Reagens-Glas vir Schriftzug Immonologie

Eine zunehmende Anzahl Krankheiten wird heutzutage mit einem Defekt des Immunsystems in Zusammenhang gebracht. Dies führt dazu, dass eine Reihe von Krankheiten mit Medikamenten behandelt wird, die ins Immunsystem eingreifen. Beispiele dafür sind zahlreiche Krebserkrankungen (z. B. Melanome = schwarzer Hautkrebs), Hautkrankheiten (z. B. Psoriasis), verschiedene Darm­erkrankungen (z. B. Colitis ulcerosa) und andere mehr. In diesem Artikel werden wir diskutieren, ob auch der Diabetes mit solchen Medikamenten behandelt werden könnte und welche Verbesserungen durch die Behandlung zu erhoffen sind.

Ursprünglich wurden Immunsystem und Metabolismus (Stoffwechsel) als zwei verschiedene Systeme mit unterschiedlichen Funktionen wahrgenommen: Das Immunsystem ist für die Abwehr zuständig, und der Metabolismus reguliert die Verteilung und Verwertung der Nahrung. Diese Denkweise führte dazu, dass in den beiden Bereichen weitgehend unabhängig geforscht wurde. Zusammenarbeit bestand fast keine. Auch klinisch gab es zwischen Immunologen und Endokrinologen fast keinen Gedankenaustausch, obwohl eigentlich schon immer bekannt war, dass zwischen den beiden Systemen Wechselbeziehungen bestehen: Steroidhormone (Kortison) beispielsweise können das Immunsystem wirkungsvoll unterdrücken (= Immunsuppressoren). Gleichzeitig führen sie zu einer Erhöhung des Blutzuckers.
Wenn der Mensch als Ganzes betrachtet wird, macht es sehr viel Sinn, dass Immunsystem und Metabolismus zusammenarbeiten müssen: Bei einer Infektionskrankheit z. B. muss das Immun­system innert kürzester Zeit eine Abwehr aufbauen, was dem Körper einiges an Energie abverlangt. Genau dieser grosse Energiebedarf ist mitverantwortlich, dass es im Hungerzustand häufiger zu Epidemie-Erkrankungen kommt: In dieser Situation hat der Körper zu wenig Energie und kann sich deshalb keine Immunantwort leisten, da die wenigen verbleibenden Kalorien für die minimalen Überlebensfunktionen gebraucht werden.
Das Immunsystem arbeitet also sehr eng mit dem Metabolismus zusammen. Es zeigt sich, dass verschiedenste Moleküle, die typischerweise für eine Regulierung des Immunsystems verantwortlich sind, auch einen Einfluss auf den Metabolismus haben. Typische Botenstoffe dafür sind die beiden sogenannten Zytokine Interleukin-1β (IL-1β) und Interleukin-6 (IL-6). Das IL-1β stimuliert unter gewissen Umständen die Insulinsekretion. IL-6 aktiviert das GLP-1, was dazu führt, dass während einer akuten Entzündung keine Energie im Verdauungstrakt verbraucht werden muss. Es macht also Sinn, dass Nährstoffe diese Zytokine anregen können. Es wurde auch gezeigt, dass Glukose sowohl das IL-1β wie das IL-6 stimuliert.
Wird der Organismus mit einem Überangebot an Nahrung strapaziert, lösen die Nährstoffe im Immunsystem ein falsches Signal aus. Es wird deshalb übermässig gebraucht und dadurch überaktiviert.
Es ist heute gut belegt, dass sich das Immun­system bei übergewichtigen Menschen in einer chronischen Überaktivierung befindet; dies wiederum führt zu einer Verschlechterung der Insulinsekretion und der Insulinwirkung. Zudem zeigt sich auch, dass diese chronische Entzündung zu Diabetes-Komplikationen wie kardiovaskulären Erkrankungen (Arteriosklerose-bedingter Herzinfarkt, Hirnschlag) sowie Nieren- und Augenkomplika­tionen beiträgt.
Basierend auf diesen Erkenntnissen werden zurzeit verschiedenste Immuntherapien zur Behandlung des Diabetes und seiner Komplikationen untersucht.
