Lehrerin gibt Unterricht

Im Lehrberuf besteht bei Diabetes keine gesetzliche Informationspflicht gegenüber dem Arbeitgeber. Das Thema betrifft den Gesundheitszustand und damit die Privatsphäre eines Arbeitnehmers bzw. eines Bewerbers. Im Zusammenhang mit den nachfolgenden Punkten erweist sich ein möglichst offener Umgang mit dieser Erkrankung als empfehlenswert, insbesondere, weil dadurch sogenannte «win-win» Situationen ermöglicht werden.

  • Auf Dauer ist die Geheimhaltung der Erkrankung schwierig, weil die Diabetestherapie, sehr zeit­intensiv ist und man gerade als Klassenlehrperson mit seinen Schülerinnen und Schülern viel Zeit verbringt. Folglich müssen viele Strategien entwickelt und es muss viel Zeit aufgewendet werden, um die Therapie im Versteckten durchzuführen. In der Summe ist dies mit einem (zu) hohen Kräfteverschleiss verbunden.
  • Die Geheimhaltung der Diabeteserkrankung führt im Zusammenhang mit dem Verhalten der Lehrperson (wie etwa gedankliche Verwirrung bei Hypoglykämien oder Essen während dem Unterricht) zu unnötigen Missverständnissen, die eine hohe Tragweite haben können.
  • Nach der Anstellung (keinesfalls vorher!) an einer Schule sollte möglichst bald das Gespräch mit der Schulleitung gesucht werden, um diese gründlich über die eigene Diabeteserkrankung aufzuklären. Dabei sollte besonders auf das Thema «Hypoglykämie» eingegangen werden. Die Schulleitung muss die Ursache, die Gefahr und die richtige Reaktion bei Unterzuckerungen kennen. Das gleiche Vorgehen ist bei denjenigen Lehrpersonen, mit denen eine enge Zusammenarbeit besteht, zu empfehlen.
  • Dem erweiterten Kollegium kann die eigene Diabeteserkrankung dadurch eröffnet werden, dass man zunächst nicht dem Weg des geringsten Widerstandes folgt und sämtliche Therapiemassnahmen ganz bewusst nicht in versteckten Räumen oder auf dem WC vornimmt. D. h.: Der Blutzucker kann durchaus im Lehrerzimmer gemessen und die Insulinspritze bzw. -pumpe beim gemeinsamen Mittagessen gleich am Esstisch gesetzt werden. Es braucht für die weiteren Arbeitskolleginnen und -kollegen keinen spezifischen Informationsanlass, hier lautet das Motto: Wer sich dafür interessiert, darf gerne fragen!
  • Im Zusammenhang mit den letzten beiden Punkten gilt es zu bedenken, dass so selbstverständlich die Krankheit für einen selber erscheint, viele Menschen mit Diabetes Typ 1 zunächst wenig anfangen können und sich ihre Kenntnisse auf Halbwissen und Vorurteile beschränken.
  • Es empfiehlt sich, den Schülerinnen und Schüler der eigenen Klasse den Diabetes nicht direkt am ersten Schultag zu eröffnen. Aber nach einer ersten Kennenlernphase und, ganz wichtig, nachdem eine erste beidseitige Vertrauensbasis aufgebaut wurde. Der genaue Zeitpunkt für diesen Schritt muss individuell abgeschätzt werden, aber als Faustregel ist hierfür die zweite oder dritte Schulwoche sinnvoll.
  • Die Kommunikation der Diabeteserkrankung vor den eigenen Schülerinnen und Schüler soll ausführlich sein und sollte unbedingt visuell unterstützt werden. Die Therapiemassnahmen können demonstrativ vorgezeigt und so verständlich erklärt werden. Es muss den Schülerinnen und Schülern klar sein, weshalb es für die Lehrperson wichtig und richtig ist, dass sie die erforderlichen Massnahmen für eine gute Blutzuckereinstellung auch während dem Unterricht vornehmen kann. Im Anschluss soll den Schülerinnen und Schülern genügend Zeit für Fragen und Schilderungen von persönlichen Erfahrungen mit Diabetes eingeräumt werden.
  • Beim Thema Hypoglykämie soll besonders auf die Symptome und die erforderlichen Sofortmassnahmen eingegangen werden. Hierbei können Visualisierungen unterstützend wirken. Zudem müssen die Schülerinnen und Schüler dahingehend sensibilisiert werden, dass die Lehrperson nach einer erlittenen Unterzuckerung einige Minuten Erholungszeit benötigt, bevor der Unterricht wieder wie gewohnt weiterlaufen kann.
  • Die Schülerinnen und Schüler können im Zusammenhang mit Unterzuckerungen sehr gut als Helfer miteinbezogen werden, indem sie verstehen, dass Aussenstehende nicht selten die Anzeichen von Hypoglykämien vor dem betroffenen Diabetiker erkennen können.
  • Die Diabetes Typ 1-Erkrankung der Lehrperson soll am ersten Elternabend als festes Traktandum aufgenommen werden. Somit erhalten die Eltern der Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit hierzu Fragen zu stellen. Möglicherweise wurden die Eltern von den Schülerinnen und Schüler ungenau, unzutreffend oder kaum informiert.
  • Bei Schulausflügen und Anlässen (v. a. mit erhöhter körperlicher Aktivität), welche ausserhalb des Schulhauses stattfinden und die gewohnte Routine durchbrechen, ist es sinnvoll, genügend Begleitpersonen mitzunehmen. Zudem sollten die Begleitpersonen hinsichtlich Diabetes und Ablauf des Ausfluges gut informiert sein, damit die Verantwortung in schwierigen Situationen übergeben werden kann.
  • Moderne Therapiemöglichkeiten helfen, die Diabeteseinstellung zu verbessern und flexibler auf Ausnahmesituationen (wie etwa eine strenge Wanderung bei warmen Temperaturen auf einem Schulausflug) reagieren zu können. So ist eine Insulinpumpe der herkömmlichen Insulinspritze mit Basis-/Bolusinsulin überlegen. In Phasen erschwerter Blutzuckereinstellung bietet das kontinuierliche Glukose Monitoring (CGM) eine gewisse Sicherheit und liefert wertvolle Zusatzinformationen.
  • Ein offener Umgang mit Typ-1-Diabetes kann für Schülerinnen und Schüler, die ebenfalls an einer chronischen Erkrankung leiden, ein sowohl positives wie auch wertvolles Rollenvorbild darstellen.
  • Bei andauernden Schwierigkeiten mit der Dia­betestherapie im Berufsalltag empfiehlt es sich, das Gespräch einerseits mit der Schulleitung und andererseits mit den Fachexperten zu suchen. Das heisst, dass man seine Anliegen zunächst gegenüber seinem Diabetologen äussert, welcher gegebenenfalls fachpsychologische Unterstützung vermitteln kann.
  • Zum Schluss: Ein offener Umgang mit Typ-1-Diabetes im Lehrberuf bedeutet, dass Betroffene viele intime Details offenlegen und damit viel von ihrer Privatsphäre hergeben. Dies verlangt am Anfang viel Mut zur Überwindung! Doch dafür gewinnen Betroffene an Freiheit und Verständnis für schwierige Situationen.
AutorIn: Niculin Miescher