Zeichen der verschiedenen Religionen

Ein Problem, dem Diabetologen in ihrer Sprechstunde immer öfter begegnen, ist die zunehmende Zahl von diabetischen Einwanderern. Es ist deshalb wichtig, dass Ärzte die Ernährungsgewohnheiten der Herkunftsländer ihrer Patienten und auch deren religiöse Bräuche kennen, um für sie ein Ernährungsprogramm aufzustellen, das ihren Essensgewohnheiten entspricht.

Man muss Glaubensbekenntnisse und Religionen kennen, die den Genuss einzelner Lebensmittel einschränken oder verbieten. Insbesondere in unserer Zeit so starker Migration sind fremde Essensgewohnheiten ein wichtiges Thema, durch welches man mit den Kulturen der Menschen in Kontakt kommt. Ernährungsgewohnheiten stellen die erste Verbindung dar zwischen der Esskultur des Aufnahmelandes und derjenigen des Herkunftslandes.
Das geht auch daraus hervor, dass in unseren Städten immer mehr fremdländische Restaurants eröffnet werden. Und es entstehen auch immer zahlreichere Geschäfte, die Lebensmittel anbieten für Menschen fremder Ethnien; sie befriedigen dabei oft auch die Neugierde der Einheimischen.
Ernährungsgewohnheiten tragen dazu bei, Kultur und Religion eines Volkes zu erhalten; sie geben den Gläubigen Richtlinien zur Wahl von Lebensmitteln. Jede Religion verfügt in dieser Beziehung über Besonderheiten. Hier einige Beispiele:

Christentum
Der «magere Freitag» – d. h. die Enthaltsamkeit von Fleisch an Freitagen –, das Fasten am Aschermittwoch und am Karfreitag sind die einzigen tradi­tionellen Vorschriften zur Ernährung, die uns von Kindheit an gelehrt wurden, – und die heute am Verschwinden sind.
Im Unterschied zu anderen Glaubensbekenntnissen dürfen Christen Speisen aus fremden Kulturen geniessen, ohne dabei eine Sünde zu begehen. Nur Christen können bedenkenlos japanische ­Sushi und Schweinefleisch essen und ohne Tabu sowohl die mexikanische wie die orientalische Küche versuchen.
Freiheit und Phantasie haben den Italienern ermöglicht, eine ganze Reihe von besonderen Gerichten und Gebäcken zu den religiösen Festtagen zu kreieren, vor allem zu Weihnachten und zu Ostern: z.B. den «panettone milanese», die neapoletanische «pastiera», die «befanotti» (Dreikönigskuchen) von Lucca; oder Gerichte, die Schutzheiligen gewidmet sind wie die «chiacchiere» (kleine frittierte Teigstreifen) des Heiligen Antonius.

Buddhismus
ist die Religion der Mässigung in allen Lebensbereichen, Ernährung inbegriffen. Obwohl eine Regel dem gläubigen Buddhisten Fleisch, Fisch und gereifte, harte Käse verbietet, ist ihm unter bestimmten Umständen auch Fleisch erlaubt; er muss auch nicht anwesend sein beim Schlachten des Tieres.

Hinduismus
Für den Hindu besteht die grösste Schuld darin, den Tod eines Lebewesens zu verursachen, das betrifft auch alle Tiere. Denn in jedem Lebewesen, in jedem Tier wohnt eine Seele, welche – nach dem Glauben der Hindu – in der Wiedergeburt die Fehler eines früheren Lebens abbüsst.
Die indische Küche bezieht sich auf uralte Texte wie das Ayurveda, welches den gleichzeitigen Genuss gewisser Produkte verbietet, z. B. Milch und Gemüse oder Milch und Honig.
Der Beruf des Metzgers gilt im Hinduismus als unrein; er ist deshalb den Parias zugewiesen, den Menschen, die keiner Kaste angehören. Sie dürfen Fleisch essen. Den höheren Kasten ist die vegetarische Ernährung vorbehalten, gleichsam als gesellschaftliche Auszeichnung. Der Hindu lehnt überdies Knoblauch und Zwiebeln ab; einige Kasten dehnen das Verbot sogar auf Karotten, Rüben und rote Gemüse aus.
Für die Religionen Indiens war der Vegetarismus nur schon deshalb vorteilhaft, weil er die Armut lindert. Denn eine lebende Kuh liefert sehr viel mehr Nahrung als der Metzger: jeden Tag Milch, Butter, Käse, Joghurt. Von daher erklärt sich der Wert und die Liebe, die Hindus den Kühen zollen.