Als erstes wurde gezeigt, dass man die Insulin­sekretion durch die Blockierung des IL-1β-Systems verbessern kann. Dieser Effekt kann interessanterweise bis zu neun Monate anhalten. Weitere Untersuchungen ergaben, dass diese Therapie auch bei Prädiabetikern wirksam ist und die Insulinsekre­tion schon in diesem Frühstadium verbessern kann.
In den ersten Untersuchungen wurde der IL-1-­Rezeptor-Antagonist Anakinra (ein Blocker des IL-1-Systems) benutzt. Anakinra muss täglich gespritzt werden. In Nachfolge-Studien wurden Antikörper eingesetzt, die das IL-1β blockieren. Diese haben den Vorteil, dass sie lediglich einmal monatlich oder sogar noch seltener verabreicht werden müssen.
Da angenommen wird, dass IL-1β auch eine wichtige Rolle im kardiovaskulären System spielen könnte, läuft momentan eine grössere Studie, an der 10 000 Patienten teilnehmen. Ihnen wird in einem 3-monatlichen Intervall ein IL-1β-Blocker verabreicht. Ziel der Untersuchung ist festzustellen, ob dadurch die kardiovaskulären Erkrankungen verbessert werden können und der Diabetes weniger häufig auftritt bzw. sich dessen Verlauf durch die Gabe von IL-1β-Blocker günstig beeinflussen lässt. Bei diesen Studien sind schon alle Patienten eingeschlossen; die Resultate werden in ein bis zwei Jahren erwartet. Weitere immun-modulierende (das Immunsystem beeinflussende) Therapien, die einen günstigen Einfluss auf den Diabetes haben können, sind TNF-Antagonisten und Salsalat.
Obschon noch einige Untersuchungen notwendig sind, bis der Diabetes und dessen Komplikationen mit immun-modulierenden Therapien behandelt werden können, profitieren schon jetzt einige Patien­ten davon. Es ist nämlich so, dass – wie oben erwähnt – gewisse entzündliche Krankheiten bereits heute durch eine Immuntherapie behandelt werden. Leidet der Patient gleichzeitig auch unter Dia­betes, so werden «zwei Fliegen auf einen Streich» therapiert. Es konnte auf diese Weise gezeigt werden, dass Patienten mit rheumatoider Arthritis und Diabetes von einem TNF-Antagonisten profitieren, weil das Medikament nicht nur die Arthritis verbessert, sondern sich gleichzeitig auch positiv auf den diabetischen Stoffwechsel auswirkt. Dasselbe gilt bei Gichtarthritis, die sich sehr gut mit einer Anti-IL-1-Therapie behandeln lässt. Auch hier verbessert sich gleichzeitig der Diabetes. Ein weiteres Beispiel ist die Psoriasis, die häufig mit Dia­betes assoziiert ist, und ebenfalls mit TNF-Antagonisten behandelt wird.
Auf dem Gebiet der immun-modulierenden Therapie des Diabetes, dessen Komplikationen und weiterer damit assoziierter Erkrankungen wird zurzeit sehr aktiv geforscht. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, inwiefern sich diese Therapie etabliert und bei welchen Patienten sowie in welchen Erkrankungsstadien sie erfolgreich eingesetzt werden kann. Es ist zu erwarten, dass durch die direkte Beeinflussung der Krankheitsentstehung ein breiter und tiefgreifender Effekt erzielt wird. Dies befreit uns jedoch nicht vor einer «Lifestyle»-Intervention mit regelmässiger körperlicher Aktivität, ausgewogener Ernährung und Gewichtsregulierung, der wirklich ursächlichen Behandlung der Krankheit.

Prof. Marc Y. Donath, Chefarzt Endokrinologie, Diabetologie und Metabolismus, Universitätsspital Basel

Literatur: Donath MY, Nature Reviews Drug Discovery. 2014 Jun;13(6):465-76. Targeting inflammation in the treatment of type 2 diabetes: time to start.