Kann ein ballaststoffhaltiger Kaugummi Stoffwechselprozesse günstig beeinflussen – ganz ohne zusätzliche Medikation oder Abnehmspritzen? Prof. Dr. Maria Balmer von der Universität Bern und dem Diabetes Center Berne spricht im Interview über die Idee hinter FibreGum, erste Erkenntnisse aus einer laufenden Studie mit übergewichtigen Kindern und die Vision, mithilfe gezielter Mikrobiomanalysen individuelle Ernährungslösungen zu entwickeln.
Ein funktioneller Kaugummi mit löslichen Ballaststoffen. Ziel ist es, das Mikrobiom zu beeinflussen, den Appetit zu regulieren und Übergewicht sowie metabolische Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes zu unterstützen – einfach, alltagstauglich und ohne Nebenwirkungen.Was ist FibreGum?
Unser Forschungsschwerpunkt liegt auf der Frage, wie man das Mikrobiom gezielt beeinflussen kann, um Menschen mit Übergewicht und Typ-2- Diabetes zu unterstützen. Die positive Wirkung von Nahrungsfasern auf das Mikrobiom und den Stoffwechsel ist gut belegt. Durch den Austausch mit einem Zahnmediziner, der an einem Kaugummi für Parkinson-Patienten arbeitete, entstand die Idee, lösliche Ballaststoffe in einen Kaugummi zu integrieren – mit dem Ziel, das Mundmikrobiom zu stärken und das Kauen zu fördern. Gerade Letzteres ist bei Menschen mit Übergewicht oft eingeschränkt. Mit Unterstützung eines Lebensmittelherstellers konnten wir das Projekt realisieren.
Warum spielt das Mikrobiom eine so zentrale Rolle?
Wir wissen seit Längerem, dass sich das Mikrobiom übergewichtiger Menschen in Zusammensetzung und Funktion deutlich von dem schlanker Personen unterscheidet. Lösliche Ballaststoffe dienen bestimmten Bakterien im Darm als Nahrungsquelle. Wenn diese aktiv werden, produzieren sie Stoffwechselprodukte, die sich positiv auf den Blutzucker, die Fettverbrennung und die Appetitregulation auswirken.
Wie ist der Stand der Studie? Gibt es schon erste Ergebnisse?
Da es sich um eine doppelblinde Studie handelt, sind wir aktuell noch verblindet – das heisst: Wir wissen selbst noch nicht, welche Teilnehmenden den Kaugummi mit Ballaststoffen erhalten haben. Erste Erkenntnisse zur Verträglichkeit und Akzeptanz sind aber vielversprechend – der Kaugummi wird von den Kindern gut angenommen und verursacht keine Nebenwirkungen.
Trotz laufender Studie sind Sie schon mit den nächsten Schritten beschäftigt. Wie geht es weiter?
Das Interesse am FibreGum ist unerwartet gross – nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen. Deshalb planen wir eine Folgestudie mit übergewichtigen Erwachsenen mit metabolischen Problemen wie Typ-2- Diabetes oder Fettleber. Diese zweite Studie wird im Sommer 2025 starten und dafür werden passende Personen über Hausarztpraxen rekrutiert. Unser Ziel: prüfen, ob das Konzept auch in dieser Zielgruppe funktioniert.
Was interessiert Sie besonders an dieser Folgestudie?
Wir wollen unter anderem untersuchen, ob bestimmte Personengruppen unterschiedlich auf verschiedene Ballaststoffe reagieren – zum Beispiel ob Frauen besser auf Inulin, Männer eher auf Pektin ansprechen. Spannend ist auch die Frage, ob sich aus Atemluftanalysen Rückschlüsse auf das Mikrobiom ziehen lassen.
Inwiefern unterstützt Sie das Diabetes Center Berne (DCB) dabei?
Das DCB begleitet uns bei der Planung der nächsten Studienphase, aber auch bei der Markteinführung. Besonders hilfreich sind auch das breite Netzwerk und die unternehmerische Expertise des DCB.
Sie erwähnten die Wirkung auf die Appetitregulation – könnte FibreGum eine Alternative zu den populären GLP-1-Präparaten werden?
Das ist eine spannende Frage. Wir wissen, dass bestimmte Stoffwechselprodukte, die beim Abbau der Ballaststoffe durch Darmbakterien entstehen, über ähnliche Signalwege wirken wie die bekannten GLP-1-Präparate. GLP-1 (kurz für Glucagon-like Peptide-1) ist ein körpereigenes Hormon, das nach dem Essen ausgeschüttet wird. Es hilft dabei, den Blutzucker zu regulieren, verzögert die Magenentleerung und reduziert das Hungergefühl. Die Idee ist, dass wir mit dem FibreGum die körpereigene GLP-1-Produktion auf natürliche Weise anregen können – ganz ohne Spritze. Und dafür braucht es keine Kühlkette, keine regelmässigen Injektionen und es funktioniert ohne die Nebenwirkungen einer medikamentösen Therapie. Ein weiterer möglicher Einsatzbereich wäre nach dem Absetzen solcher Medikamente: Viele Menschen nehmen danach wieder zu. Der Kaugummi könnte hier helfen, das Gewicht zu stabilisieren, indem er das Mikrobiom positiv beeinflusst – also die Bakterien im Darm, die eine wichtige Rolle im Stoffwechsel spielen. Unser Ziel ist eine einfache, niederschwellige Lösung, die bezahlbar ist, keine spezielle Lagerung braucht und dennoch wirksam ist – auch in Ländern oder Regionen, wo medikamentöse Therapien schwer zugänglich sind.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Mikrobiomforschung bei Diabetes?
Ich sehe grosses Potenzial in einer segmentierten, also zielgruppenspezifischen Herangehensweise. Wir arbeiten noch oft mit allgemeinen Aussagen, die nicht für alle Menschen mit Typ-2-Diabetes oder Übergewicht zutreffen. Zudem wissen wir viel über die Zusammensetzung des Mikrobioms – aber noch zu wenig über dessen Funktion. Das sollten wir künftig stärker in den Fokus nehmen.

Über Maria Balmer
Maria Luisa Balmer ist SNSF-Professorin und Forschungsgruppenleiterin an der Universität und dem Inselspital Bern. Sie erforscht mit ihrem Team am DCB den Zusammenhang zwischen der Mikrobiota, dem Metabolismus und dem Immunsystem im Kontext von Adipositas und Diabetes. Sie ist Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin und in der Sprechstunde für Osteometabolik an der Universitätsklinik für Endokrinologie und Diabetologie in Bern tätig. Ihr Ziel ist es, die Mechanismen und Folgen von Übergewicht und Diabetes grundlegend zu erforschen und dadurch das Fundament für innovative Therapien zu legen. Zudem ist Maria Luisa Balmer die Preisträgerin des Marie Heim-Vögtlin Preises 2023. Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) verlieh ihr den Preis für ihre Forschung über Darmbakterien und deren Rolle bei der Entstehung von Diabetes und krankhaftem Übergewicht.
