Diabetesmedikamente gehören zu den Arzneimitteln, bei denen sich eine Unterbrechung der Behandlung unmittelbar auf die Lebensqualität auswirkt. Im schlimmsten Fall kann dies zu lebensbedrohlichen Situationen führen.

Lieferengpässe bei Arzneimitteln gehören heute leider zum Alltag und eine kurzfristige Besserung ist nicht in Sicht. Die Gründe dafür sind vielfältig und nicht bei allen Medikamenten gleich. Während bei neueren Therapeutika wie Ozempic® vor allem die gestiegene Nachfrage für die Engpässe verantwortlich ist, sind es bei älteren Diabetesmedikamenten hauptsächlich die Globalisierung des Arzneimittelmarktes und die Kostenoptimierung auf allen Seiten. Nicht dass dies per se schlecht wäre, aber es wurde versäumt, einige Leitplanken zu setzen.

Marktwirtschaft und Kostenoptimierung diktieren die Entwicklung

Diese Entwicklung ist nicht nur bei Diabetesmedikamenten, sondern generell bei älteren, patentfreien Pharmaprodukten zu beobachten: Der Weltmarkt richtet sich nicht nach dem therapeutischen Wert einer Substanz, sondern nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten mit optimierten Kosten. Die Folge ist eine Konzentration der Produktion in Ländern, in denen die Umweltstandards und Arbeitsbedingungen schlechter und die Lohnkosten «günstiger» sind als bei uns. Nicht die Stabilität der Versorgungssysteme wird belohnt, sondern der billigste Anbieter.

 

 

 

 

 

 

 

Abhängigkeit von einem Hersteller

In den letzten Jahren hat ein Konzentrationsprozess hin zu den billigsten Anbietern stattgefunden. Mittlerweile gibt es für etwa ein Drittel der Substanzen weltweit nur noch je einen Hersteller. Diese Konzentrationsprozesse gibt es nicht nur bei den Wirkstoffen, sondern bei allem, was mit Arzneimitteln zu tun hat: bei den Hilfsstoffen, bei den Vorstufen zur Herstellung der Wirkstoffe, beim Verpackungsmaterial und sogar beim Beipackzettel. All dies macht unser System der Arzneimittelversorgung sehr störanfällig. Der Ausfall eines Produkts führt zu einer erhöhten Nachfrage bei den möglichen Ersatzmedikamenten – sofern überhaupt vorhanden. Die anderen Anbieter können die Produktion nicht kurzfristig erhöhen, was zu einem Dominoeffekt führt, der den gesamten Therapiebereich betreffen kann.

Begrenzte nationale Pflichtlager

Die Schweiz kennt zwar Pflichtlager für einige Medikamente, jedoch primär für die unmittelbar lebensnotwendigen in der Akuttherapie. Diabetes ist eine chronische Erkrankung. Dies ist wohl auch der Grund, weshalb Diabetesmedikamente nicht berücksichtigt werden, auch nicht die Insuline. Letztere unterliegen zwar der Meldepflicht bei Lieferengpässen, sodass das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung bei sich abzeichnenden Engpässen Massnahmen ergreifen kann. Ein obligatorischer Vorratspuffer in Form eines Pflichtlagers besteht jedoch nicht.

 

DAS KÖNNEN SIE TUN

 

Menschen mit Diabetes sollten einige Verhaltensregeln beachten, damit bei allfälligen Lieferengpässen genügend Zeit zum Reagieren bleibt.

• Vertraute Bezugsquelle wählen: Bei Lieferengpässen werden Stammkundinnen und -kunden in der Regel bevorzugt und bei der Suche nach Lösungen unterstützt.

• Vorrat anlegen: Immer eine neue Packung vorrätig haben. So schaffen sich Patientinnen und Patienten einen persönlichen Vorrat. Dieser persönliche Vorrat sollte jedoch nicht grösser sein, als für eine dreimonatige Therapie benötigt wird. Ist der Vorrat zu gross, besteht die Gefahr, dass das Medikament verfällt oder bei einer Therapieumstellung weggeworfen werden muss (die Verkaufsstellen dürfen Medikamente nur entsorgen und nicht weitergeben).

• Sich informieren: Diabetikerinnen und Diabetiker können sich beim Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) für Insuline oder bei www.drugshortage.ch für andere Medikamente über allfällige Lieferengpässe informieren.

• Mögliche Alternativen prüfen: Gerade bei älteren Medikamenten gibt es oft Alternativen mit dem gleichen Wirkstoff. Um die Kontinuität der Therapie zu gewährleisten, muss von Zeit zu Zeit ein Wechsel des Lieferanten in Kauf genommen werden. In der Regel ist dieser Wechsel unproblematisch.

• Frühzeitig handeln: Insbesondere bei Lieferengpässen von Insulinen bzw. deren Analoga ist eine ausreichende Bevorratung besonders
wichtig. Aber zu viel auf Vorrat zu kaufen kann die Medikamente verändern und ihre Haltbarkeit verkürzen, wenn sie nicht richtig gelagert werden. Und seien Sie sich zudem bewusst: Eine zu grosse Bevorratung bei Privatpersonen verschärft die Lieferengpässe zusätzlich. Stellt sich bei der Nachbestellung heraus, dass das Medikament nicht verfügbar ist, sollte mit dem Arzt oder der Ärztin eine Handlungsoption erarbeitet werden, wie vorgegangen werden soll, wenn die Vorräte aufgebraucht sind und das Medikament immer noch nicht verfügbar ist.

AutorIn: Dr. pharm. Enea Martinelli, Chefapotheker