Prinzipiell kann jede Substanz, sei es ein «offizielles» Medikament – auch solche, die ohne Rezept erhältlich sind –, ein pflanzliches Präparat oder ein Nahrungsergänzungsmittel, einen Einfluss
auf den Blutzucker haben. Die Verabreichungsart spielt dabei eine untergeordnete Rolle: Unabhängig davon, ob eine Tablette geschluckt wird, ob Augentropfen, Nasenspray oder eine Salbe appliziert werden, nimmt der Körper den Wirkstoff auf, und es kann zu Nebenwirkungen und Interaktionen kommen.

Personen mit Diabetes, die ein neues Präparat einnehmen, sollen immer vorgängig mit ihrer Apothekerin, dem Hausarzt oder der Diabetologin dies besprechen und abklären, ob Änderungen des Blutzuckers (Anstieg oder Abfall) zu erwarten sind. In der Apotheke wird das bei neuen Medikamenten in der Regel routinemässig durch einen sogenannten «Interaktions-Check» gemacht. Grösste Vorsicht ist bei Substanzen geboten, die im Internet bestellt werden, da häufig unklar ist, was im jeweiligen Präparat enthalten ist und in welchem Umfang.

Blutzucker beobachten auch bei gängigen Präparaten

Speziell in der Anfangsphase, wenn mit einem neuen Medikament begonnen wird, können sich Veränderungen stark bemerkbar machen. Hier gilt die generelle Empfehlung, den Blutzucker in dieser Zeit besonders zu überwachen, zum Beispiel durch regelmässige kapilläre Blutzuckermessungen oder das Tragen eines Glukosesensors. Gewisse Medikamente wie Paracetamol und Aspirin in hohen Dosen sowie Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamin C können die Genauigkeit von kontinuierlichen Glukosemesssystemen verändern. Ob und wie die Messresultate beeinflusst werden, hängt vom Medikament, der Dosis und auch von den Sensormerkmalen (Hersteller, Sensorgeneration) ab. Es lohnt sich deshalb in diesen Fällen, die Website des Anbieters zu konsultieren, wo die aktuellen Informationen ersichtlich sind.

Diverse Faktoren führen zu Unterzuckerung

Wichtig ist auch, sich bewusst zu sein, dass es andere Faktoren gibt, die die Wirkungen von Medikamenten auf den Zuckerwert verstärken können. Das betrifft im Besonderen Zustände, die zu einem erhöhten Hypoglykämierisiko führen, wie zum Beispiel eine eingeschränkte Nierenfunktion, eine lange Diabetesdauer, die Einnahme zahlreicher Medikamente (sog. Polypharmazie), ein hohes Alter oder eine demenzielle Erkrankung. Auch sportliche Aktivitäten und der Konsum von Alkohol können Unterzuckerungen begünstigen.

Natürlich spielt auch die Art der Diabetesbehandlung eine zentrale Rolle, wenn andere Medikamente zusätzlich verordnet werden. Insulin, sei es ein Basisoder ein Mahlzeiten-Insulin oder Insulin in der Pumpe, ist das Diabetesmedikament mit dem potenziell höchsten Unterzuckerungsrisiko. Bei den Diabetestabletten (orale Antidiabetika) sind es vor allem die Sulfonylharnstoffe (z. B. Amaryl® oder Diamicron®), die Hypoglykämien auslösen können. Sie werden heutzutage aber nur noch selten eingesetzt. Metformin und die neueren Diabetesmedikamente (GLP-1 Agonisten, GIP-/GLP-1-Agonisten und SGLT-2-Hemmer) führen als Monotherapie oder in der Kombination untereinander nicht zu tiefen Zuckerwerten und sind deshalb bei der Behandlung des Typ-2-Diabetes ideale Substanzen.

So beeinflussen Medikamente den Blutzucker

Medikamente können prinzipiell über vier verschiedene Mechanismen den Blutzucker und Unterzuckerungssymptome beeinflussen:

1. Medikamente werden über verschiedene Prozesse im Körper aufgenommen, abgebaut und über Leber und Niere wieder ausgeschieden. Der Abbau von Diabetesmedikamenten kann durch andere Präparate gehemmt oder beschleunigt werden, was zu tiefen oder hohen Blutzuckerwerten führen kann.

