Diabetes ausgelöst durch die Nebenwirkung eines Medikaments

Thomas Hunziker ist 67 Jahre alt und multipel erkrankt. Durch seine polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) und die Nebenwirkungen der damit verbundenen Medikation wurde seine Bauchspeicheldrüse irreparabel angegriffen und so erhielt er 2014 die Diagnose Diabetes mellitus.

Es war im November letzten Jahres, als die Spenderniere von Thomas Hunziker plötzlich nicht mehr arbeitete. Seine Ärztin hatte ihm bewusst nicht gesagt, dass er beim nächsten Termin an die Dialyse musste, denn sie wusste, dass er dann nicht gekommen wäre. Hunziker lässt sich durch seine Krankheiten nur ungern einschränken. Und so war an jenem Tag schon alles vorbereitet für seine erste Blutwäsche. Drei Regeltermine pro Woche sollten fortan sein Leben bestimmen. Doch Thomas Hunziker richtet sich immer auf, bevor er richtig hingefallen ist. Von einer viereinhalbwöchigen Wohnmobilreise nach Dänemark, die kurz bevorstand, hat ihn die Dialyse jedenfalls nicht abgehalten. Noch am selben Tag kontaktierte er dänische Dialysezentren via Mail und Übersetzungstool. Allerdings sollte sich die Kommunikation als schwierig erweisen, da Rückmeldungen meist ausblieben. Schliesslich übernahm eine dänische Freundin Hunzikers die Organisation und leitete alles in die Wege. Vor Ort liefen die Dialysen reibungslos. Meistens waren auch die individuell benötigten Dialysefilter organisiert worden. Und als Backup hatte Thomas Hunziker acht Filter im Reisegepäck und war für den Notfall ausgerüstet. Nach seiner Rückkehr wurde er von einem Bekannten, den er aus dem Dialysezentrum in der Schweiz kannte und dem seine lange Absenz aufgefallen war, erstaunt gefragt: «Warum haben Sie den Mut, so etwas zu machen?» Hunziker antwortete mit einer Gegenfrage: «Ja, glauben Sie, ich lasse mich durch die Dialyse anbinden?»

Diabetesmanagement ist zur Routine geworden

Seit 2014 lebt Thomas Hunziker mit Diabetes mellitus: Neun Jahre nach der Nierentransplantation ist er nach verschiedenen Immunsuppressiva-Medikamenten auf «Prograf» umgestellt worden. Durch die Nebenwirkungen nahm seine Bauchspeicheldrüse Schaden. Nur sechs Wochen nach der Umstellung erhielt er die Diagnose und einmal mehr erfuhr er eine kurzfristige Einführung in den neuen Therapie-Alltag. In seiner Krankenakte war vermerkt, dass er eine Phobie vor Spritzen habe. Die Pflegefachkraft, die ihm den Umgang mit dem Pen erklärte, liess ihn mit den Worten zurück: «Machen Sie sich keinen Stress. Sie haben Zeit bis heute Abend um 22 Uhr.» Hunziker schildert trocken: «Da an diesem Tag noch andere Themen auf dem Plan standen, habe ich meine krankhaften Ängste überwunden und gespritzt – und das tue ich bis heute.» Er wurde im Nu zum Diabetes-Routinier und weiss ganz genau, wie viel Insulin sein Körper braucht. Er nutzt einen Sensor, dessen App ihm minütlich seinen Blutzuckerspiegel anzeigt und gegebenenfalls Alarm schlägt. Nicht ohne Stolz berichtet er: «Ich liege zu 95 Prozent der Zeit innerhalb der vorgegebenen Werte und bin somit der Vorzeigepatient meines Endokrinologen. Der sagt immer, mir müsse er nichts mehr erklären.» Die Dialyse leistet einen Beitrag zu seinen stabilen Werten, da durch die Blutwäsche viel Zucker ausgespült wird. Seine Nächte sind stabil. Fällt sein Wert gelegentlich zu tief, wacht er auf. «Mein Körper ist sehr gschpürig. Das habe ich ihm schon sehr lange antrainiert», so Hunziker.

Und was rät Thomas Hunziker Menschen mit Diabetes in puncto Ernährung? Wichtig sei ein guter Austausch mit dem Ernährungsberater oder der Ernährungsberaterin. Fragen, die dabei im Zentrum stehen sollten, seien: Was bekommt mir? Was habe ich gern? Kochkurse für Diabetikerinnen und Diabetiker würden zusätzlich helfen, einen kulinarischen Zugang zu der neuen Lebenssituation zu bekommen. Man würde überrascht, wie viel möglich sei. Im Genuss eingeschränkt fühlt sich Thomas Hunziker durch den Diabetes nicht. Fleisch, Fisch oder Käse mit Gemüse stehen täglich auf dem Speiseplan. Kohlenhydratreiche Beilagen werden weggelassen und die Freude isst immer mit. Thomas Hunziker ist leidenschaftlicher Hobbykoch und seit 35 Jahren in einem Männerkochclub. Seine Frau ist sein grösster Fan und hat seine Künste mit dem Gütesiegel «Tomis Sternerestaurant» ausgezeichnet – der Schriftzug prangt hellgrün in seiner Küche.

