Stetoskop

Gehört: «In einer Zeitschrift habe ich gelesen, dass es ein neues Diabetesmedikament gibt, das Herzinfarkte verhindern kann. Sollte ich das nicht auch einnehmen?» fragt der 53jährige Herr O., Typ-2-Dia­betiker seit vier Jahren.

Geantwortet: Am Europäischen Diabetes-Kongress (EASD) in Stockholm im September 2015 sind tatsächlich sehr interessante Resultate einer Studie zum neuen Diabetesmedikament Jardiance® (Empagliflozin) vorgestellt worden. Doch beginnen wir von vorne:
Seit 2008 verlangen die Gesundheitsbehörden, insbesondere in den USA, für die Zulassung neuer Medikamente zur Behandlung des Diabetes immer auch einen Nachweis, dass diese Medikamente keine ungünstigen Einflüsse haben auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, dass insbesondere die Anzahl Herzinfarkte oder Hirnschläge nicht ansteigt und nicht mehr Menschen daran sterben. Wer vom betreuenden Arzt ein neues Medikament verschrieben bekommt, darf also davon ausgehen, dass dieses keine gefährlichen kardiovaskulären (= an Herz und Kreislauf) Nebenwirkungen verursacht.
In Stockholm wurden die Resultate der Studie präsentiert, welche diese Frage beim neuen Medikament Jardiance® untersuchte. Jardiance® (Empagliflozin) gehört zur Familie der Gliflozine bzw. der SGLT-2-Hemmer. Wir haben diese Medikamente vorgestellt im «d-journal» 234/2015. Wir erwähnten, dass sie durch eine Hemmung des sogenannten SGLT-2-Enzyms eine vermehrte Zuckerausscheidung der Nieren in den Urin und damit eine Senkung des Blutzuckers bewirken. Dies hat als Nebeneffekt auch eine Reduktion der dem Körper zur Verfügung stehenden Kalorien zur Folge, was zusammen mit dem vermehrten Wasserverlust eine Gewichtsabnahme begünstigt. Gleichzeitig wirkt der Wasserverlust auch leicht blutdrucksenkend, wie jedes andere wassertreibende Medikament auch.
Die Studie mit dem Namen «EMPA-REG OUTCOME» wurde durchgeführt mit 4 687 Probanden, die während durchschnittlich 3,1 Jahren 10 mg oder 25 mg Empagliflozin einnahmen. Die Resultate wurden verglichen mit einer Gruppe von 2 333 Menschen, die während dieser Zeit ein Scheinmedikament (Placebo) bekamen. Alle Studienteilnehmer hatten bereits mit Herz-Kreislauf-Problemen zu kämpfen (Herzinfarkt, Hirnschlag, Durchblutungsstörungen der Beine, koronare Herzkrankheit, Bypass-Operation an den Herzkranzarterien).
Völlig unerwartet bestätigten die Resultate nicht nur die Unbedenklichkeit von Empagliflozin in Bezug auf Herz und Kreislauf. Jardiance® hatte sogar eine schützende Wirkung: Im Vergleich mit Placebo starben während der Studienzeit 38 % weniger Patienten an kardiovaskulären Erkrankungen; 35 % weniger mussten wegen einer Herzschwäche (Herzinsuffizienz) hospitalisiert werden. Unverändert blieb die Anzahl nicht tödlicher Herzinfarkte und Hirnschläge. Wie aufgrund der Wirkungsweise der Medikamente zu erwarten war, konnte zudem der Blutdruck um etwa 5 mm Hg und das Gewicht um etwa 2 kg gesenkt werden. Diese erfreulichen Resultate wurden nicht erkauft durch schwere andere Nebenwirkungen. Es traten einzig – erwartungsgemäss und bereits zuvor gut bekannt – vermehrtes Wasserlösen und etwas gehäufte Infekte an den Geschlechtsorganen (Scheide bzw. Eichel) auf.
Mit weiteren Studien müssen Forscher nun versuchen, die durch die Resultate der EMPA REG-Studie aufgeworfenen Fragen zu beantworten.
Was sind die Mechanismen, welche diese sehr positiven, unerwarteten Wirkungen von Empagliflozin ermöglicht haben? Können die Resultate durch weitere Studien wirklich bestätigt werden? Hat nur Jardiance® günstige Wirkungen auf Herz und Kreislauf oder handelt es sich um einen «Substanzklassen-Effekt» aller Gliflozine, also auch von Forxiga® und Invokana®? Können auch Typ-2-Diabetiker profitieren, die noch keine kardiovaskulären Probleme haben? Wäre es sinnvoll, Empagliflozin wegen seiner guten Wirkung auf die Herzinsuffizienz auch einzusetzen bei Patienten mit einem kranken Herzen aber ohne Diabetes? Viele spannende Fragen für die kommenden Jahre!
Kommen wir zurück zu Ihnen, Herr O. Gemessen an einem HbA1c von 6,5 % ist Ihr Diabetes unter der aktuellen Behandlung gut eingestellt. Auch haben Sie erfreulicherweise noch keine Probleme mit Herz und Kreislauf. Damit drängt sich eine Therapieänderung zurzeit nicht auf. Sollte sich die Stoffwechselkontrolle in absehbarer Zeit aber verschlechtern, könnte Jardiance® durchaus als nächs­ter Behandlungsschritt in Erwägung gezogen werden.

AutorIn: Dr. med. K. Scheidegger