Mann steht auf Waage

Gehört: «Ich habe grosse Mühe, mein Gewicht zu reduzieren, was ja dringend nötig wäre», berichtet der 54jährige Herr R., übergewichtiger Diabetiker seit sechs Jahren. «Ich habe deshalb vor 10 Tagen beschlossen, das Morgenessen konsequent wegzulassen. So kann ich ein paar Kalorien einsparen.»

Geantwortet: So gut dies im ersten Moment tönen mag, ich kann Ihren Entschluss aus medizinischer Sicht nicht mittragen. Es spricht nicht viel dafür, dass Sie davon profitieren könnten.
Da ist zum einen die immer wieder gemachte Beob­achtung, welche auch durch entsprechende Studien bestätigt wurde: Wer ganze Mahlzeiten auslässt, nimmt in der Regel dabei nicht ab. Manchmal ist diese Massnahme sogar mitverantwortlich für eine (weitere) Gewichtszunahme. Es ist nicht restlos geklärt, weshalb dem so ist. Eine – eventuell unbewusste – Überkompensation an Kalorien zu den verbleibenden Mahlzeiten mag eine Rolle spielen. Vielleicht sind Nahrungsaufnahme und Stoffwechselvorgänge auch optimiert, wenn nur seltene Mahlzeiten eingenommen werden. Schliesslich wurden ja die Hungersnöte in früheren Zeiten – verbunden mit nur seltenen Mahlzeiten – am bes­ten überlebt von den «guten Futterverwertern».
Eine ganz neue Studie hat Resultate gezeigt, die ebenfalls klar gegen das Auslassen des Frühstücks sprechen: Bei 22 im Durchschnitt 57 Jahre alten, leicht übergewichtigen Typ-2-Diabetikern wurden an zwei Tagen genaue Blutzuckermessungen durchgeführt. Die Probanden mussten an beiden Tagen eine identische Mittags- bzw. Abendmahlzeit einnehmen. Am einen Tag gab es zudem ein Frühstück; am andern Tag wurde bis zum Mittagessen gefastet. Für Fachleute nicht ganz überraschend, aber in ihrer Deutlichkeit unerwartet, stiegen die Blutzuckerwerte nach den Mahlzeiten (postprandial) an Tagen mit morgendlichem Fasten deutlich höher an als an Tagen mit Frühstück. Nach dem Mittagessen lagen die Werte um 40% höher, nach dem Abendessen um 25%. Zudem war nach ausgelassenem Frühstück die Insulinwirkung während des ganzen weiteren Tages etwas reduziert.
Die Gründe für diese Beobachtung sind noch nicht im Einzelnen geklärt. Man geht davon aus, dass das Weglassen des Morgenessens, zusammen mit dem «Fasten» während der vorausgehenden Nacht, die Bauchspeicheldrüse bereits etwas aus dem Tritt bringt, so dass sie «vergisst», was ihre eigentliche Aufgabe wäre, und sie ihre Arbeit nicht mehr in voller Routine verrichten kann. Zudem steigt wegen der – wenn auch kurzen – Fastenperiode der Blutspiegel an freien Fettsäuren an, was bekanntermassen zu einer Abschwächung der Insulinwirkung führt.
Lieber Herr R.: Versuchen Sie, drei Mahlzeiten pro Tag einzunehmen. Um die Kalorien günstig verteilen und dem Gewicht doch «zu Leibe rücken» zu können, kann es empfehlenswert sein, die Dienste einer Ernährungsberaterin in Anspruch zu nehmen.

AutorIn: Dr. med. K. Scheidegger