«Was sind das für merkwürdige Knubbel am Bauch?»

Das Medikament Insulin zeigt bei der Anwendung nur sehr wenige Nebenwirkungen. Eine davon ist die mögliche Entwicklung von Lipohypertrophien (kurz Lipos) – einem übermässigen Wachstum der Fettzellen unter der Haut, wo das Insulin injiziert wird. Die Hautveränderungen erscheinen wie Kissen, Knubbel oder Speckfalten. Das hier injizierte Insulin kann möglicherweise nicht mehr seine gewünschte Wirkung auf den Blutzucker entfalten.

Sylke Hauf, Diabetesfachberaterin

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Die Therapie mit Insulin stellt einen der Grundpfeiler im Management des Diabetes dar, weil sie die effektivste Massnahme ist, um eine möglichst physiologische Blutzuckereinstellung zu erreichen. Es gibt viele Faktoren, die für eine erfolgreiche Insulintherapie und damit für die gewünschte Blutzuckereinstellung zu beachten sind. Von kontrollierten Experimenten ist bekannt, dass das gleiche subkutan injizierte (unter die Haut gespritzte) Insulin von Person zu Person unterschiedlich gut wirkt, sogar bei der selben Person hat es nicht immer die gleiche Wirkung.

Die Forschung zeigt auch, dass zusätzlich die korrekte, alltägliche Durchführung der Insulintherapie durch die Betroffenen einen grossen Einfluss auf die beabsichtigte Wirkung des Insulins und damit auf die Einstellung des Blutzuckers hat. Faktoren wie die korrekte Lagerung von Insulin, gut durchmischte Insulinsuspensionen, Injektionen zum richtigen Zeitpunkt an der optimalen Körperstelle in die subkutane Hautschicht, der Einsatz eines/einer korrekt funktionierenden Insulinpens/Pumpe und eine korrekte Spritztechnik mit der passenden Nadellänge können viel dazu beitragen, den Blutzucker optimal einzustellen.

Zu Faktoren, welche den Blutzucker negativ beeinflussen können, gehören die Lipohypertrophien (Lipos). Sie sind eine häufige Nebenwirkung bei Menschen mit Insulintherapie. Bis zu 50 % der Betroffenen entwickeln Lipos, das heisst ein verstärktes gutartiges Wachstum des subkutanen Fettgewebes, lokalisiert im Bereich der Injektionsstellen. Die Lipos sehen aus wie Hügel, Knubbel, Kissen oder Speckfalten.

Beim Abtasten fühlt sich das Gewebe fester an als normal. Eventuell können harte Stellen oder Knoten erfühlt werden. Neuerdings stehen auch technische Methoden zur Diagnostik zur Verfügung wie hochwertige Wärmebildkameras (Thermographie) oder Ultraschall. In der Grösse können Lipos sehr variieren, von einem Zweifränkler bis hin zu flächendeckend am Bauch und Oberschenkel. Grössere Lipos sind kosmetisch oder auch praktisch gesehen störend, wenn sie zum Beispiel an den Kleidern reiben.

Warum beeinflussen Lipos den Blutzucker negativ?

Es wird allgemein davon ausgegangen, dass in Lipos injiziertes Insulin unkalkulierbar resorbiert, also aufgenommen wird. Damit entfaltet es eine andere Wirkung als geplant, der Blutzucker schwankt unberechenbar, und in der Folge wird die Stoffwechseleinstellung des Diabetes negativ beeinflusst. Meist ist die Resorption eingeschränkt, das heisst, die Verfügbarkeit des Insulins ist reduziert, weshalb die Betroffenen immer höhere Insulindosen benötigen, um einen guten Blutzucker zu erreichen. Auf der anderen Seite kann die Resorption des Insulins auch beschleunigt sein und der Blutzucker fällt schneller ab als erwünscht. Was genau wann passiert, ist nicht kalkulierbar. Die Forschung hat noch keine eindeutige Erklärung für den Mechanismus der veränderten Insulinresorption. Die meisten Studien weisen die Blutzuckerveränderung bei Insulininjektion in Lipos nach, können aber keine exakte Begründung geben.

