Osteoporose - auf Laptop geschrieben

Sie wissen, dass es bei Personen mit einer Osteo­porose zu einem verstärkten Verlust von Knochenmasse kommt, zum Teil begleitet von verminderter Knochenqualität. Wieso aber kommt es bei Diabetikern gehäuft zu Knochenbrüchen?

Der Diabetes ist ein wichtiger Risikofaktor für die Entwicklung von niedrigtraumatischen Knochenbrüchen, d. h. Knochenbrüchen ohne wesentliche Krafteinwirkung, zum Beispiel bei einem Sturz aus dem Stand. Auch vielen Ärzten ist dies noch zu wenig bekannt. Bei Typ-1-Diabetikern ist das Knochenbruchrisiko im Vergleich zu Nicht­diabetikern 6- bis 7-fach erhöht. Vermehrt kommt es zu niedrig­traumatischen Brüchen der Wirbelsäule, der Arme und Beine. Hüftfrakturen treten im Schnitt 10 – 15 Jahre früher auf als in der Normalbevölkerung. Typ-2-Diabetiker erleiden vor allem Frakturen der unteren Extremitäten: Für Oberschenkelhalsbrüche ergibt sich sowohl für Männer als auch für Frauen ein zweifach erhöhtes Risiko.
Problematisch bei der Osteoporosediagnostik ist, dass Patienten mit einem Typ-2-Diabetes trotz erhöhtem Frakturrisiko oft normale oder sogar hochnormale Werte in der Knochendichtemessung aufweisen. Bei der Diagnosestellung ist daher zu beachten, dass die Ergebnisse der Knochendichtemessung das Frakturrisiko der Typ-2-Diabetiker unterschätzen. Eine umfassende Osteoporose­diagnostik, die die individuellen Risikofaktoren zur Knochenbrüchigkeit (siehe nachfolgend) berücksichtigt, ist gerade für Diabetiker besonders wichtig.
Man geht davon aus, dass sowohl bei Typ-1- wie auch bei Typ-2-Diabetikern eine verminderte Knochenqualität für das erhöhte Knochenbruchrisiko verantwortlich ist. So zeigten verschiedene Studien eine veränderte Knochenarchitektur mit zum Teil dünnerer Knochenwand und geringerer Anzahl von Knochenbälkchen.

Wann sollten Sie als Diabetiker eine Osteoporose­diagnostik durchführen lassen?
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, neben dem Diabetes zusätzliche Risikofaktoren für eine Osteoporose zu kennen.
Gemäss der aktuellen Studienlage gelten die folgenden Empfehlungen:

Empfehlungen zur Osteoporosediagnostik bei Diabetikern gemäss SVGO Leitlinie 2015 und DVO Leitlinie 2017

Bei jedem Diabetiker, der einen niedrigtraumatischen Knochenbruch, einen Oberschenkelhalsbruch oder eine Wirbelkörperfraktur erlitten hat, sollte eine Osteoporosediagnostik durchgeführt werden.

Typ-1-Diabetes ohne Knochenbrüche
Eine Osteoporoseabklärung wird bei Frauen ab der Menopause, bei Männern ab dem 60. Lebensjahr empfohlen.

Typ-2-Diabetes ohne Knochenbrüche
Eine Osteoporoseabklärung wird bei Frauen > 60 Jahren und Männern > 70 Jahren bei gleichzeitigem Vorliegen weiterer Risikofaktoren (siehe nachfolgend) empfohlen.

Bei Vorliegen einer Osteoporose gelten bezüglich der Therapie für Diabetiker bisher die gleichen Empfehlungen wie für Nichtdiabetiker: Neben einer ausreichenden Calcium- und Vitamin-D-Versorgung und regelmässiger körperlicher Aktivität werden meist sogenannte Antiresorptiva (= den Knochenabbau hemmende Medikamente) wie Bisphosphonate oder Denosumab (Prolia®) eingesetzt. Je nach Schweregrad der Osteoporose ist aber auch eine Behandlung mit dem den Knochen aufbauenden Teriparatid (Forsteo®) zu erwägen, dies insbesondere, da bei langjähriger Diabetesdauer v. a. der Knochenanbau eingeschränkt ist.

Gibt es eine diabetesspezifische Knochenerkrankung?
Ist das erhöhte Knochenbruchrisiko bei Diabetikern eine diabetesspezifische Komplikation, ähnlich wie beispielsweise die Augenhintergrundveränderungen? Kann man vielleicht sogar von einer diabetischen Knochenerkrankung sprechen? Und wenn ja, wie kann man herausfinden, welche Dia­betiker davon betroffen sind und welche nicht? Gibt es eine spezifische Behandlung oder vielleicht eine Prophylaxe für durch Diabetes ausgelöste Knochenbrüche? Dies alles ist Gegenstand aktueller Forschung und wird zum Teil noch kontrovers diskutiert.
Lange wurde davon ausgegangen, dass das gehäufte Zusammentreffen von Diabetes und Osteoporose einzig der grossen Häufigkeit beider Erkrankungen gerade im höheren Lebensalter geschuldet ist. Patienten mit diabetischen Folgeerkrankungen wie Sehschwäche, Gleichgewichtsstörungen oder gehäuften Unterzuckerungen neigen dazu zu stürzen, wodurch ein Teil der Knochenbrüche erklärt werden kann. Allerdings bleibt, wie in mehreren grossangelegten Studien gezeigt wurde, das Knochenbruchrisiko der Diabetiker erhöht, auch wenn Sturzereignisse nicht mitberücksichtigt werden.