Mit dem Körper im Dialog

Neben dem Diabetes und ADPKD trägt Thomas Hunziker das Brustkrebsgen in sich. Auch leidet er unter anderem an regelmässigen Gichtanfällen und einer Herzinsuffizienz. Man fragt sich: Woher nimmt dieser Mann seinen Lebensmut? Seine Antwort lautet: «Ich habe es einfach in mir drin.» 2020 erlitt er einen Darmdurchbruch mit septischem Schock. Der operierende Arzt erklärte ihm später, dass während des Eingriffs Leber, Niere und Milz nicht mehr arbeiteten, sein Zustand aber nie lebensbedrohlich gewesen sei. Er spüre bei jeder kritischen Operation, ob der Patient einen Lebenswillen habe, und sagte: «Sie müssen einen unwahrscheinlichen Lebenswillen haben!»

Und ja, Thomas Hunziker liebt sein Leben und hat dies schon immer getan. Vor seinen Erkrankungen meisterte er als Leiter von Tiefbauunternehmen ein 70-Stunden-Wochenpensum mit Enthusiasmus. Er war 30 Jahre in der Politik auf regionaler Ebene tätig, davon 20 Jahre als Schulpräsident. Heute bekleidet er Ämter als Vorstandsmitglied im Verband Nierenpatienten Schweiz und als Patientenvertreter im Stiftungsrat der Schweizerischen Nierenstiftung. Der sympathische Mann mit der blauen Brille begegnet allen Themen in seinem Leben und so auch den Krankheiten mit angemessener Ernsthaftigkeit, ohne dabei die Leichtigkeit auszuschliessen. Er arbeitet täglich mit Affirmationen. Und wenn die Niere nicht so will wie er, schimpft er mit ihr. Aber er lobt sie auch. Auf diese Weise bilden sein Körper und er ein starkes Team.

 

DER EXPERTE ORDNET EIN: WIE UND WANN MEDIKAMENTE EINEN DIABETES AUSLÖSEN

 

Dr. med. Stefan Fischli, Chefarzt Endokrinologie/Diabetologie, Luzerner Kantonsspital

Es gibt verschiedene Medikamente, die den Blutzucker erhöhen und einen Diabetes mellitus auslösen können. Diese Art von Erkrankungen wird dem sogenannt spezifischen Diabetestyp («Diabetes Typ 3») zugeordnet. Kortisonpräparate, medizinisch Glukokortikoide, gehören zu den Medikamenten, die am häufigsten den Blutzucker ansteigen lassen, indem sie die Wirkung des Insulins abschwächen (Insulinresistenz), aber auch die Zuckerneubildung in der Leber fördern. Gewisse Psychopharmaka (Neuroleptika wie Olanzapin oder Clozapin) können über verschiedene komplexe und zum Teil weiterhin unbekannte Mechanismen zum Diabetes mellitus führen. Sie bewirken eine Abnahme der Insulinwirkung (Insulinresistenz), hemmen die Insulinausschüttung und führen über die Veränderung von Appetit- und Sättigungs-Verhalten zur teilweise ausgeprägten Gewichtszunahme.

Wie im Porträt von Herrn Hunziker beschrieben, kann nach einer Organtransplantation und als Folge der Immunsystem-unterdrückenden Behandlung mit Immunsuppressiva ein Diabetes mellitus entstehen. Dies wird als Posttransplantationsdiabetes (PTDM), im Englischen «New Onset Diabetes After Transplantation» (NODAT), bezeichnet und tritt bei 10–30 Prozent aller Betroffenen auf. Die Immunsuppressiva Tacrolimus (z. B. Prograf®) oder Sirolismus (Rapamune®) weisen dabei das höchste Risiko für einen PTDM auf. Sie beeinflussen über verschiedene Faktoren die Insulinproduktion und Insulinausschüttung in der Bauchspeicheldrüse. Die Behandlung besteht deshalb häufig in einer Insulintherapie. Bei Fragen zu den oben aufgeführten Medikamenten sprechen Sie mit Ihrem Arzt.

AutorIn: Dr. Nicole Seipp-Isele