Übergewicht und Diabetes mellitus Typ 2 können das Hormonsystem des Körpers beeinflussen, Abklärung und Behandlung müssen umfassend erfolgen. Häufig lässt sich durch geeignete Massnahmen eine deutliche Verbesserung der Situation erreichen, wie ein Beispiel zeigt.

Herr U., ein 66-jähriger Mann, bemerkt seit einem Jahr eine ausgeprägte Tagesmüdigkeit, meist schläft er auch vor dem Fernseher ein. Er stellt auch eine deutliche Abnahme der Potenz und der sexuellen Lust fest. Ausserdem fühlt er sich oft niedergeschlagen, antriebslos und rasch erschöpft. Er führt die Symptome unter anderem auf die kürzliche Pensionierung zurück, die für ihn – vorher im beruflichen Leben sehr aktiv – ein einschneidendes Ereignis darstellte. Herr U. hat seit fünf Jahren Typ-2-Diabetes, der mit einer Tablettentherapie immer recht gut eingestellt war (HbA1c meist zwischen 6,5% und 7%). Er ist adipös (BMI 32,8 kg/m2) und hat einen behandelten, aber gut kontrollierten Blutdruck. Vor 15 Jahren hat er aufgehört zu rauchen. Nach Recherchen im Internet kommt Herr U. zum Schluss, dass die Symptome durch einen Testosteronmangel verursacht sein könnten. Er vereinbart einen Termin bei seiner Hausärztin zur Klärung. Das Labor stellt einen niedrigen Testosteron-Wert fest.

Wie weiter?

Zu tiefes Testosteron hat viele Auswirkungen wie Libidoverlust, Potenzprobleme, depressive Symptome, Müdigkeit/Leistungsintoleranz und Abnahme der Muskelmasse. Die Symptome können unspezifisch, das heisst im Fall von Stimmungsschwankungen, durchaus durch andere Faktoren mitbedingt sein. Ein Testosteronmangel kann zum einen durch ein Produktionsproblem im Hoden oder eine Störung in der komplexen Regulation des Testosteronstoffwechsels verursacht sein. Letztere Form tritt sehr häufig zusammen mit Diabetes mellitus Typ 2 und Übergewicht/Adipositas auf – bis zu einem Viertel aller davon Betroffenen weisen zu tiefe Testosteronwerte auf. Man spricht in diesem Fall auch von einem «funktionellen Testosteronmangel ». Die Ursache liegt dabei im übermässig vorhandenen Fettgewebe (Bauch- oder viszerales Fettgewebe). Dieses führt über verschiedenste Faktoren zur Veränderung des Hormongleichgewichts und stört die Steuerung der Testosteronausschüttung durch die Hirnanhangsdrüse.

Abklärung und ganzheitlicher Ansatz

Es wäre grundlegend falsch und reine Symptombekämpfung, das zu tiefe Testosteron einfach mit einem Testosteronpräparat zu ersetzen. Denn in seltenen Fällen tritt der Testosteronmangel zusammen mit anderen Hormonproblemen auf; dies gilt es auszuschliessen, manchmal auch gemeinsam mit einem Hormonspezialisten. Ist dies nicht der Fall, sollten die mit dem Übergewicht assoziierten Erkrankungen und Faktoren gesucht und optimal behandelt werden. Es geht um die gute Einstellung von Blutdruck, Blutfettwerten und Diabetes mellitus, die Motivation zum Rauchstopp, die Therapie eines allfälligen Schlafapnoesyndroms und nicht zuletzt – als zentrale Massnahme – das Erreichen einer Gewichtsreduktion.

Die Hausärztin von Herrn U. überweist ihn nach gründlicher Untersuchung an eine Schlafspezialistin, die ein obstruktives Schlafapnoesyndrom diagnostiziert und behandelt. Die Diabetestherapie wird angepasst und Herr U. erhält nun einen sogenannten GLP-1-Rezeptoragonisten, den er sich einmal pro Woche spritzt. Mithilfe der Ernährungsberatung passt er seine Ernährung an und beginnt, sich regelmässig zu bewegen. Der Erfolg nach fünf Monaten: Sieben Kilogramm weniger, und er fühlt sich viel besser. Die Symptome sind praktisch nicht mehr vorhanden. Die erneute Kontrolle des Testosteronwerts ergibt nun einen normalen Befund.

AutorIn: Dr. med. Stefan Fischli, Chefarzt Endokrinologie/Diabetologie Luzerner Kantonsspital