Bauchumfang mit Massband messen

Gehört: «Man sagt mir, ich habe Typ-2-Diabetes. Dabei bin ich doch gar nicht dick. Bis zur Schwangerschaft mit 30 Jahren war ich sogar untergewichtig (158 cm; 47 kg). Ich bekam damals einen Schwangerschaftsdiabetes. Weil ich die Behandlung sehr gewissenhaft durchführte – ich musste Insulin spritzen – kam mein Kind kerngesund zur Welt. Die Diagnose eines Diabetes wurde dann 16 Jahre später gestellt (bei einem Gewicht von 65 kg). Meine Oma hatte übrigens auch Typ-2-Diabetes. Was hat denn meinen Diabetes ausgelöst? Es kann ja nicht das (jetzt) leichte Übergewicht allein gewesen sein.»

Geantwortet: Beim «klassischen» Typ-2-Diabetes – auf die zahlreichen, aber insgesamt seltenen Spezialformen möchte ich hier nicht eingehen – ist es nie das Übergewicht allein, welches zur Stoffwechselstörung führt. Es braucht immer auch eine Schwäche der Bauchspeicheldrüse (des Pankreas). Nur wenn beide Faktoren zusammentreffen, kann sich ein Typ-2-Diabetes entwickeln. Es gibt ja stark übergewichtige Menschen, welche nie Diabetiker werden, weil ihr Pankreas keine Schwäche zeigt und immer genügend Insulin produziert.
Um ganz korrekt zu sein, müssen wir hier noch den Begriff der «Insulinresistenz» einführen, für aufmerksame «d-journal»-Leser ein «alter Bekannter». Damit ist der Umstand gemeint, dass bei recht vielen Menschen für alle Stoffwechselvorgänge, z. B. die Eigenproduktion von Zucker oder die Einlagerung von Glukose als Glykogen-Depot, mehr Insulin gebraucht wird als üblich. Das (körpereigene) Insulin arbeitet nicht effizient. In der Schweiz betrifft diese Störung vermutlich etwa einen Viertel der Bevölkerung. Selbstverständlich liegt hier eine genetische Prädisposition vor. Die Oma lässt grüssen! Es ist letztlich diese Insulinresistenz, welche zum Diabetes führt. Das Übergewicht bzw. die Adipositas sind lediglich wichtigster Faktor für die Ausprägung einer Insulinresistenz. Andere wichtige Gründe, insulinresistent zu werden, sind fehlende körperliche Aktivität und zunehmendes Alter. Damit ist selbstverständlich einmal mehr erklärt, weshalb Gewichtsreduktion und regelmässige Bewegung die grundlegenden, ersten Schritte in der Behandlung des Typ-2-Diabetes sind.
Der Vollständigkeit halber sei hier noch erwähnt, dass die Insulinresistenz auch mitverantwortlich ist für den hohen Blutdruck und die Fettstoffwechselstörung (hohe Triglyzeride, tiefes HDL-Cholesterin), welche sehr oft gleichzeitig mit dem Diabetes auftreten.
Aufgrund des Gesagten leuchtet es ein, dass von ­Typ-2-Diabetes Betroffene zwar immer beide Störungen haben müssen: eine Insulinresistenz (bzw. Übergewicht) und eine zu geringe Insulinproduktion in der Bauchspeicheldrüse. Wie stark ausgeprägt die einzelnen Komponenten sind, ist individuell indes sehr verschieden. So ist es bei entsprechender Veranlagung durchaus möglich, auch bei nur leichtem Übergewicht einen «klassischen» Typ-2-Diabetes zu bekommen. Wenn wir über unsere Landesgrenzen hinausschauen, sehen wir übrigens diese grosse Individualität auch weltweit. Bezogen auf den Body-Mass-Index sind die Insulinresistenz ausgeprägter und die Diabeteshäufigkeit höher bei Chinesen, Japanern, Indern, Tamilen usw. als bei uns. Bei einigen in der Schweiz wohnenden Tamilen mit Typ-2-Dia­betes wäre deshalb die Bemerkung: «Aber der ist doch gar nicht dick!» ebenfalls sehr angebracht.
Zu guter Letzt: Ihr grosser Einsatz während der Schwangerschaft hat sich sehr gelohnt. Herzliche Gratulation! Frauen, die einen Schwangerschaftsdiabetes hatten, entwickeln später – leider – häufiger einen Typ-2-Diabetes. Während einer Schwangerschaft kommt es hauptsächlich hormonell bedingt zu einer Insulinresistenz. Kann der dadurch bedingte höhere Insulinbedarf nicht gedeckt werden, entsteht – vorübergehend – ein Diabetes.

AutorIn: Dr. med. K. Scheidegger