Nordische Ernährung

Gehört: «Ich habe kürzlich gelesen, dass man sich jetzt ‹nordisch› ernähren soll. Nordische Kost sei besonders gesund» berichtet Frau D., 48jährig, mit Typ-2-Diabetes seit zwei Jahren etwas genervt. «Mir hat die Ernährungsberaterin bei der Erstschulung eine mediterrane Ernährung empfohlen. Was gilt jetzt wirklich?»

Geantwortet: Tatsächlich sind in letzter Zeit ein paar Artikel erschienen, in welchen eine nordische Ernährungsweise als gesund beurteilt wurde. Diese Empfehlungen basieren auf Studien, deren Resultate im letzten Jahr publiziert worden sind. Ihre Verunsicherung ist zwar verständlich – die nordischen Staaten und das Mittelmeer liegen weit voneinander entfernt –, aber unnötig. Lassen Sie mich erklären weshalb!
Viele einzelne Lebensmittel wurden schon untersucht auf ihre Bedeutung für die Gesundheit. Es gibt Studien zum regelmässigen Verzehr von Nüssen, von weissem und grünem Gemüse, von verschiedenen Ölen, von Milchprodukten, von rotem Fleisch, von Schokolade und vielem mehr. Aussagekräftiger und der Realität näher sind allerdings Untersuchungen über allgemeine Essgewohnheiten, wie eben zum Beispiel die mediterrane «Diät». Wir haben im «d-journal» 181/2006 ausführlich darüber berichtet. Die Grundpfeiler der mediterranen Ernährung sind frisches Obst und Gemüse, Getreideprodukte, Olivenöl, wenig rotes Fleisch und viele Hülsenfrüchte. Die Vorteile einer solchen Ernährung sind beeindruckend: Senkung der Herzinfarkt- und Krebssterblichkeit; Senkung der Gesamtsterblichkeit; Senkung der Häufigkeit von Parkinson- und Alzheimer-Erkrankung; Senkung des Risikos für die Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ 2 und eines metabolischen Syndroms; Senkung des Einsatzes von oralen Antidiabetika bei neu diagnostiziertem Diabetes mellitus Typ 2.
Wichtig ist offensichtlich, dass die Ernährung einen hohen Anteil an Vitaminen, Mineralstoffen und Nahrungsfasern enthält. Ausserdem soll sie reich sein an sogenannten Antioxidantien. Das sind Schutzstoffe, welche ein Übermass an freien Sauerstoffradikalen abfangen können. Diese entstehen beim Abbau der Nahrung, vor allem bei übermässiger Kalorienzufuhr, aber auch durch Umweltbelas­tungen und Krankheiten. Sie greifen Körperzellen an und schädigen sie. Der Körper wird schneller alt; die Blutgefässe «verkalken» früher (Arteriosklerose). Die Natur hat nun über die Jahrhunderte ausgeklügelte Schutzsysteme entwickelt, diese Sauerstoffradikale zu neutralisieren. Da sie den gefährlichen «oxidativen Stress» bekämpfen, bezeichnet man sie als Antioxidantien. Die wichtigsten dieser Schutzstoffe sind die Vitamine E, C und das Betakarotin, Spurenelemente wie Selen, Zink und Kupfer sowie eine Vielzahl von Pflanzenstoffen. Stellvertretend seien hier die Phenole (wichtigster Vertreter: Flavonoide) genannt, die in zahlreichen Gemüsesorten, Nüssen, Olivenöl, schwarzer Schokolade oder auch im Rotwein enthalten sind.
Damit ist das «Geheimnis» der mediterranen Ernährung gelüftet: Sie versorgt den Körper reichlich mit schützenden antioxidativen Substanzen. Und genau hier haben die Nordländer eingehakt: Dass sie ihre Essgewohnheiten den Bewohnern der Mittelmeerregion anpassen würden, wäre unrealistisch. Weil die «klassische» Ernährung in Skandinavien aber ebenfalls reich ist an Antioxidantien, prüfte man deren Einfluss auf die (kardiovaskuläre) Gesundheit. Die nordische Kost enthält einen hohen Anteil an Fisch, Kohl, Wurzelgemüse, Äpfel und Birnen, Beeren, Roggenbrot und Haferflocken.

So könnte eine ausgewogene Ernährung aussehen

  • Mehrere Portionen Gemüse, Salat und Früchte pro Tag
  • Weniger Fleisch, weniger Würste
  • Regelmässig Fisch
  • Mehr Vollkornprodukte
  • Regelmässig Nüsse
  • Regelmässig Milchprodukte
  • Mehr Nahrungsfasern
  • Weniger Süssgetränke
  • Weniger Salz
  • Wenig (regelmässig) Alkohol
  • Pflanzliche Öle mit günstiger Fettsäure-Zusammensetzung

Die Resultate einer in Dänemark durchgeführten Studie zeigen nun – nach dem Gesagten selbstverständlich nicht mehr überraschend – einen güns­tigen Einfluss der nordischen Ernährung auf die Gesundheit. Diese Studie hatte 55 000 Teilnehmer, die im Mittel über 15 Jahre beobachtet wurden. Wer diese Kostform tatsächlich praktizierte, hatte ein deutlich geringeres Risiko, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln oder einen Hirnschlag zu erleiden.
Sie sehen, liebe Frau D.: Hier schliesst sich der Kreis und es gibt keine Widersprüche. Es gibt ganz offensichtlich nicht nur eine gesunde Ernährungsform. Wichtig scheint es, dass sie ausgewogen ist und reich an Vitaminen, Mineralstoffen und Anti­oxidantien. Ob sie sich in der Küche eher als coole Schwedin oder als heissblütige Italienerin fühlen, ist gesundheitlich nicht so entscheidend.
… und ausserdem: Regelmässige Bewegung ist Gold wert!

AutorIn: Dr. med. K. Scheidegger