Geschichtlicher Hintergrund
Bereits seit dem Mittelalter ist die blutzuckerverbessernde Kraft des Hafers bekannt, und auch in der traditionellen chinesischen Medizin wird Hafer daher gerne verwendet. Ende des 19.Jahrhunderts beschäftigte sich der deutsche Internist Carl von Noorden als einer der ersten Ärzte wissenschaftlich mit der Wirkung des Hafers auf den Stoffwechsel. Damals baute er in Frankfurt am Main eine «Klinik für Zuckerkranke» auf, welche als erste Diabetes-Fachklinik in Europa gilt. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die «Haferdiät» häufig zur Therapie des Diabetes mellitus eingesetzt, kam aber in den letzten Jahrzehnten immer weniger zum Einsatz. Aktuell erlebt diese spezielle «Diät» aber ihre Renaissance als zusätzliches therapeutisches Mittel in der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2.
Wirkung des Hafers auf den Stoffwechsel
Bei der Insulinbehandlung von Patienten, insbesondere mit Diabetes mellitus Typ 2, kann sich über die Behandlungszeit eine zunehmende Insulinresistenz entwickeln. Dies bedeutet, dass die Körperzellen immer weniger sensibel auf das Insulin reagieren und so die blutzuckersenkende Wirkung des Hormons abnimmt. Dies stellt eine grosse therapeutische Herausforderung dar, da meist die alleinige Erhöhung der Insulindosis nicht zum gewünschten Ziel führt. Die hohe Insulinmenge kann jedoch mit Nebenwirkungen wie Unterzuckerungen einhergehen und eine Gewichtszunahme begünstigen. Hierdurch wird auch das Risiko von anderen Erkrankungen, zum Beispiel Gefässerkrankungen des Herzens, erhöht.
In vielen Studien konnte eine positive Wirkung des Hafers bei verschiedenen Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Bluthochdruck, aber auch bei Gesunden nachgewiesen werden. So führt eine zweitägige Haferkur in Studien bei Patienten mit Diabeteserkrankung zu einer deutlichen Reduzierung der Insulindosierung durch Verbesserung der Empfindlichkeit der Körperzellen auf Insulin. Häufig kann die Haferkur auch eine Gewichtsabnahme begünstigen: Das Hormon Insulin ist zwar entscheidend für die Verarbeitung der mit der Nahrung aufgenommen Kohlenhydrate als Energielieferant im Körper, führt allerdings auch oft als Nebenwirkung zu Heisshunger und einer Fettgewebsvermehrung.
Kann die Insulindosierung in der Diabetestherapie reduziert werden, fällt daher häufig auch die Gewichtsabnahme leichter. Nach Studien sinkt der Blutzuckerwert bei einer 2-tägigen Haferkur um 1,8 – 2,2 mmol/l, wodurch die Insulineinheiten bis zu 40 % reduziert werden können. Dieser Effekt ist sofort bei Beginn der Kur festzustellen. Die Verbesserung der Insulinempfindlichkeit hält darüber hinaus bis zu vier Wochen an. Aufgrund dieser schnellen und anhaltenden Wirkung des Hafers sollte eine Haferkur nicht ohne Rücksprache mit einem Arzt durchgeführt werden!
Neben der Wirkung auf den Blutzucker konnten viele Studien auch ein Absinken von Blutfetten wie dem LDL-Cholesterin nachweisen. Das LDL-Cholesterin erhöht nach den Ergebnissen von vielen Studien das Risiko für das Auftreten von Gefässerkrankungen, wie Herzinfarkt oder Schlaganfall.
Wirksame Inhaltsstoffe des Hafers
Der genaue Blick auf die Inhaltsstoffe zeigt einige Besonderheiten des Getreides Hafer. So ist er reich an Kohlenhydraten, hat dabei jedoch einen vergleichsweise geringen sogenannten glykämischen Index. Dies bedeutet, dass beim Verzehr von Hafer (Haferflocken, Haferkleie) der Blutzuckerspiegel langsamer und nicht so stark ansteigt wie bei anderen kohlenhydratreichen Lebensmitteln (z. B. Weissbrot).
Beispiel-Anleitung einer intensiven Haferkur
Jeweils zu den Hauptmahlzeiten Frühstück, Mittag und Abendbrot (100 g Haferflocken enthalten ca. 60 g Kohlenhydrate):
100 g Haferflocken oder -flöckli mit
750 ml (¾ l) Wasser aufsetzen und aufkochen
(entspricht pro Mahlzeit 60 g Kohlenhydrate)
oder
80 g Haferflocken oder -flöckli mit
600 ml Wasser aufsetzen und aufkochen
(entspricht pro Mahlzeit 50 g Kohlenhydrate)
Bei Bedarf kann die Portion auf Haupt- und Zwischenmahlzeit aufgeteilt werden. Um die vollständige Wirkung zu erzielen, sollte auf kohlenhydrathaltige Getränke, sowie zusätzliche Aufnahme anderer Lebensmittel in den Tagen verzichtet werden. Zum Würzen des Haferbreis können beispielsweise benutzt werden:
- Salz (wenig)
- Pfeffer
- Paprikapulver
- Curry
- Kräuter
- fettfreie Gemüsebouillon
- Vanille
- Zimt
- Süssstoff (wenig)
- Kakao, ungesüsst
Die positive Wirkung des Getreides auf den Blutzucker wird vorwiegend durch das in dieser Form nur im Hafer reichlich enthaltene Beta-Glucan vermittelt. Hafer beinhaltet ca. 10 % Ballaststoffe; hiervon macht das Beta-Glucan je nach Hafersorte knapp die Hälfte aus. Es gehört zu den sogenannten löslichen Ballaststoffen, die im Dünndarm nicht in das Blut aufgenommen werden können. Hierdurch sind sie Quell-und Füllstoffe, welche die Darmbewegung aktivieren und auf diese Weise die Verdauung anregen. Die hohe Menge hiervon im Hafer führt zu einer guten und langanhaltenden Sättigung. Beta-Glucane beeinflussen zudem die aufgenommene Zuckermenge im Darm, indem sie zuckeraufnehmende Rezeptoren im Dünndarm hemmen.
Durchführung einer Haferkur
Die Haferkur sollte an bis zu drei aufeinander folgenden Tagen durchgeführt werden. Es ist unbedingt notwendig, dass der Patient oder die Patientin während der gesamten Zeit bei den ersten Anwendungen intensiv von Ärztin/Arzt und Diabetesberaterin/-berater begleitet wird. Diese sollten auch zunächst feststellen, ob der Patient für die Durchführung der Hafertage geeignet ist oder ob medizinische Gründe dagegensprechen. Es sollte eine Anpassung der Diabetestherapie vor Beginn der Kur besprochen und ab dem ersten Tag umgesetzt werden. Zudem muss der Blutzucker während der Kur sehr engmaschig kontrolliert werden. Aufgrund der sehr hohen aufgenommenen Ballaststoffmenge muss unbedingt auf eine ausreichende Flüssigkeitsaufnahme geachtet werden (mindestens 2 Liter pro Tag). Zeigt sich ein gutes Ansprechen der Haferkur, kann diese vom Patienten in regelmässigen Abständen wiederholt werden (z. B. monatlich). Nach Ende der Kur sollte ein sanfter Übergang zu einer normalen, leichten Kost erfolgen. Gewünscht ist auch, langfristig ballaststoffreiche Lebensmittel in die tägliche Ernährung einzubauen, wie zum Beispiel Vollkornprodukte und Gemüse.
Dr. med. Swantje Brede, Medizinische Klinik 1
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck (D)