Kevin Brady ist 61 Jahre alt und hat Diabetes Typ 2. Seit 2016 ist bei ihm der Diabetes bekannt. Als Betroffener weiss er, wie sehr diese Erkrankung mit ihren Herausforderungen das Alltagsleben beeinflussen und beeinträchtigen kann. Der regelmässige Kontakt mit anderen Diabetiker/-innen hat ihm nach der Diagnosestellung vieles erleichtert. Deshalb ist er der Ansicht, dass der Erfahrungsaustausch untereinander für alle Diabetesbetroffenen von grösster Bedeutung ist.

Brady Kevin PortraitDie Schulung und Betreuung der Diabetesbetroffenen durch medizinisches Fachpersonal genügt seiner Meinung nach nicht. «Es geht klar nicht darum, dessen Kompetenz in Frage zu stellen», betont Kevin Brady. «Die Instruktionen, die ich im Jahr 2016 im Universitätsspital Genf erhalten hatte, waren ohne Zweifel sorgfältig und tadellos. Aber sie beschränkten sich im Wesentlichen auf technische Erläuterungen. Der Diabetes ist aber eine Krankheit, die den gesamten Menschen betrifft, beruflich und privat, psychisch und körperlich, rund um die Uhr und das ganze Jahr. Dieser Aspekt kommt meistens viel zu kurz. Man hatte mich zum Beispiel sehr genau geschult, wie ich meine täglichen Insulininjektionen vorzunehmen habe. Aber nur dank dem Kontakt und den Gesprächen mit anderen Diabetikern schaffte ich es, meine Insulintherapie auch ohne Probleme im Alltag umzusetzen. Insulinspritzen ist schliesslich das tägliche Los vieler Diabetesbetroffener.»
Das klingt nun fast so, als ob Kevin Brady zwei linke Hände hätte und etwas begriffsstutzig wäre. Dem ist aber nicht so. Seine berufliche Laufbahn widerlegt dies: 1975 kam er als 18-Jähriger aus Irland in die Schweiz, wo sich bereits seine ältere Schwester als Violinistin in Genf niedergelassen hatte. Nach Abschluss eines vierjährigen Studiums am Musikkonservatorium war er während 10 Jahren Violinist beim «Orchestre de la Suisse romande» (OSR). Damals war von Diabetes nicht die Rede. Aber Stress und andere Belastungen begleiteten ihn Zeit seines Lebens. So war er zum Beispiel gezwungen, nach zehn Jahren wegen Gehörproblemen seinen Beruf beim OSR aufzugeben. Er absolvierte zunächst eine Umschulung in Informatik und Wirtschaft und war bis 2005 beruflich im In- und Ausland engagiert. Heute ist er, nach erneuter Umschulung, handwerklich tätig, und zwar als Sattler.
«Viele Jahre meines Lebens musste ich auch gegen die Gewichtszunahme kämpfen. Zunächst unbemerkt, zeigten sich im Laufe der Zeit immer deutlichere Anzeichen der Zuckerstoffwechselentgleisung. Ich begann in zunehmender Menge kalorienhaltige Süssgetränke zu konsumieren. Im Jahr, bevor mein Diabetes entdeckt wurde, waren es bis zu zwei Liter pro Tag.» Er ist der Ansicht: «Für mich ist darum das Übergewicht vor allem eine Folge und nicht die Ursache des Diabetes.»
«Bereits 2011 wurde bei mir im Rahmen eines Gesundheits-Checkup ein Prädiabetes festgestellt. Man empfahl mir, einen Arzt aufzusuchen. Ich schlug diese Warnung in den Wind, bis ich im Jahr 2016 völlig geschwächt und mit ausgebrochenem Diabetes auf der Notfallstation des Universitätsspitals in Genf landete. Ich hatte einen totalen Kräfteverlust erlitten, musste alle zwei Stunden auf die Toilette gehen, auch nachts. Rückblickend war das nicht verwunderlich. Durst und ständiger Harndrang sind die Reaktion des Körpers auf den gestörten Zuckerstoffwechsel. Der Körper greift dann auf seine Reserven zurück, um den Energiemangel auszugleichen. Damals habe ich auch rund 15 Kilogramm abgenommen, zum ersten Mal in meinem Leben.»

Brady Kevin spielt Geige
Kevin Brady ist heute in mehreren kleineren Ensembles aktiver Violinist. Er sagt: «Die Musik hat mir über alles hinweggeholfen, und auch heute noch könnte ich nicht ohne sie leben.»

Wie schon gesagt, hinterliess der Aufenthalt im Spital bei Kevin Brady einen etwas zwiespältigen Eindruck, geprägt von technischen Diabetesschulungen, die das Umsetzen in den Alltag zu wenig berücksichtigten. «In der modernen Medizin ist alles strikt in einzelne Fachspezialitäten unterteilt», sagt er, «mit der logischen Konsequenz, dass auch der Patient die wichtigen Informationen nur bruchstückweise von mehreren Fachpersonen erhält und der Blick aufs Gesamte verloren geht. Dieses Problem lösen offenbar auch digital vernetzte Krankenakten nicht, die von den involvierten Stellen immer eingesehen werden können.» Die Verunsicherung im Alltag blieb, bis er in einer ambulanten Therapiestation für Patienten mit chronischen Krankheiten erstmals mit anderen Diabetesbetroffenen zusammentraf. «Dieser Erfahrungsaustausch war ausgesprochen positiv. Ich hatte Kontakt mit neun anderen Patienten, Frauen und Männer, jede und jeder mit einer individuellen Lebensgeschichte und eigenen Behandlungen und Erfahrungen. So erlernte und trainierte ich den täglichen Umgang mit dem Diabetes. Die Bewältigung der Krankheit im Alltag ist die grösste Herausforderung, wenn man an einer chronischen Erkrankung leidet. Weitere Kontakte mit anderen Diabetesbetroffenen ergaben sich während des DIAfit-Programms und schlussendlich auch im Aquagym, das ihm zur Linderung der neuropathischen Beschwerden an den Füssen empfohlen worden war.»
So wurde er im Laufe der Jahre in seiner Meinung bestärkt: «Wir Diabetiker müssen untereinander direkten Kontakt haben. Der ungefilterte, direkte Erfahrungsaustausch ist enorm wichtig. Dies betrifft nicht zuletzt auch die Medikamententherapie und deren Nebenwirkungen.» Er erklärt: «Ich nehme täglich 14 Tabletten ein. Die Muskelkrämpfe, die mir Metformin zu verursachen scheint, behandle ich mit Magnesium. Gleichzeitig achte ich darauf, dass ich vor der Tabletteneinnahme viel trinke. Es brauchte Monate, bis ich das realisiert und umgesetzt hatte!»
Um den ungezwungenen Gedanken- und Erfahrungsaustausch unter Diabetesbetroffenen zu ermöglichen, hat Kevin Brady zusammen mit Kollegen aus dem DIAfit-Programm und mit Unterstützung von Diabetes Genf wöchentliche gemeinsame Spaziergänge organisiert. Für ihn, der unterdessen im Vorstand von «diabètegenève» eine aktive Rolle übernommen hat, ist das Organisieren solcher Zusammenkünfte eine der Kernaufgaben, die die Diabetesgesellschaft übernehmen muss. Regelmässige Kontakte und Informationsaustausch unter Betroffenen sind ganz einfach extrem wichtig. Davon ist Kevin Brady überzeugt.

Artikel erschienen im «d-journal romand», 2/18. Gekürzt und ins Deutsche übersetzt von Dr. med. A. Spillmann