Kambodscha, Angkor Wat

In «d-journal» Nr. 254 berichtete Dr. Madeleine Straumann über das Hilfsprojekt «MoPoTsyo» (Krankheits-Informationszentrum) – ein Verein (NGO), mit dem Ziel, das Leben mit Diabetes auch für arme Leute und Menschen auf dem Land leichter und erschwinglich zu machen.
In dieser Nummer erzählt Doris Fischer-Taeschler von ihren Erlebnissen und Eindrücken während ihres Aufenthalts in Kambodscha.

Wie heisst es so schön: wenn einer eine Reise tut, so kann er was erleben! Vom 6. bis 21. Dezember 2018 durften wir eindrückliche 15 Tage in einem mir bislang unbekannten Land verbringen. Der Anlass dazu war ein offizieller Besuch des MoPoTsyo-Projektes, welches wir seit 2 Jahren von der Schweiz aus mitfinanzieren. Selbstverständlich haben wir die Reise aus der eigenen Tasche bezahlt und nicht mit Spendengeldern. In den ersten zehn Tagen durften wir dieses wunderbare, warme, fruchtbare Land bereisen. Zu viert, Madeleine und Alex Straumann, mein Ehemann Brecht und ich; geführt von einem perfekt französisch sprechenden Führer durften wir in die reiche Kultur dieses Landes eintauchen. Nebst dem vielfältigen kulturellen Erbe aus der Zeit von 900 bis 1200, – darunter unzählige interessante Tempelanlagen, eine schöner als die andere – interessierten wir uns aber auch für die (jüngere) Geschichte des Landes. Diese ist von vielen Kriegen, Bürgerkriegen und Terrorregimes gezeichnet, und die Spuren davon sind noch längst nicht verheilt. Alle vor Ende der 90er-Jahre Geborenen haben schreckliche Zeiten miterleben müssen, und das sind die meis­ten Menschen, die uns tagtäglich auf der Strasse begegnet sind. Terror, Mord- und Totschlag, Hungersnöte, vor nichts blieben sie bewahrt. Das macht betroffen und gleichzeitig demütig und dankbar, selber davon verschont geblieben zu sein. Die Erinnerung daran ist aber immer noch auf Schritt und Tritt spürbar.

Kambodscha WarntafelEtwa auf einem Wanderweg zu einer Tempelanlage in der Höhe, wo explizit steht, dass der Pfad jeweils nur 10 m rechts und 10 m links davon begangen werden darf, weil nur diese Zone von Tretminen geräumt ist. Das hält auch den Mutigsten davon zurück, diesen Korridor freiwillig zu verlassen.

Kambodscha Markt
Reichhaltiges Angebot und Gedränge auf allen Märkten.

Heute ist Kambodscha eine konstitutionelle Monarchie (der König hat keine Machtbefugnisse). Das Land wird von einer autoritären Regierung geführt. Das Hauptproblem im Moment ist die Korruption. Kambodscha ist das ärmste Land in Südostasien. Die soziale Schere ist gross: es gibt wenige sehr Reiche und viele sehr Arme.

Aber gerade diese Gegensätzlichkeit macht das Land so spannend. Man spürt wenig Verbitterung, Hass und Neid. Alle wollen vorwärtsschauen und freuen sich auf eine friedliche und gesicherte Zukunft. Taxichauffeure, Verkäufer/-innen auf den Märkten, Hotelmitarbeiter, Leute auf der Gasse: sie alle sind freundlich, hilfsbereit, suchen den Kontakt. Sobald man die Haupttouristik-Routen verlässt, wird man schnell als Langnase und damit als Westler erkannt und auch wertgeschätzt.

MoPoTsyo

Kambodscha - Peer Educators
Teamleitung und Koordinator/-innen der «Peer Educators» in der Zentrale.

