Vermutlich haben etwa die Hälfte aller Männer und Frauen irgendein Problem mit dem Sexualleben. Über Sexualität zu sprechen, bereitet vielen Menschen Mühe. Obwohl wir eine Gesellschaft geworden sind, die kaum noch Tabus kennt, tut man sich schwer mit diesem Thema. Selbst in der ärztlichen Sprechstunde, im Zweiergespräch unter vier Augen, wird dieses Thema kaum angesprochen. Es fällt viel leichter, Fussprobleme, Insulindosierungen, Augenprobleme und Nebenwirkungen von Tabletten zu besprechen. Im Folgenden sollen zum Thema Sexualleben ein paar Dinge erwähnt und erklärt werden, die viele Menschen zwar gerne wissen möchten, sich aber meistens scheuen, selbst als Thema aufzugreifen.
Voraussetzung: Die Libido
Die Lust zum Sexualverkehr (die Libido) ist bei Diabetikerinnen und Diabetikern oft weniger ausgeprägt als bei der übrigen Bevölkerung. Die Ursachen sind vielfältig und können oft nicht gut auseinandergehalten werden.
Man weiss zum Beispiel, dass konstant zu hohe Blutzuckerwerte die Libido beeinträchtigen können. Bei fehlender oder nachgelassener sexueller Lust ist also sicher einmal eine gute Blutzuckereinstellung anzustreben.
Häufig sind es Medikamente, zum Beispiel gegen Depressionen, oder Probleme mit dem Diabetes als chronische Krankheit, die die sexuelle Lust beeinträchtigen. Aber auch Stress oder psychische Belastungen aus irgendeinem Grund können schuld sein an verminderter Libido.
Bei übergewichtigen Männern ist oft der Spiegel des männlichen Geschlechtshormones, des Testosterons, vermindert. Auch dies kann die sexuelle Lust herabsetzen. Eine Gewichtsabnahme und/oder eine ärztlich verordnete Testosterontherapie können in dieser Situation Hilfe bringen.
In einzelnen Studien mit Frauen nach der Abänderung konnte nachgewiesen werden, dass eine Therapie mit Testosteron die fehlende Libido verbessert. Andere Untersuchungen konnten dies nicht bestätigen. Testosteronpräparate sind in der Schweiz zur Verbesserung der Libido bei Frauen nicht zugelassen. Auch weiss man nicht, wie sich eine solche Therapie langfristig auf die Gesundheit der mit Testosteron behandelten Frauen auswirkt (Nebenwirkungen). Deshalb sollten Frauen von dieser Therapie absehen.
Der Mann
Erektile Dysfunktion ist der medizinische Fachbegriff für Erektionsprobleme beim Mann. Etwa die Hälfte aller Männer zwischen 40 und 70 Jahren sind davon betroffen, Diabetiker etwas häufiger als Nichtdiabetiker. In den meisten Fällen ist das Problem nicht psychisch bedingt, sondern Folge einer organischen Erkrankung.
Eine Erektion gelingt nur, wenn es zur sexuellen Erregung kommt und die Blutversorgung im Penis in Ordnung ist. Erektionsstörungen hängen deshalb häufig mit Krankheiten zusammen, die den Blutfluss beeinträchtigen. Bei einem während Jahren schlecht eingestellten Diabetes entstehen Verengungen in den zum Penis führenden Blutgefässen. Dieser bleibt schlaff oder versteift sich nur teilweise. Rauchen, hohe Blutfette oder hoher Blutdruck schädigen diese Blutgefässe zusätzlich.
Nervenimpulse lösen bei sexueller Reizung das Einströmen des Blutes in die Penisschwellkörper aus. Konstant hohe Blutzuckerwerte können die dafür nötigen Nervenleitungen schädigen (sogenannte Neuropathie) und somit eine erektile Dysfunktion verursachen. Auch hier ist eine langfristig gute Blutzuckereinstellung sicher von Nutzen.
Auch einige Medikamente gegen hohen Blutdruck oder Mittel gegen Depression, Operationen im kleinen Becken (Prostata) oder eine Strahlentherapie wegen eines Tumorleidens im Unterbauch können Erektionsstörungen verursachen.
Psychische Ursachen für eine erektile Dysfunktion sind typischerweise Stress in Beruf oder Partnerschaft oder depressive Verstimmungen. Auch der Erfolgsdruck, während des Geschlechtsverkehrs eine Erektion erreichen zu wollen, kann eben diese Schwierigkeit verschlimmern.
Was kann man tun? Wo nicht psychische Probleme oder schwerwiegende hormonelle Störungen vorliegen, die einer Behandlung bedürfen (zum Beispiel Testosteronmangel), werden meistens sogenannte Phosphodiesterase-5-Hemmer verordnet. Dazu zählen die Präparate Cialis®, Levitra®, Revatio®, Stendra®, Viagra® und andere. Diese unterscheiden sich vor allem in der Wirkdauer und helfen in etwa 70 Prozent, eine Erektion zu erreichen. Sie funktionieren aber nur, wenn auch eine sexuelle Erregung die Erektion als solche auslöst. Oft sind mehrere Versuche mit diesen Medikamenten nötig, um die Wirkung definitiv beurteilen zu können. Alle diese Präparate können bekannte und zum Teil nicht ungefährliche Nebenwirkungen haben. Ihre Anwendung muss deshalb vorgängig mit dem Arzt oder der Ärztin besprochen werden. Alternativen dazu sind Spritzen, die man direkt in den Schwellkörper des Penis abgibt, Peniszäpfchen, die die Erektion anregen, Vakuumpumpen oder Schwellkörperimplantate. Hier können Fachärzte für Urologie am besten Hilfe bieten und Rat geben.
