In den letzten Jahren ist das Darmmikrobiom stark in die öffentliche Wahrnehmung gerückt. Doch warum ist das so und warum ist das Wissen darüber relevant für Menschen mit Diabetes? Die folgenden Seiten geben Aufschluss, wie unsere Darmbakterien den Stoffwechsel beeinflussen.
Was ist eigentlich dieses Darmmikrobiom?
Es umfasst alle Mikroorganismen – vor allem Bakterien, aber auch Pilze, Viren und andere Kleinstlebewesen –, die den Verdauungstrakt, insbesondere den Dickdarm, besiedeln. Über 1000 verschiedene Bakterienarten können einen gesunden Darm bevölkern, wobei jeder Mensch eine einzigartige Zusammensetzung trägt – ähnlich einem mikrobiellen Fingerabdruck.
Welche Aufgaben erfüllt das Darmmikrobiom?
Diese Bakterien sind nicht zufällig dort. Sie haben sich im Laufe der Evolution gemeinsam mit dem Menschen entwickelt und bilden ein hochaktives System, das zahlreiche wichtige Funktionen erfüllt. Das Mikrobiom fungiert als natürlicher Schutzschild: Es konkurriert mit krank machenden Keimen um Platz und Nährstoffe. Zudem spielt es eine zentrale Rolle beim Training des Immunsystems. Darmbakterien helfen, zwischen harmlosen und gefährlichen Eindringlingen zu unterscheiden, fördern die Toleranz gegenüber Nahrungsbestandteilen und verhindern übermässige Entzündungsreaktionen. Eine zentrale Aufgabe der Darmbakterien ist die Fermentation unverdaulicher Substanzen wie Ballaststoffen. Dabei entstehen bioaktive Stoffe, insbesondere die kurzkettigen Fettsäuren Butyrat, Acetat und Propionat. Sie dienen Darmzellen als Energiequelle und wirken entzündungshemmend. Über die Bindung an Rezeptoren beeinflussen kurzkettige Fettsäuren zudem die Ausschüttung von Darmhormonen (z. B. GLP-1), was die Insulinfreisetzung und das Sättigungsgefühl fördert. Weitere wichtige Produkte des Mikrobioms sind Vitamine und modifizierte Proteine, Aminosäuren und Gallensäuren. Diese Stoffe wirken weit über den Darm hinaus: Über den Blutkreislauf steht das Mikrobiom mit anderen Organen in Verbindung – sogar mit dem Gehirn. DIE WICHTIGSTEN BEGRIFFE AUF EINEN BLICK • Darmmikrobiom: Gesamtheit der Mikroorganismen (Bakterien, Pilze, Viren usw.), die den Darm besiedeln. Jeder Mensch hat eine einzigartige Zusammensetzung dieser Mikroben.
• Präbiotika (vor dem Leben): Unverdauliche Nahrungsbestandteile, die das Wachstum gesunder Darmbakterien fördern.
• Probiotika (für das Leben): Lebende Mikroorganismen, die gesundheitsfördernde Wirkungen auf den Wirt haben. Sie sind in fermentierten Lebensmitteln oder als Nahrungsergänzungsmittel enthalten.
• Darmhormone: Darmhormone sind chemische Botenstoffe, die im Verdauungstrakt produziert werden und den Stoffwechsel, die Insulinfreisetzung sowie das Sättigungsgefühl beeinflussen. Zu den wichtigsten Darmhormonen gehören GLP-1 (Glucagon-like Peptide-1) und GIP (Gastric Inhibitory Polypeptide). Sie spielen eine Rolle bei der Regulierung des Blutzuckerspiegels und können die Insulinempfindlichkeit verbessern.
• Kurzkettige Fettsäuren: Wichtige Stoffwechselprodukte, die durch Fermentation von Ballaststoffen im Darm entstehen. Sie wirken entzündungshemmend, stärken die Darmbarriere und beeinflussen Stoffwechselprozesse.
• Butyrat: Butyrat ist eine kurzkettige Fettsäure, die im Darm durch die Fermentation von Ballaststoffen entsteht.
Warum reden alle über das Darmmikrobiom im Zusammenhang mit Diabetes?
Was im Darm passiert, kann also auch andere Organe wie die Leber oder die Bauchspeicheldrüse beeinflussen – und umgekehrt! Deshalb ist es naheliegend, dass zwischen dem Darmmikrobiom und der Entstehung sowie dem Verlauf von Typ-2-Diabetes ein wechselseitiger Zusammenhang besteht. Menschen mit Typ-2-Diabetes haben oft ein verändertes Darmmikrobiom, was sowohl die Zusammensetzung als auch die Funktion der Bakterien betrifft. Typische Veränderungen sind eine reduzierte Vielfalt sowie ein Rückgang gesundheitsfördernder, insbesondere Butyrat-bildender Bakterienarten. Ist das Gleichgewicht des Mikrobioms gestört, kann seine entzündungshemmende und stoffwechselregulierende Funktion eingeschränkt sein. Veränderungen im Mikrobiom gehen auch häufig mit einer erhöhten Durchlässigkeit der Darmschleimhaut einher. Dabei können bakterielle Bestandteile wie Lipopolysaccharide (LPS) in die Blutbahn gelangen und niedriggradige Entzündungen auslösen. Diese Veränderungen könnten die Insulinwirkung beeinträchtigen und zur Entwicklung einer Insulinresistenz beitragen.
