Die Mehrzahl der Europäer assoziiert mit Nepal vermutlich den Everest, das riesige Gebirge des Himalaya und damit verbundene alpine Höchstleistungen. Oder haben Sie gewusst, dass in Nepal Bananen wachsen, Reis gepflanzt wird oder in freier Wildbahn Affen auf Schafe treffen? Zugegeben, auch mich haben in erster Linie die Berge nach Nepal gelockt. Dass das Land viel mehr als Berge zu bieten hat, konnten wir bei der Lektüre der Reiseliteratur sehr schnell erahnen. Die Faszination war geweckt …

Entsprechend viel Zeit haben wir uns bei unserem Entscheid gegeben, welche Region wir bereisen wollen. Nach gut sechs Monaten ausgiebiger Recherche hatten wir uns für ein Trekking rund um den Manaslu (8163 m. ü. M.), im Frühling 2014, entschieden. Vier Wochen Nepal zu viert – meine Freundin und ein befreundetes Paar – davon drei Wochen zu Fuss mit Rucksack bepackt unterwegs – von 1 400 m. ü. M. bis 5 160 m. ü. M.
Es gab einige organisatorische und technische Fragen zu klären und zu entscheiden: Wollen wir im Zelt oder in einfachsten Unterkünften, sogenannten Teehäusern, übernachten? Wie gross und schwer soll (darf) der Rucksack sein? Ist eine Isomatte notwendig? Wasserfilter mit Keramik, Glasfaser oder Tabletten? Wollen wir einen Träger engagieren? Wenn ja, einen oder zwei? Jede dieser Fragen drehte sich schlussendlich darum, wie schwer der Rucksack und wie komfortabel das Trekking werden sollte.
Ebenfalls Gedanken machten wir uns über die Witterung, die Kälte, die medizinische Versorgung (Reiseapotheke) und natürlich die Höhenverträglichkeit. Immerhin werden wir uns zwei Tage und eine Nacht auf einer Höhe zwischen Matterhorn und Mont Blanc bewegen. Klar, wir sind langsam unterwegs und haben viel Zeit für die Akklimatisation. Aber trotzdem: Was wäre, wenn wir abbrechen müssten? Was wäre, wenn …?
Zu Beginn der Reiseplanung war mein Diabetes nicht sehr präsent. Schliesslich ging es um ein Trekking und nicht um eine Expedition. Fünf bis acht Stunden täglich wandern, Rucksack, Kleider für -10°C bis +30°C. Für einen routinierten Wanderer oder Skitourengänger nichts Besonderes – oder doch? (Anmerkung: Der heftige Schneesturm mit mehreren Dutzend Toten im Oktober 2014 hat uns auf tragische Weise die Unberechenbarkeit vor Augen gehalten.)
Spätestens bei der Auswahl des neuen Rucksacks oder der Zusammenstellung der Reiseapotheke rückte die Frage «Was wäre, wenn …?» in den Vordergrund. Klar, ich brauche BZ-Messgerät inkl. Ersatzgerät, Insulinpumpe und Ersatzgerät, Insulin, Messstreifen, Pumpenzubehör, Desinfektionsmittel. Hypo-Food? Kann ich unterwegs kaufen – sicher? Was, wenn es nichts Süsses gibt? Sicher ist sicher, also nehme ich 2 kg Gummibärli mit. Was, wenn die Insulinpumpe und die Ersatzpumpe nicht mehr funktionieren? Sicher ist sicher, also nehme ich noch zusätzlich einen Pen mit langwirkendem Insulin mit. Was, wenn das Insulin die Hitze und Kälte nicht verträgt? Sicher ist sicher, also verpacke ich das Insulin in einer leeren Thermosflasche.
Was, wenn wir krankheitsbedingt den Rückflug verpassen? Sicher ist sicher, also nehme ich Insulin und Zubehör für zwei zusätzliche Wochen mit. Das kann ich während des Trekkings im Hostel in ­Kathmandu lagern.
Meine Unbeschwertheit erlitt einen kleinen Dämpfer. Geschätzte 4 kg mehr Gepäck und viel Sperriges im Rucksack – aber sicher ist sicher. Dank der Unterstützung durch meinen Arzt und den vielen wertvollen Tipps von Patrick Sieber (siehe Artikel «Weltrekord – wenn auch mit Diabetes alles gelingt !», «d-journal» Nr. 225/13) war ich gut gerüstet.
Wir waren also für viele Eventualitäten vorbereitet. Die vorausgesagten Magen-/Darmprobleme mit Fieber haben auch mich beschäftigt und zu einer eintägigen Zwangspause geführt. Nachdem ich nach kurzem Unterbruch zum zweiten Mal krank wurde und mehrere Tage mit Durchfall zu kämpfen hatte, waren einige besorgte Gedanken nicht mehr zu unterdrücken. Mit Hilfe von isotonischen Getränken, Haferbrei und Bouillon erholte ich mich langsam wieder.
Verglichen mit der medizinischen Versorgung der Bewohner waren unsere Beschwerden Bagatellen. Auf eindrückliche Weise wurden wir mehrmals auf unserer Reise daran erinnert, wie privilegiert wir im Westen sind. Eine kleine, offene Wunde am Bein eines Handwerkers hätte zu einer Blutvergiftung führen können. Der nächste medizinische Hilfsposten wäre zwei Tagesmärsche entfernt gewesen. Da wurden Desinfektionsmittel und Verbandsmaterial aus unserer Reiseapotheke hoch geschätzt!
Meine Blutzuckerwerte waren, über die ganze Reise betrachtet, zufriedenstellend. Die in meinem Alltag ohnehin auftretenden Blutzuckerschwankungen begleiteten mich auch während dem Trekking. Die erschwerten Bedingungen während den Tagen mit Magen-/Darmproblemen hatte ich gut überstanden. Von gefährlichen Hypos blieb ich verschont, und die auftretenden leichten Unterzuckerungen konnte ich mit schnellwirkenden Kohlenhydraten auffangen. Einzig der Tag der Passüberschreitung bereitete mir einige Schwierigkeiten. Mein BZ-Gefühl, auf welches ich mich üblicherweise verlassen kann, hatte mich zeitweise im Stich gelassen und das BZ-Messgerät ausgesetzt. Aufgrund meines Hypoverdachts und der Anstrengung in grosser Höhe nahm ich genügend Kohlenhydrate ein – zu viel, wie ich später feststellte. Der Blutzucker war auf über 20 mmol/l hochgeschnellt. Der sehr hohe Blutzucker war zwar sehr unangenehm (viel Durst, Leistungsminderung) aber kurzfristig sicher weniger gefährlich als ein Hypo …
Die Reise war trotz den durchaus auch anstrengenden Erlebnissen fantastisch. Die Eindrücke von Land, Kulturen, Menschen sowie Flora und Fauna waren einmalig. Drei Wochen zu wandern in der Abgeschiedenheit einer fantastischen Natur- und Bergwelt, ist trotz der körperlichen Anstrengungen reinste Erholung.
Das Durchwandern der Klimazonen vom Urwald bis zu schneebedeckten Bergen ist wie eine Zeitreise 100 Jahre zurück. Die Bestellung der Terrassenfelder an den kargen Talflanken ohne jegliche maschinelle Unterstützung ist beeindruckend und stimmt einen nachdenklich zugleich.
Vielen Dank für die tolle Reise an unsere Trekkingfamilie: Nima, Raaz, Andrea, Seraina und Simon.

AutorIn: Lukas Brassel