Mohammedaner
sind Menschen, die sich dem Willen Allahs unterwerfen. Islam bedeutet denn auch Unterwerfung.
Die im Koran festgeschriebenen Ernährungsvorschriften – zusammen mit anderen Verboten und dem fünfmaligen täglichen Gebet – lehren den Gläubigen Selbstkontrolle und lassen ihn fühlen, dass er Glied einer Gemeinschaft ist.
Der Genuss alkoholischer Getränke kann das Masshalten verhindern, er kann Hass schüren und die Ehrfurcht vor Gott beeinträchtigen. Der Genuss von Alkohol ist für den Moslem deshalb eine ebenso grosse Sünde wie Mord.
Das Schlachten von Tieren wird nach einem genauen Ritual vorgenommen, unter Anrufung des Namens von Gott. Der Islam verbietet Fleisch vom Esel, von Raubvögeln, von Schlangen, Frö­schen, schuppenlosen Fischen und natürlich von Schweinen, – ein Verbot, das auch Juden und andere orien­talische Religionen kennen. Noch heute gilt in vielen islamischen Gebieten Schweinefleisch als gesundheitsgefährdend, da es Parasiten enthalte. Gewisse Studien erklären das Verbot jedoch damit, dass der Islam seinen Ursprung und seine rasche Verbreitung in Ländern hatte, in welchen eine erbarmungslose Sonne und eine trockene Hitze das Halten von Schweinen zu kostspielig gestalteten.
Ganz wichtig ist für den Moslem der Fastenmonat Ramadan: im 9. Monat des islamischen Kalenders (der auf dem Mondzyklus basiert und sich in unserem Kalender jedes Jahr verschiebt) enthält sich der Moslem von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang jeglicher Nahrung und jeglichen Getränks. Der Fastenmonat endet mit dem grossen Fest, dem «id al-fitr», dem Fastenbrechen, das 2015 auf unseren 18. Juli fiel.

Judentum
Sich an Ernährungsregeln zu halten, die zahlreiche Verbote lehren, bedeutet, zu einer Gemeinde zu gehören. Die «koschere» Kost ist eine Besonderheit, die das jüdische Volk und seinen Glauben auszeichnet. Der Pentateuch (die fünf Bücher Mose) verbietet Fleisch von Tieren, die nicht Wiederkäuer oder Zweihufer sind: Kamel, Pferd, Kaninchen und Schwein sind somit verboten. Ebenso Raubvögel, Krabben, Muscheln, Hummer und Aal. Das Schlachten eines Tieres muss nach genauen Vorschriften erfolgen: es muss rasch und schmerzlos sein; und dem Töten des Tieres muss eine Segnung vorangehen.
In der jüdischen Küche gilt auch das Verbot bestimmter Körperteile des Tieres sowie rigorose Vorschriften, um jegliche Spur von Blut zu vermeiden (durch salzen oder braten). Ferner gilt das Verbot, gleichzeitig Fleisch und Milch zu konsumieren (also kein Filet in Butter), weshalb beide Lebensmittel auch im Kühlschrank in besonderen Fächern gelagert und mit speziellen Bestecken zubereitet werden müssen.
Verboten sind ferner Früchte inokulierter (gepfropfter) Bäume sowie jede erste Frucht eines Baumes; denn sie steht Gott zu.
Alle diese Vorschriften werden zwar bestimmt, aber auf verschiedene Arten gehandhabt, je nach Ursprung der Gläubigen: aschkenasische Juden (aus dem Norden Europas), sephardische Juden (aus dem Osten), italienische oder nordafrikanische Juden haben verschiedene Gerichte und Bräuche aus ihren Ländern mitgebracht: das Couscous kam mit nordafrikanischen Juden nach Sizilien, die Auberginen mit den sephardischen Juden aus Osteuropa; ebenso sind frittierte Artischocken, Marzipan und Gänseleber mit jüdischen Einwanderern zu uns gekommen.
Der wichtigste Festtag der Juden ist Yom Kippur (das Versöhnungsfest) zehn Tage nach Neujahr (2015 am 23. September). Am Vortag von Yom Kippur wird 24 Stunden lang gefastet; und es dürfen keine Kleider oder Accessoires aus Leder getragen werden.
Dr. Francesco Galeone , Dir. Diabetologie und Endokrinologie, Ospedale di Pescia /Italia
(Aus dem «Giornale dei diabetici» Nr. 154, 2015, Übersetzung mf)