Kann man durch Mikrobiom-Veränderungen Diabetes beeinflussen?
Das ist die entscheidende Frage – und sie wird derzeit intensiv erforscht. Es gibt bereits vielversprechende Hinweise, dass durch gezielte Veränderungen des Mikrobioms positiv auf den Krankheitsverlauf eingewirkt werden kann. Ein besonders wirksamer Hebel zur Beeinflussung des Mikrobioms ist die Ernährung. Studien zeigen, dass eine ballaststoffreiche, pflanzenbasierte Kost das Wachstum gesundheitsfördernder Darmbakterien unterstützt. Besonders präbiotisch wirken Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, Gemüse, Nüsse und fermentierte Lebensmittel. Im Gegensatz dazu kann eine westliche Ernährung mit hohem Anteil an Zucker, Fett und tierischem Eiweiss das Gleichgewicht des Mikrobioms stören. Natürlich vorkommende präbiotische Substanzen sind auch in reiner Form erhältlich – sei es als isolierte Präbiotika in Nahrungsergänzungsmitteln oder als Zusatz in Lebensmitteln. Eine langfristig gesunde Ernährung, gegebenenfalls ergänzt durch Präbiotika, kann die mikrobielle Vielfalt erhöhen, die Produktion kurzkettiger Fettsäuren fördern und somit die Freisetzung stoffwechselaktiver Darmhormone anregen – mit günstigem Einfluss auf Blutzuckerkontrolle und Entzündungsprozesse. Eine weitere Klasse Darmmikrobiom-modulierender Produkte stellen Probiotika dar – der Begriff bedeutet «für das Leben» und bezeichnet lebende Mikroorganismen, die positive Effekte auf die Gesundheit des Wirts haben. Sie kommen natürlicherweise in fermentierten Lebensmitteln wie Joghurt, Kefir, Sauerkraut oder Kimchi vor und sind auch als Präparate in Form von Kapseln, Pulver oder Tropfen erhältlich. Probiotika können das mikrobielle Gleichgewicht stabilisieren, krank machende Keime verdrängen, die Darmbarriere stärken, kurzkettige Fettsäuren produzieren und das Immunsystem positiv beeinflussen. Klinische Studien legen nahe, dass bestimmte probiotische Präparate bei Menschen mit Typ-2-Diabetes zu einer leichten Senkung des Blutzuckerspiegels sowie zu Verbesserungen bei Entzündungsmarkern und Blutfettwerten beitragen können – insbesondere Produkte, die mehrere verschiedene Bakterienstämme enthalten.
Essen nicht für dich, sondern für deine Bewohner?
Abschliessend lässt sich sagen, dass eine ausgewogene und vielfältige Ernährung eine zentrale Rolle für das Mikrobiom spielt. Wir sollten nicht nur für uns selbst essen, sondern auch für unsere «Mitbewohner» im Darm. Ein hoher Anteil an Ballaststoffen in der Ernährung fördert die Diversität der Mikroben und stärkt so den gesamten Stoffwechsel. Am Ende freut das nicht nur deine Darmbakterien – sondern auch dich selbst. Je abwechslungsreicher die Nahrung, desto vielfältiger und stabiler wird das Mikrobiom, was wiederum positive Effekte auf die Gesundheit hat.
6 Fragen an die Forscherin Maria Luisa Balmer
Interview: Nicole Fivaz
Prof. Dr. Maria Luisa Balmer forscht an der Universität Bern in Zusammenarbeit mit dem Diabetes Center Berne (DCB) an den Schwerpunktthemen Mikrobiota und Metabolismus. Sie gibt einen spannenden Einblick zum aktuellen Stand der Forschung zu den Zusammenhängen von Mikrobiom und Diabetes und erklärt, was Menschen mit Diabetes, die ihr Mikrobiom verbessern möchten, tun können.
Zeigt sich der Zusammenhang von Mikrobiom und Diabetes auch bei Menschen mit Typ-1- Diabetes oder nur beim Typ 2?