Risikofaktoren für Knochenbrüche

Allgemeine Risikofaktoren
– häufige Sturzereignisse
– Untergewicht
– vorausgegangene niedrigtraumatische ­Knochenbrüche
– Hüftbruch eines Elternteils
– Rauchen
– Alkoholkonsum > 3 Einheiten/Tag
– Langfristige Therapie mit Glukokortikoiden
– Rheumatoide Arthritis

Diabetesspezifische Risikofaktoren
– Diabetesdauer >  5 Jahre
– Therapie mit Insulin
– Hypoglykämien
– Diabetestherapie mit Thiazolidinedionen (z. B. Pioglitazon®)
– HbA1c > 8%
– Diabetiker/-innen mit Retinopathie, peripherer Neuropathie, Nephropathie oder Herzkreislauf­erkrankungen

Bei Vorliegen mehrerer Risikofaktoren ist eine ­Osteoporosediagnostik in Einzelfällen auch schon ab dem 50. Lebensjahr zu erwägen. ­Sprechen Sie mit Ihrem Arzt.

Aktuelle Studienergebnisse legen nahe, dass das Vorliegen von Diabetesfolgeerkrankungen wie Sehschwäche, Nieren- und Nervenschäden das Knochenbruchrisiko erhöhen kann. Bei Patienten mit Diabetesfolgeerkrankungen könnten Veränderungen des Blutflusses im Knochengewebe zu einem strukturell minderwertigen Knochen führen.
Auch eine schlechte Diabeteseinstellung mit chronisch stark erhöhten Blutzuckerwerten könnte vor allem bei langjährigen Typ-1- und Typ-2-Diabetikern über eine Veränderung des Knochenbindegewebes (Kollagen) zum erhöhten Knochenbruchrisiko beitragen: Durch eine irreversible Reaktion des Zuckers mit Kollagen entstehen sogenannte «advanced glycation end products (AGEs)». Im Zusammenhang mit oxidativem Stress und Auslösung von Entzündungsreaktionen könnten sie die Blutversorgung des Knochens beeinträchtigen: In einer Art Teufelskreis verstärken sich oxidativer Stress und AGEs gegenseitig und werden mit einer beschleunigten Knochenalterung in Verbindung gebracht.
Bezüglich der medikamentösen Behandlung des Diabetes gelten Metformin wie auch die GLP-1-Analoga und DPP-4-Inhibitoren als neutral bezüglich des Knochenbruchrisikos. Eine Behandlung mit Sulfonylharnstoffen kann über gehäuft auftretende Hypoglykämien zu Stürzen und damit einhergehend zu Frakturen führen. Die Insulintherapie gilt ebenfalls als Risikofaktor für Frakturen. Ob hier neben dem Hypoglykämierisiko auch andere Mechanismen eine Rolle spielen, ist Gegenstand aktueller Forschung. Die Datenlage bezüglich der SGLT2-Inhibitoren ist bisher uneinheitlich. Hier müssen weitere Studienergebnisse abgewartet werden. Für die Thiazolidinedione ist bekannt, dass sie über eine gestörte Differenzierung der Osteo­blasten (der knochenaufbauenden Zellen) die Knochenneubildung negativ beeinflussen: Eine Behandlung mit Pioglitazon ist so mit einem erhöhten Knochenbruchrisiko verbunden.
Generell empfiehlt es sich gemäss aktueller Datenlage, Diabetesfolgeerkrankungen auch in Hinblick auf die Knochengesundheit konsequent zu suchen und zu behandeln. Hypoglykämien sollten aufgrund des damit verbundenen erhöhten Sturzrisikos mit Frakturgefahr vermieden werden. Bei Diabetikern mit Risikofaktoren für Knochenbrüche sollte auf eine Therapie mit Thiazolidinedionen oder Sulfonylharnstoffen wenn möglich verzichtet werden.
Welche genauen Effekte die Diabeteserkrankungsdauer, die Blutzuckereinstellung sowie die diabetischen Spätkomplikationen auf die Knochenarchitektur haben, ist bisher erst unzureichend untersucht.
Um dieser Fragestellung auf den Grund zu gehen, führen wir an der Abteilung Endokrinologie am Universitätsspital Basel zwei grossangelegte Studi­en zur Knochenarchitektur von Typ-2-Diabetikern (DiabOS) und Typ-1-Diabetikern (BOLD-1) durch und würden uns über weitere Studienteilnehmer freuen.
Die Studienergebnisse sollen dazu beitragen, zugrundeliegende Mechanismen der Knochenbrüchigkeit bei Typ-1- sowie Typ-2-Diabetikern zu erfassen, um in Zukunft diejenigen Diabetiker mit erhöhtem Frakturrisiko frühzeitig erkennen und gezielter behandeln zu können.

Dr. med. Lilian Sewing
Prof. Dr. med Christian Meier
Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Metabolismus,
Universitätsspital Baselund Endonet – Endokrinologische Praxis & Labor, Basel