Nach anfänglichen Schwierigkeiten ist es Christine Boillat, bei der im Jahr 2007 ein Typ-2-Diabetes mellitus diagnostiziert worden war, Schritt für Schritt gelungen, den Diabetes in den Griff zu bekommen. Dies erforderte neben viel eigenem Willen auch die Unterstützung der Familie, von Fachpersonen und der Neuenburger Diabetes-Gesellschaft.

Voll von sprühender Lebensfreude, dynamisch, strahlend, redegewandt: Wer Christine Boillat heute begegnet, hat den Eindruck, einer Person gegenüberzustehen, die keine Sorgen kennt, sich in ihrer Haut wohlfühlt und ständig voller Tatendrang ist. Aber auch in ihrem Leben ist in den vergangenen 25 Jahren nicht alles rund gelaufen: Sorgen und Heraus­forderungen wie Ehescheidung, Ausbruch des Diabetes und Arbeitslosigkeit sind ihr nicht erspart geblieben. Selber sagt sie: «Ich hätte sehr wohl an all dem, was ich durchgemacht habe, zugrunde gehen können, wenn ich nicht jedes Mal auf die Unterstützung der Familie, aus dem Freundes- und Bekanntenkreis und von Ärzten und Beraterinnen hätte zählen dürfen. Dies gab mir jeweils die Energie, mit den Problemen fertig zu werden und wieder richtig Fuss zu fassen.»

Eine schonungslose Mitteilung
Die Diabetesdiagnose kam für sie damals wie aus heiterem Himmel. «Es war an einem Sommermorgen um 9.00 Uhr bei meinem Hausarzt. Dieser erklärte mir sehr direkt und ohne viel Federlesens, dass ich zuckerkrank sei (der Nüchternblutzucker betrug 20). Schon lag die ärztliche Verordnung bereit … und ich torkelte völlig erledigt aus der Sprechstunde hinaus, war aber eigentlich auf dem Sprung, noch am selben Abend in die Ferien zu verreisen. Nicht weit weg, nur nach Südfrankreich. Mein Arzt war fürs erste beruhigt, war doch so die medizinische Versorgung der kommenden Tage gewährleistet. Mich hingegen verunsicherte dies nur noch mehr, und ich kriegte es mit der Angst zu tun: Von jetzt an war ich also fürs ganze Leben krank …Wie sollte ich diese neue Situation bewältigen? Wie mit all der Ungewissheit fertig werden?»
Im Nachhinein wurde für Christine Boillat klar, dass sie in den Jahren vor der Diabetesdiagnose den Kopf in den Sand gesteckt hatte und eigentlich hätte merken müssen, dass es mit ihrer Gesundheit nicht mehr zum Besten bestellt war. Es hatten sich doch schon seit geraumer Zeit klare Beeinträchtigungen bemerkbar gemacht:
Da war einmal die Sehschärfe der Augen: «Ich musste während meiner Bürotätigkeit im Detailhandel immer öfter mit der Lupe arbeiten. Alles schien verschwommen, sowohl in der Nähe als auch in der Ferne. Ich suchte deshalb schlussendlich Hilfe bei einem Augenarzt. Dieser riet mir, eine Blutuntersuchung vornehmen zu lassen, womit wir dann rasch dem Diabetes auf die Spur kamen.»

Wasser ist Leben!
«Auch trank ich ständig und viel Wasser. Dies fiel mir aber deshalb nicht weiter auf, da ich sowieso mit meiner Freundin im Wettbewerb stand, pro Tag mindestens 1,5 Liter Wasser zu trinken. Wir waren überzeugt, damit auch etwas Gutes für die Gesundheit zu tun. Dass ich aber ebenfalls nachts ständig Durst hatte und trinken musste, verschwieg ich ihr. Positiv schien mir auch, dass ich in dieser Zeit auch an Gewicht abnahm. Allerdings hätte mir die ständige Müdigkeit auffallen und mich alarmieren müssen.»
Christine Boillat war nach der Konfrontation mit der Diagnose Diabetes zunächst völlig «neben den Gleisen». Von der Existenz dieser Krankheit wusste sie bis anhin praktisch nur vom Hörensagen. Ihre Grossmutter war zwar so schwer an Diabetes erkrankt gewesen, dass ein Bein amputiert werden musste. Christine ging aber dennoch eigentlich immer davon aus, dass Diabetes etwas sei, das nur die anderen treffen könne. Deshalb verdrängte sie alles, was bei ihr auf hohen Zucker hätte hinweisen können. Erst als der Sohn einer Freundin an Typ-1-Dia­betes erkrankte, wurde ihr bewusst, dass Durst ein Symptom hohen Blutzuckers war.