Risikofaktoren für die Entwicklung von Lipos

Je länger die Insulintherapie schon dauert und je länger eine Person immer wieder an der selben Körperstelle injiziert, umso eher wird sich ein Lipo entwickeln. Das gleiche gilt, wenn Pennadeln zu selten gewechselt werden. Früher, als wenig gereinigte Insulinpräparate eingesetzt wurden, trat das Phänomen der Lipos noch häufiger auf. Bei den modernen Injektionssystemen mit Insulinpumpen können Lipos an den Einstichstellen der Katheter entstehen. Leider gibt es keine verlässlichen Studien aus der Praxis (randomisierte prospektive Interventionsstudien), welche die genannten Faktoren als Ursache für die Lipos eindeutig beweisen würden. Der Zusammenhang zwischen den Risikofaktoren und der Häufigkeit des Auftretens von Lipos beruht nur auf Beobachtungen. Plausibel scheint aber folgende Ursache zu sein: Die kleinsten Gewebeverletzungen an den Spritzstellen führen zusammen mit der fettaufbauenden Wirkung von Insulin zu übermässigem Wachstum der Fettzellen.

Als Diabetesfachberaterin mit langjähriger Praxis habe ich die Zusammenhänge zwischen Lipos und Insulinwirkung oft gesehen und kann sie bestätigen.

Lipos lassen sich vermeiden

Als Diabetesfachberaterin mit langjähriger Praxis habe ich die Zusammenhänge zwischen Lipos und Insulinwirkung oft gesehen und kann sie bestätigen. Solange es gute Anhaltspunkte dafür gibt, dass Injektionen in Lipos negative Folgen für den Blutzucker haben, ist es wichtig, dass Diabetesbetroffene mit Insulintherapie die Problematik der Lipos kennenlernen. In der Diabetesberatung wird erklärt, was Lipohypertrophien sind und wie sie sich auswirken. Eine gute Nachricht ist, dass Lipos vermeidbar sind. In der Diabetesfachberatung sind die zwei einfachen, wirksamen Vorbeugungsmassnahmen immer ein Thema:

1. Niemals in die selbe Injektionsstelle stechen.

Jede Person mit Insulintherapie sollte unter Anleitung ihr individuelles Rotationsschema finden, um zu bestimmen, an welchen unterschiedlichen Stellen sie ihr Insulin injizieren bzw. ihren Katheter für die Insulinpumpe setzen möchte. Dabei wäre es optimal, zwischen den Injektionen jeweils zwei Finger breit Platz zu lassen und das Injektionsareal möglichst grossflächig auszunutzen.

2. Nadel am Insulinpen jedes Mal wechseln.

Laut den Herstellern ist eine Pennadel ein Einmalprodukt. Bei häufigem Benutzen kann die Nadel ihren Gleitfilm verlieren, immer mehr abstumpfen, und das Gewebe bei jedem Stich strapazieren.

 

In der Diabetesberatung schaut eine Fachperson die Injektionsstellen regelmässig an, und es wird der Umgang mit den Injektionen diskutiert, um der Entwicklung von Lipos vorzubeugen. Bei bestehenden Lipos werden alternative Stellen für die Injektion gesucht, damit sich das veränderte Hautgewebe erholen kann. Finden die Injektionen an neuen Stellen statt, wo das Gewebe gesund ist, muss oft die Insulindosis angepasst werden. Eine Lipohypertrophie kann sich zurückentwickeln – es dauert aber lange, je nach Ausprägung Monate bis Jahre, im schlechtesten Fall nie. Die Lipos möglichst zu vermeiden, ist in jeder Hinsicht gut.

Aus Sicht der Diabetesfachberatung trägt die gezielte Vorbeugung von Lipohypertrophien respektive der bewusste Umgang mit einer bestehenden Lipohypertrophie zur Optimierung der Insulintherapie bei. Denn auch so kann Einfluss auf die positive Wirkung von Insulin und damit auf die gute Blutzuckereinstellung genommen werden.

Fazit

Aus Sicht der Diabetesfachberatung trägt die gezielte Vorbeugung von Lipohypertrophien respektive der bewusste Umgang mit einer bestehenden Lipohypertrophie zur Optimierung der Insulintherapie bei. Denn auch so kann Einfluss auf die positive Wirkung von Insulin und damit auf die gute Blutzuckereinstellung genommen werden.

 

Bei weitergehendem Interesse am Thema: Die Literaturliste der Autorin wird auf Anfrage per E-Mail geschickt. Schreiben Sie bitte an d-journal@diabetesschweiz.ch