Die letzten fünf Tage waren dann dem eigentlichen Zweck der Reise gewidmet: MoPoTsyo. Wir wurden herzlichst empfangen am Hauptsitz in Phnom Penh und durften gleich einer lebhaften Sprechstunde, wo es vor allem um Laboruntersuchungen ging, beiwohnen. In der Zentrale steht ein gut eingerichtetes Labor, wo neben dem Blutzucker auch alle anderen wichtigen Untersuchungen gemacht werden können (Blutdruck, Cholesterin, Albumin, HbA1c, u.v.a.m.). Das HbA1c wird allerdings nicht so häufig gemessen wie bei uns, weil eine einzige Langzeitzuckermessung so viel kostet, wie alle anderen üblichen Untersuchungen zusammen (rund 30000 Riel oder CHF 7.50). Zusätzlich zur Blutzucker- und Blutdruckkontrolle kann MoPo­Tsyo im Moment auch ein Screening für Hepatitis C (Leberentzündung) anbieten, welches von MSF France bezahlt wird – wie auch die Therapie bei positivem Befund. Die Medikamente und das Material (Blutzuckerteststreifen) stammen übrigens alle aus indischer Produktion und sind massiv günstiger als bei uns, aber immer noch nicht für alle in Kambodscha erschwinglich.
Der erste Tag war dem Kennenlernen der ganzen Equipe in der Zentrale gewidmet und den «Facts & Figures» (Zahlen) der Gesamtorganisation. Wir konnten uns überzeugen, dass in diesem Projekt mit wenig Aufwand (einfache Räume, schlanke Strukturen, engagierte Mitarbeitende) viel erreicht wird.
Vom Konzept her werden je nach Bedarf in lokalen Gesundheitszentren (Health Care Points) und in regionalen Spitälern Diabetessprechstunden aufgebaut. In den Gesundheitszentren und Spitälern bieten Peer Educators (speziell geschulte Diabetes-Betroffene, sog. «Kollegen-Berater») einmal pro Woche Schulung und Beratung an: Blutzucker und Blutdruck werden gemessen und im persönlichen Tagebuch eingetragen, denn ein eigenes Blutzucker-Gerät zur Blutzucker-Selbstkontrolle durch die Dia­betesbetroffenen ist unerschwinglich für die Leute.

Die «Peer Educator» organisieren jeweils die regelmässigen Arztkontrollen für ihre «Diabetes-Kollegen». Dem Gesundheitszentrum ist auch eine Apotheke angegliedert, wo die vom Arzt verordneten Medikamente durch Apotheker abgegeben werden.
MoPoTsyo finanziert sich durch einen kleinen Aufpreis auf die Medikamente. In den Spitälern werden Diabetessprechstunden durch Spitalärzte durchgeführt, welche auf Kosten von MoPoTsyo zentral in Phnom Penh eine Weiterbildung in Diabetes absolvieren konnten.
Wir konnten uns an diversen Spitälern und Gesundheitszentren vor Ort über die Wirksamkeit und den Erfolg des MoPoTsyo-Systems überzeugen, sowohl im direkten Kontakt mit den engagierten Ärzten oder mit den Peer Educators. Die ersteren möchten natürlich noch viel mehr zusätzliche Mittel, um auch bei anderen chronischen Krankheiten aktiver zu werden, was aber leider unsere Einsatzmöglichkeiten sprengt. Im Moment gibt es in Kambodscha vor allem Projekte gegen die Tuberkulose, HIV, den Diabetes und, neuerdings, auch Hepatitis C.
Normalerweise geht es 2 – 3 Jahre, bis ein neuer Stützpunkt selbsttragend wird. Für diese Zeitspanne braucht es die Finanzierung über Aussenstehende, wie eben unseren «Förderverein Schweiz MoPo­Tsyo». In den letzten zwei Jahren konnten mit unseren Geldern (CHF 60000.– jährlich) das Angebot in zwei Bezirken neu aufgebaut werden. Man kann Kambodscha und die Schweiz nicht 1:1 vergleichen, schon gar nicht, was die medizinische Versorgung der Bevölkerung, und erst recht nicht, was die Kaufkraft der jeweiligen Währung betrifft. Aber stellen Sie sich trotzdem mal vor, was man in der Schweiz mit CHF 60000.– im Jahr bewegen kann und was in Kambodscha: der Hebel ist wohl an die 50-Mal höher.
Fazit: eine wunderbar bereichernde Reise. Ein eindrückliches Land und freundliche, aufgestellte Menschen. Für jemanden aus der Schweiz, mit einem komplexen, sehr reglementierten und durchorganisierten, aber sehr teuren Gesundheitswesen ist es befreiend zu sehen, mit wie wenig finanziellen Mitteln, aber unglaublichem persönlichen Engagement viel erreicht werden kann. Vielleicht wäre bei uns zwischendurch etwas weniger auch mehr! Für das System, die Leistungserbringer und die Patienten.

AutorIn: Doris Fischer-Taeschler, ehemalige Geschäftsführerin von diabetesschweiz