2. Medikamente können die Ausschüttung von körpereigenem Insulin hemmen oder fördern, was in einer Überzuckerung respektive Unterzuckerung resultieren kann. Dazu zählen gewisse Antibiotika (Chinolone), die die Insulinausschüttung aus der Bauchspeicheldrüse fördern.

3. Die Insulinwirkung kann durch Präparate abgeschwächt werden, dann spricht man von einer Insulinresistenz. Typisch ist dies beispielsweise, wenn kortisonhaltige Präparate eingenommen werden, was häufig rasch die Glukosewerte ansteigen lässt. Auch das Gegenteil kann eintreten, das heisst, das Insulin kann besser wirken. Hier spricht man von einer Zunahme der sogenannten Insulinsensitivität. Dies kann auftreten bei der Behandlung mit Mitteln gegen Depressionen (Antidepressiva vom SSRI-Typ) oder Blutdrucksenkern vom ACE-Hemmer-Typ.

4. Gewisse Medikamente können Hypoglykämiesymptome wie zum Beispiel Herzklopfen, Schwitzen und Zittern abschwächen. Dies ist klassischerweise bei speziellen Herz-Kreislauf-Medikamenten, den Betablockern, bekannt. Bei diesen gibt es jedoch eine recht grosse Bandbreite an verfügbaren Präparaten. Prinzipiell weisen jene, die nur am Herzen wirken (sogenannte kardioselektive Betablocker), das geringste Risiko auf.

Wechselwirkung auch umgekehrt möglich

Diabetesmedikamente können ihrerseits einen Einfluss auf die Wirksamkeit anderer Präparate haben. So kann der GIP-/GLP-1-Agonist (Tirzepatid/Mounjaro®) die Wirksamkeit der Antibabypille herabsetzen, da weniger Wirkstoff über den Magendarmtrakt aufgenommen wird.

Achtgeben lohnt sich

Viele Medikamente weisen ein Potenzial auf, den Blutzucker zu senken oder zu erhöhen. Die Veränderungen können, was häufig der Fall ist, nur gering ausgeprägt sein oder ganz fehlen. Das heisst, das Medikament verursacht nicht bei allen Betroffenen relevante Änderungen des Zuckerspiegels. Das betrifft vor allem auch die Herz-Kreislauf-Medikamente wie Betablocker oder
ACE-Hemmer (vgl. oben), die sehr häufig bei Betroffenen mit Diabetes mellitus gegeben werden und mit ihrem Nutzen (Blutdrucksenkung, Nierenschutz) das Risiko einer möglichen Unterzuckerung bei Weitem übersteigen. Anders ausgedrückt: Unter den entsprechenden Vorsichtsmassnahmen und Verhaltensregeln können diese Medikamente ohne Probleme eingenommen werden, ohne dass die Betroffenen schwere Unterzuckerungen riskieren. Bei Verunsicherungen ist es immer gut, mit der Ärztin, dem Diabetologen oder der Apothekerin zu sprechen.

 

Das wichtigste in Kürze:

 

• Sprechen Sie mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Apotheker, bevor sie eine Substanz einnehmen.

• Achten Sie besonders bei Beginn der Einnahme des neuen Medikaments auf Blutzuckerschwankungen und kontrollieren Sie den Blutzucker regelmässig.

• Seien Sie sich bewusst, dass andere Faktoren wie Alkoholkonsum oder sportliche Aktivitäten – zusätzlich zu neuen Medikamenten – den Blutzucker beeinflussen können.

• Viele der Medikamente mit einem potenziellen Risiko für Hypoglykämien werden zum Schutz des Herz-Kreislauf- Systems oder der Niere eingesetzt. Das Risiko für relevante Unterzuckerungen ist unter den genannten Vorsichtsmassnahmen verschwindend klein und der medizinische Nutzen überwiegt bei Weitem.

AutorIn: Dr. med. Stefan Fischli