Diabetes mellitus ist eine häufige Erkrankung bei älteren Menschen und mit steigendem Alter nimmt das Risiko, daran zu erkranken, deutlich zu. Schätzungsweise 15 bis 25 Prozent der über 65-Jährigen leiden unter einem Typ-2-Diabetes.
Aber auch immer mehr Personen mit einem Typ-1-Diabetes erreichen ein fortgeschrittenes Alter.

Diabetes mellitus im Alter ist ein wichtiges Thema, das auch vor dem Hintergrund der demografischen Änderungen immer mehr an Bedeutung gewinnt.

Besonderheiten zum Diabetes mellitus im Alter 

Mit zunehmendem Lebensalter kann die Insulinausschüttung aus der Bauchspeicheldrüse abnehmen und die Insulinresistenz – ein typisches Merkmal beim Diabetes mellitus Typ 2 – verstärkt sich. Dafür sind verschiedene Faktoren wie eine abnehmende körperliche Aktivität, eine Gewichtszunahme und der Rückgang der Muskelmasse (sog. Sarkopenie) verantwortlich. Besondere Umstände wie eine reduzierte Herz-, Leber- oder Nierenfunktion, die Einnahme zusätzlicher Medikamente, das Vorhandensein von Begleiterkrankungen wie beispielsweise einer Demenz oder eine eingeschränkte Sehfunktion können sich relevant auf den Diabetes mellitus und dessen Behandlung auswirken. Medizinische Studien zur Diabetesbehandlung werden meist mit Teilnehmenden unter 65 Jahren durchgeführt. Probandinnen und Probanden über 75 Jahre werden praktisch nie in solche Untersuchungen eingeschlossen. Das heisst nicht, dass die aus diesen Studien abgeleiteten Behandlungsrichtlinien keine Gültigkeit für ältere bzw. alte Patientinnen und Patienten haben. Ein individualisiertes Vorgehen, das Vorerkrankungen, Begleitmedikamente, Lebensumstände und Lebenserwartung berücksichtigt, ist aber umso wichtiger.

Unterzuckerung schadet der Gesundheit

Unterzuckerungen sind gerade bei älteren Diabetikerinnen und Diabetikern ein zentraler Punkt. Sie führen immer wieder zu Hospitalisationen und sollten um jeden Preis vermieden werden. Nicht zu vergessen ist, dass viele Hypoglykämien unbemerkt bleiben können, vor allem, wenn sie sich in der Nacht ereignen. Inzwischen sind die schädlichen Auswirkungen von Unterzuckerungen bei älteren Personen gut bekannt: Sie sind ein wichtiger Risikofaktor für Stürze, gerade wenn gleichzeitig eine diabetische Nervenschädigung an den Füssen und/oder eine eingeschränkte Sehfunktion besteht. Regelmässige Hypoglykämien können die Hirnfunktion ungünstig beeinflussen und sich so zum Beispiel negativ auf eine bereits bestehende Demenzerkrankung oder eine Depression auswirken. Und nicht zuletzt führt jede Unterzuckerung zu einer Aktivierung des körpereigenen Stresshormonsystems mit vermehrter Ausschüttung der Botenstoffe Adrenalin und Cortisol. Diese Hormone erhöhen den Blutdruck und können im ungünstigen Fall zu Herzrhythmusstörungen führen, weshalb man davon ausgeht, dass regelmässige tiefe Blutzuckerwerte das Risiko für Herz- Kreislauf-Erkrankungen erhöhen können. Um Hypoglykämien zu vermeiden, ist es wichtig, die Auslöser und die spezifischen Risikosituationen zu kennen. An erster Stelle stehen Diabetesmedikamente wie Insulin oder Sulfonylharnstoffe, die bei zu hoher Dosis, ungünstiger Kombination, ungenügender Nahrungszufuhr oder Nicht-Anpassung bei Bewegung zu tiefen Blutzuckerwerten führen. Daneben begünstigen andere Faktoren wie eine eingeschränkte Nierenfunktion, die Einnahme vieler Medikamente (sog. Polypharmazie), die Unterzuckerungs-Wahrnehmungsstörung und eine demenzielle Erkrankung die Entstehung von Hypoglykämien.

Behandlung des Diabetes mellitus im Alter

Die Behandlung des Diabetes im Alter verfolgt primär drei wichtige Ziele: Erhaltung einer guten Lebensqualität, Festlegen eines individuellen Behandlungsziels, das sich am HbA1c-Wert orientiert, und das Vermeiden jeglicher Art von Unterzuckerungen durch die Wahl geeigneter Medikamente und das Vermeiden von Risikosituationen (vgl. oben). Eine gute Lebensqualität bei Personen mit Diabetes bedeutet, dass die Behandlung einfach sein und möglichst keine Nebenwirkungen aufweisen sollte. Konkret bedeutet dies möglichst unkomplizierte Behandlungsformen, beispielsweise durch Reduktion der Anzahl an Injektionen oder Blutzuckermessungen. Die Medikamente sollten gut verträglich sein und keine oder wenige Nebenwirkungen aufweisen. Moderne Substanzen, wie die häufig eingesetzten GLP-1-Agonisten (zum Beispiel Victoza®, Ozempic®, Trulicity® oder Rybelsus®), können gerade am Anfang der Behandlung zu Magen-Darm-Beschwerden und zur Inappetenz führen und sind bei Personen mit einer Mangelernährung oder reduziertem Appetit ungünstig. Die Dosis gewisser Präparate muss bei Nierenfunktionsstörungen angepasst werden; bei stark verminderter Nierenfunktion dürfen gewisse Substanzen nicht mehr gegeben werden. Glücklicherweise stehen heutzutage viele verschiedene Präparate zur Verfügung, sodass eine genau auf die Bedürfnisse zugeschnittene Behandlung für die Betroffenen gewählt werden kann. Bei alten Personen, vor allem auch bei denjenigen mit Vorerkrankungen, tritt die zu strenge Blutzuckerkontrolle in den Hintergrund und es werden höhere HbA1c-Werte akzeptiert (zum Beispiel um 8 Prozent). Grund dafür ist, dass gerade bei einer eingeschränkten Lebenserwartung der Nutzen in Bezug auf die Verhinderung der Diabetesfolgen nicht mehr gegeben ist und die zu aggressive Blutzuckersenkung das Risiko von Hypoglykämien wieder deutlich erhöht.

AutorIn: Dr. med. Stefan Fischli, Chefarzt Endokrinologie/Diabetologie, Luzerner Kantonsspital