine ortho­pädische Schuhversorgung brauche?
Erster Ansprechpartner ist der Hausarzt oder der Diabetologe. Diese führen die üblichen Verlaufskontrollen durch und sollten in regelmässigen Abständen – mindestens alle drei Monate – einmal die Füsse ihrer Patienten kontrollieren.
Wenn bei einer Routinekontrolle Veränderungen beobachtet werden oder der Patient Fuss-Beschwerden äussert, kann ein Termin beim Facharzt für Orthopädie weiterhelfen. Dieser entscheidet gemeinsam mit dem Patienten, ob eine spezielle Schuhversorgung angezeigt ist oder nicht.

Wer kontrolliert wann meine Schuhversorgung?
Obwohl sehr dauerhaftes und qualitativ hochstehendes Material für orthopädische Schuhversorgungen verwendet wird, nutzt sich dieses beim steten Gebrauch ab. Daher sollte mindestens einmal im Jahr alles vom Orthopädie-Schuh-Techniker kontrolliert werden. Dieser kann schräg abgelaufene Absätze reparieren und Fussbettungen oder Einlagen neu beziehen, damit diese die vorgesehene Dämpfungswirkung wieder entfalten können. Er überprüft auch, ob das abgegebene Material noch passt oder ersetzt werden muss.
Die Passform der Schuheinlagen oder Fussbettungen kann auch selbst überprüft werden: Nehmen Sie diese aus Ihren Schuhen und schauen Sie sich den Fuss­abdruck darauf an. Sind die Zehen ganz vorne oder ganz am Rand abgebildet oder überragen die Seiten der Schuheinlage, wenn Sie diese an den Fuss halten, so ist diese zu klein. Wenn sich Löcher oder Falten gebildet haben, durch die Dauernutzung, müssen die Einlagen repariert werden.

Die Finanzierung
Ein kurzes Wort zur Finanzierung: Diese ist sehr komplex. Wichtig ist vor allem, dass eine Versorgung möglichst früh eingeleitet wird. Vor dem ersten AHV-Rentenbezug erhält der Patient lebenslang grundsätzlich zwei Paar Schuhe pro Jahr finanziert, nach dem ersten Rentenbezug nur noch ein Paar alle zwei Jahre. Ferner besteht eine höhere Kostenbeteiligung im AHV-Alter.

Zusammenfassung
Zum Glück haben viele Diabetiker (fast) gesunde Füsse, die sie mit einer guten Stoffwechselkontrolle und regelmässiger körperlicher Aktivität auch über viele Jahre gesund erhalten können. Es ist die Aufgabe des betreuenden Arztes zu beurteilen, ob und in welchem Ausmass diabetesbedingte Folgeschäden vorliegen. Neben dem konsequenten Einhalten der Regeln der Fusshygiene kann es dann nötig sein, die gefährdeten Füsse zusätzlich mit Schuheinlagen oder orthopädischen Schuhen zu schützen, insbesondere bei gleichzeitigem Vorliegen von Verformungen und Druckstellen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Hausarzt, Diabetologe, Orthopäde und Orthopädie-Schuhmacher führt zu den besten Resultaten.

AutorIn: Dr. med. Martin Berli, Teamleiter Stv. Technische Orthopädie, Universitätsklinik Balgrist