Diabetes steht in Wechselwirkung mit zahlreichen körperlichen Einflussfaktoren. Ein sehr intimes Thema ist die Auswirkung des weiblichen Zyklus auf das Diabetesmanagement. Die Zusammenhänge von Diabetes und hormonellen Schwankungen zu erkennen und zu managen, kann sehr herausfordernd sein. Im Gespräch mit Stefania Paganini wird schnell klar: Es gibt kein Patentrezept. Entscheidend ist die weibliche Intuition, ergänzt durch eine präzise Überwachung der Blutzuckerwerte.
Für Stefania Paganini stand ausser Frage, dass sie im d-journal über ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Diabetes in Zusammenhang mit dem weiblichen Zyklus berichten möchte. «Es ist mir eine Herzensangelegenheit, dieses Thema zu enttabuisieren und einen offenen Dialog zu fördern, damit Frauen sich unterstützt und verstanden fühlen», erklärt die 42-Jährige, die seit drei Jahren mit Diabetes Typ 1 lebt. Unmittelbar nach der Diagnose war sie noch in der sogenannten Honeymoon-Phase, das hiess in ihrem Fall, dass sie meist nur das Basalinsulin für den Tagesbedarf mit dem Pen spritzte und nur gelegentlich Mahlzeiteninsulin, da ihr Körper den Blutzucker noch teilweise selbst regulieren konnte. Erst im Frühling 2024 stieg Stefania Paganini auf eine Pumpe um. Zu Beginn war das Diabetesmanagement für sie eine grosse Herausforderung, und der Einfluss des weiblichen Zyklus auf den Blutzucker war ihr nicht bewusst. Seit etwa neun Monaten setzt sie sich intensiv mit dieser Korrelation auseinander. Dass sie einen schwankenden Zyklus hat, mit der Spirale verhütet und dadurch die Monatsblutung meist ausbleibt, macht das Ganze zu einer noch komplexeren Angelegenheit.
Wenn die Blutzuckerwerte Achterbahn fahren
«Als Frau mit Diabetes und unregelmässiger Regelblutung habe ich gelernt, wie wichtig es ist, auf meinen Körper zu hören und regelmässig meine Blutzuckerwerte zu überprüfen», so Paganini. In der Phase vor dem ersten Zyklustag, bevor die Menstruation theoretisch einsetzen sollte, erlebt sie starke Blutzuckerschwankungen mit tendenziell erhöhten Werten. Um dem entgegenzuwirken, steigert sie für einige Stunden die Insulinzufuhr über ihre Pumpe prozentual, ohne jedoch ein neues Profil zu erstellen – da sonst die Gefahr eines zu starken Blutzuckerabfalls besteht. Denn bereits am ersten Tag der Periode sinken die Blutzuckerwerte merklich, analog zum zyklusbedingten Östrogen- und Progesteronspiegel. Dies dauert für etwa zwei Tage an, gefolgt von einer Woche mit nur leicht erniedrigten Werten. Nach dieser Zeitspanne wird es herausfordernd für Stefania Paganini, den Zeitpunkt des Eisprungs auszumachen, da dieser mit variierenden Werten einhergeht. Ihr Körper reagiert in dieser Phase weniger stark auf Insulin, sodass sie einen schnelleren Anstieg des Blutzuckers nach dem Essen bemerkt. Um ihre Insulindosierung optimal anzupassen, verabreicht sie das Insulin statt 15 Minuten nun 30 Minuten vor dem Essen.
«Als Frau hat man definitiv eine Zusatzaufgabe im Diabetesmanagement, denn weibliche Hormone können den Blutzuckerspiegel entscheidend beeinflussen », betont Stefania Paganini, deren Zyklusspanne zwischen zwei und drei Monaten schwanken kann. Die weibliche Zyklusgesundheit ist fester Bestandteil in ihrer Diabetesberatung. Dennoch vertieft sie das Thema eigenständig durch Recherchen und beweist immer wieder Mut zum Experimentieren. «Es ist ein ständiger Lernprozess, aber ich fühle mich besser, wenn ich gut informiert bin und flexibel bleibe. Man muss einen guten Draht zu sich selbst haben, aber auch die Kommunikation nach aussen wagen. Im Austausch mit Menschen, die einem nahe sind, entstehen neue Ideen, sei es durch das Gegenüber oder nur durch das Aussprechen eigener Gedanken», berichtet sie. Grundsätzlich hilft es ihr, bei Unregelmässigkeiten im Blutzuckerspiegel eine Vogelperspektive einzunehmen, denn nicht immer ist der Zyklus die Ursache. Vor Stefania Paganinis innerem Auge erscheint dann eine Checkliste: Sie betrachtet nicht nur den aktuellen Moment, sondern auch die letzten 12 bis 24 Stunden. Hat sie sich mehr oder weniger bewegt? War ihr Training kraft- oder ausdauerbetont? Wie war ihr Schlaf? Steht sie unter Stress? Gibt es Infekte im Umfeld oder erste Anzeichen bei ihr selbst? Spürt sie aber Kopfschmerzen, Stimmungsschwankungen und ein Ziehen im Unterleib, weiss sie: Es könnte der Eisprung sein.
Leichtigkeit ist angesagt
Stefania Paganini ist ein lebensfroher und sehr aufgeschlossener Mensch und ihr Lebenswandel bietet ihr ein breites Instrumentarium zum Diabetesmanagement ausserhalb der medizinischen Möglichkeiten. Es sind vor allem bewusst geschaffene Ruheinseln, die ihr besonders zum Zyklusbeginn guttun. Eine Tasse Tee auf dem Sofa, eine Runde Yoga oder einfach mit einer Wärmflasche früh zu Bett gehen. An vitaleren Tagen, rund um den Eisprung, zehrt sie von ausgiebigen Spaziergängen und Joggingtouren oder widmet sich ihrer grossen Leidenschaft, dem Tanz. Ausgerechnet im dynamischen Contemporary-Tanz blüht Stefania Paganini auf. Dann legt sie ihre Insulinpumpe beiseite und wechselt auf den Pen, um sich uneingeschränkt durch den Raum zu bewegen – analog zu ihrem Diabetesmanagement, wo sie immer wieder aufs Neue lernt, loszulassen und ihrer weiblichen Intuition zu vertrauen. Wiederholt betont sie, wie essenziell es dabei sei, Ruhe zu bewahren und nicht in Stress zu verfallen. Diabetes und ein unregelmässiger Zyklus – zwei unberechenbare Grössen, die Stefania Paganini sich zu ihren Verbündeten gemacht hat. Sie fordern doppelte Aufmerksamkeit, aber sie danken es ihr mit mehr mentaler Stärke und physischem Wohlbefinden. Und gerade weil es keine festen Regeln im Zusammenspiel mit der Regel gibt, ist sie sich in einem ganz sicher: «Ich weiss, dass ich es noch besser hinbekommen werde!»