Eine abgrundtiefe Angst
Nun war sie also selbst von Diabetes betroffen und darauf überhaupt nicht vorbereitet. Völlig überrumpelt, konnte sie Tag und Nacht an nichts mehr anderes denken. In ihrem Kopf drehte sich alles um ihre Krankheit. «Ich war gefangen in diesen Gedanken. Schlimm war, dass alle Leute, mit denen ich sprach, nur mit Schrecken reagierten, als sie erfuhren, dass ich Diabetes hatte.» Unterstützung fand sie zunächst bei ihrer Familie, wohnen doch ihre Eltern und ihr Bruder in der gleichen Strasse wie sie.
Die ersten Monate nach Beginn der Diabetesbehandlung waren hart. Die Müdigkeit blieb noch während Wochen bestehen. Und zwar so stark, dass ihr der Hausarzt empfahl, bis Ende Jahr nur noch 50 statt 100% zu arbeiten. Schritt für Schritt kam es zu einer Verbesserung des Blutzuckers. Christine Boillat bemühte sich neben einer Ernährungsumstellung und einer regelmässigen Medikamenteneinnahme insbesondere um körperliche Aktivität. Bis zum Alter von 35 bis 40 Jahren war sie eine aktive Sportlerin gewesen. «Reiten, Radtouren und Fussmärsche und regelmässiges Schwimmen, all dies hatte ich im Laufe der Zeit schrittweise aufgegeben. Nachdem ich mit der Diagnose des Diabetes wieder begonnen hatte, mich körperlich zu betätigen, schwimme ich nun regelmässig und unternehme Fussmärsche», erzählt sie.

Ausflug der neuenburgischen Diabetesgesellschaft ins Elsass, organisiert von Christine Boillat)

Die entscheidende Rolle der ­Diabetesgesellschaft Neuenburg
Nach einem Hinweis von ihrem Hausarzt auf die Diabetesgesellschaft nahm sie Kontakt mit Diabetes­neuenburg auf und stiess sogar auf eine Sekretärin, die auch ihren Vater kannte. Der Kontakt mit dieser Anlaufstelle ist seither nicht mehr abgebrochen. Christine deckt sich dort nicht nur mit ihren Diabetesutensilien ein, sondern organisiert schon seit mehreren Jahren deren Ausflüge mit Diabetesbetroffenen. «Diabetesneuenburg war und ist mir bis heute nicht nur eine grosse Hilfe. Sie hat es mir vor allem auch ermöglicht, mich sinnvoll dort einzubringen, wo ich etwas Nützliches machen kann. Dies betrifft zum Beispiel die speziellen Aktionen für Familien und Kinder in den Jahren 2015 und 2016. Im Laufe der Jahre habe ich auch regelmässig am Weltdiabetestag mitgeholfen. Seit 2017 bin ich verantwortlich für die jährlichen Ausflüge, die die Diabetesgesellschaft durchführt. Bei all diesen Aktivitäten der Gesellschaft mache ich wahnsinnig gern mit. Sie haben in mir und in meinem Leben eine grosse Veränderung bewirkt», gesteht sie.
So ist Christine heute zu einer Frau geworden, die sich wohlfühlt in ihrer Haut – nicht zuletzt dank der Unterstützung, die sie im Laufe der vergangenen Jahre von verschiedener Seite erhalten hat. «Hypoglykämien habe ich glücklicherweise nie erlebt. Die anfängliche Furcht ist weg, der Diabetes ist jetzt mein Lebensgefährte geworden, einfach so und ganz selbstverständlich», unterstreicht sie.

Arbeitssuche
Mitte 2017 wurde ihr die Arbeitsstelle gekündigt. Aber sie hat auch diese neue Lebenssituation gut gemeistert und konnte, nicht zuletzt dank der Hilfe einer Psychologin, wieder Fuss fassen. Jetzt ist sie wieder voller Tatendrang, absolviert verschiedene Kurse im Personalwesen und der Buchhaltung, parallel dazu auch in Informatik. «Mein Ziel ist es, eine neue Stelle im Personalwesen oder in der Buchhaltung zu finden.»
Am Morgen unseres Gesprächs teilt sie mir strahlend mit, dass sie eine gute Nachricht erhalten und einen Job in einer neu gegründeten Unternehmung in Aussicht habe. Mit ihren 55 Jahren lässt sich Christine eben immer noch nicht unterkriegen – trotz und mit ihrem Diabetes.

Ins Deutsche übersetzt und bearbeitet von Dr. med. Alexander Spillmann

AutorIn: Pierre Meyer, Chefredaktor d-journal romand