Inzwischen gibt es zahlreiche Studien, die zeigen, dass das Mikrobiom – also die Gesamtheit der Darmbakterien – sowohl bei Typ-2- als auch bei Typ-1-Diabetes verändert ist. Während bei Typ-2-Diabetes vor allem Bakterienarten betroffen sind, die den Zuckerstoffwechsel und das Körpergewicht beeinflussen, steht bei Typ-1-Diabetes eher das Immunsystem im Vordergrund. Forscher:innen haben beobachtet, dass sich das Mikrobiom bereits vor der Krankheitsentstehung bei Kindern mit erhöhtem Risiko für Typ-1-Diabetes verändert – zum Beispiel in Richtung geringerer Vielfalt oder eines höheren Entzündungspotenzials. Das deutet darauf hin, dass das Mikrobiom bei beiden Diabetesformen eine Rolle spielt, wenn auch über unterschiedliche Mechanismen.
Ist es denkbar, dass man künftig das Mikrobiom sozusagen als Frühwarnsystem nutzt, um einen Diabetes zu vermeiden oder zu verzögern?
Ja, das ist ein vielversprechender Forschungsansatz. Erste Studien deuten darauf hin, dass bestimmte Veränderungen im Mikrobiom das Risiko für einen späteren Diabetes anzeigen könnten – gewissermassen als «Frühwarnzeichen», noch bevor sich klassische Risikofaktoren wie Übergewicht oder erhöhte Blutzuckerwerte zeigen. Ziel ist es, auf Basis des Mikrobioms sogenannte Risikoprofile zu erstellen, um frühzeitig und gezielt gegensteuern zu können – zum Beispiel durch Ernährung, Probiotika oder andere das Mikrobiom beeinflussende Massnahmen. Diese Ansätze sind jedoch noch in der Forschungsphase.
Wie sieht die Forschung im Bereich Diabetes und Mikrobiom derzeit aus und was sind die Schwerpunkte?
Die Forschung konzentriert sich derzeit auf drei zentrale Fragen:
- Wie genau beeinflusst das Mikrobiom den Zuckerstoffwechsel und das Immunsystem?
- Welche spezifischen Bakterien oder deren Stoffwechselprodukte (Metabolite) sind dabei entscheidend?
- Wie können wir gezielt in das Mikrobiom eingreifen, um positiven Einfluss zu nehmen?
Dabei kommen zunehmend moderne Methoden wie Metagenomik, Metabolomik oder der Einsatz von keimfreien Mäusen zum Einsatz, um Ursache und Wirkung besser zu verstehen. Auch personalisierte Ansätze – etwa wie individuelle Bakterienmuster die Wirkung von Ernährung oder Medikamenten beeinflussen – gewinnen an Bedeutung.
Werden sich daraus neue Therapien entwickeln und ab wann könnten diese verfügbar sein?
Langfristig ist das Ziel, das Mikrobiom gezielt zu «therapieren », um Diabetes vorzubeugen oder besser zu behandeln. Ansätze sind zum Beispiel individuell abgestimmte Probiotika, bakterielle «Designer-Cocktails» oder sogar gezielte Ernährungsempfehlungen basierend auf dem persönlichen Mikrobiomprofil. Erste klinische Studien laufen bereits – zum Beispiel mit bestimmten Ballaststoffen oder probiotischen Mischungen. Bis solche Therapien im Praxisalltag ankommen, wird es aber vermutlich noch einige Jahre dauern. Die Forschung macht jedoch grosse Fortschritte.
Was raten Sie Menschen mit Diabetes, die ihr Darmmikrobiom verbessern möchten?
Das Wichtigste ist eine vielfältige, pflanzenbasierte Ernährung mit ausreichend Ballaststoffen – denn diese sind sozusagen «Futter» für die guten Darmbakterien. Empfehlenswert sind Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Gemüse, Nüsse und fermentierte Lebensmittel wie Joghurt oder Sauerkraut (siehe Hauptartikel). Weniger hilfreich sind stark verarbeitete Lebensmittel, übermässiger Zucker oder häufige Antibiotikagaben ohne medizinische Notwendigkeit. Eine ausgewogene Ernährung, die das Mikrobiom unterstützt, kann eine sinnvolle Ergänzung zur Diabetesbehandlung sein – und ist ein Bereich, in dem Patient:innen selbst aktiv etwas beitragen können.
Spielt Bewegung auch eine Rolle bei der Verbesserung des Mikrobioms oder nicht?
Ja, körperliche Aktivität kann das Darmmikrobiom positiv beeinflussen – wenn auch nicht so stark wie die Ernährung. Studien zeigen, dass regelmässige Bewegung die Vielfalt der Darmbakterien erhöhen und entzündungsfördernde Bakterien verringern kann. Besonders in Kombination mit einer ballaststoffreichen Ernährung scheint Sport das Mikrobiom günstig zu modulieren. Wichtig ist allerdings, dass die Effekte individuell unterschiedlich ausfallen – abhängig von Alter, Trainingsform und Gesundheitszustand. Dennoch ist Bewegung nicht nur für den Stoffwechsel, sondern auch für das Mikrobiom ein sinnvoller Faktor im Gesamtkonzept.