Bei psychischen Störungen ist meistens eine fachlich kompetente Behandlung nötig. Dies kann bei einem Psychiater oder Psychologen erfolgen oder in einer spezialisierten Sexualsprechstunde.
Die Frau
Gemäss Umfragen beklagen rund ein Drittel aller erwachsenen Frauen Funktionsstörungen der Geschlechtsorgane, und jede sechste hat Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Die Abklärung und Behandlung von Sexualstörungen bei Frauen ist komplizierter als bei Männern, da oft keine einzelne Ursache vorliegt und die Ursachen sich überschneiden können.
Bei den Frauen vergrössern sich bei sexueller Erregung die Klitoris und die kleinen Schamlippen. Auch hier kann man von einer Erektion sprechen. Der Mechanismus ist grundsätzlich der gleiche wie beim Mann. Auch vertieft sich bei sexueller Erregung die Scheide, sie wird besser durchblutet und feucht. Dies ist angenehm und erleichtert den Geschlechtsverkehr. Eine trockene oder enge Scheide kann zu Schmerzen führen, die Haut ist verletzlicher, was leichte Einrisse und Infektionen begünstigt. Typisch sind diese Beschwerden in den Wechseljahren, bei Verwendung der Spirale, Einnahme gewisser Medikamente oder bei schlecht eingestelltem Diabetes mellitus. Aber auch Rauchen, Operationen und Bestrahlungen im kleinen Becken können, wie beim Mann, zu solchen Beschwerden führen.
Nicht zu vergessen sind Stresssituationen, Partnerschaftsprobleme oder früher durchgemachte traumatische sexuelle Erlebnisse. Diese lösen sehr oft Hemmungen im Sexualverkehr aus.
Empfohlen sind eine optimale Blutzuckereinstellung, Verzicht auf Rauchen, Anwendung von Binden statt Vaginaltampons oder/und eines Gleitmittels (Gels) zur Befeuchtung der Scheide. Hier ist unter Umständen frauenärztlicher Rat nötig. Auf ärztliche Verordnung können eventuell auch Hormonpräparate eingesetzt werden. In Studien wurden auch bei Frauen Versuche mit Phosphodiesterase-5-Hemmern durchgeführt, teilweise mit Erfolg. Aber auch hier gilt: Diese Präparate sind bei Frauen nicht zugelassen und haben klare Kontraindikationen. Ihre Anwendung ist deshalb nicht zu empfehlen.
Bei psychischen Problemen ist oft eine fachlich kompetente Behandlung nötig, sei es bei einem Psychiater, Psychologen oder in einer spezialisierten Sexualsprechstunde, wo beide Partner einzeln und /oder miteinander hingehen.
Der Höhepunkt
Schwierigkeiten, zum sexuellen Höhepunkt, dem Orgasmus, zu kommen, ist bei Diabetikerinnen rund 80 Prozent häufiger als bei stoffwechselgesunden Frauen. Männer erreichen grundsätzlich einfacher einen Orgasmus als Frauen. Dies ist auch bei Diabetikern so. Für einen befriedigenden Orgasmus ist ein intaktes Nervensystem nötig. Eine gute Blutzuckereinstellung ist eine günstige Voraussetzung.
Was ist noch zu sagen?
Seltenere Ursachen von Sexualstörungen sind Penisverkrümmungen und schmerzhafte Erektionen. Beides kommt bei Diabetikern etwas häufiger vor.
Bei den Diabetikerinnen sind Infektionen in den Harnwegen und der Scheide häufiger als bei Nichtdiabetikerinnen. Dies ist abhängig von der Blutzuckereinstellung.
Schlussendlich ist aber nicht zu vergessen: Voraussetzung für einen befriedigenden und erfüllenden Sexualverkehr ist zunächst, sich selbst und den Partner/die Partnerin mit allen Handicaps und Problemen zu akzeptieren, sich Zeit zu nehmen und sich nicht unnötigem Erfolgsdruck auszusetzen. Bei Problemen mit dem Sexualleben muss man darüber reden, mit dem Partner, der Partnerin oder zum Beispiel einer Fachperson (zum Beispiel Arzt/Ärztin), der man vertraut.
Ein erfolgreicher und schmerzloser vaginaler Geschlechtsverkehr ist nicht eine zwingende Voraussetzung für eine befriedigende Sexualität oder eine glückliche Partnerschaft. Toleranz, Akzeptanz, Zärtlichkeit, Liebe und Vertrauen sind genauso wichtig und bilden die Basis für eine gute zwischenmenschliche Beziehung, auf der dann eine für beide befriedigende Sexualität aufgebaut werden kann.