Erbliche Veranlagung, Körpergewicht und sportliche Aktivität bestimmen die Entstehung und den Verlauf des Typ 2-Diabetes.
Der Typ-2-Diabetes ist eine chronische und sich langsam entwickelnde Erkrankung, die grundsätzlich nicht heilbar ist. Die Krankheit verändert sich im Laufe der Zeit. Deshalb sieht die Behandlung eines neu entdeckten Diabetes Typ 2 nicht gleich aus wie die eines schon seit 20 Jahren bestehenden. Meistens sind auch Therapieanpassungen im Laufe der Zeit unumgänglich.
In dieser kurzen Übersicht soll gezeigt werden, wie sich der Typ-2-Diabetes entwickelt und wie er verläuft, und warum nicht jeder von der Krankheit Betroffene die gleiche Therapie benötigt. Dabei würde es jedoch zu weit führen, detailliert alle Medikamente zu beschreiben, die zur Behandlung des Typ-2-Diabetes heute zur Verfügung stehen
Genetische Veranlagung
Voraussetzung, dass sich ein Typ-2-Diabetes entwickeln kann, ist eine im Detail sehr komplex vererbte Veranlagung. Man kennt heute zirka 80 Veränderungen am Erbgut, die verantwortlich dafür zu sein scheinen, dass sich bei einem bestimmten Menschen ein Diabetes Typ 2 entwickeln kann. Diese genetische Vielfalt erklärt auch, weshalb sich dieser Diabetestyp nicht bei allen Leuten genau gleich manifestiert.
Obwohl es sich, da erblich bedingt, um eine in den betroffenen Familien gehäufte Erkrankung handelt (40 % der Diabetiker Typ 2 haben direkte Familienangehörige, die ebenfalls an einem Diabetes Typ 2 erkrankt sind), darf man nicht von einer eigentlichen Erbkrankheit sprechen. Eine solche würde starr nach bestimmten Vererbungsregeln in der Familie von Generation zu Generation weitergegeben. Dies ist hier aber nicht der Fall.
Der Prädiabetes
Die Krankheit beginnt schon lange, bevor die Diagnose des Diabetes Typ 2 gestellt wird.
Aufgrund der vererbten Veranlagung sprechen die Zellen, an denen das Insulin wirken soll, zunehmend schlechter auf den Insulinreiz an; sie werden also mehr und mehr insulinresistent. Typischerweise handelt es sich um Zellen der Muskeln und der Leber. Um diese Resistenz zu überwinden und ein Ansteigen des Blutzuckers zu verhindern, muss die Bauchspeicheldrüse immer grössere Mengen Insulin ans Blut abgeben.
Diese Phase der Krankheitsentwicklung wird als «Prädiabetes» oder «Zustand der gestörten Glukosetoleranz» bezeichnet. Sie ist charakterisiert durch einen höchstens leicht erhöhten Blutzucker, einen deutlich erhöhten Insulinspiegel und völlige Beschwerdefreiheit des betroffenen Menschen, was die Zuckerkrankheit anbelangt (vgl. Abbildung 1).
Spätestens zu diesem Zeitpunkt sollte man therapeutisch eingreifen. Die Zeitspanne vom Prädiabetes resp. der gestörten Glukosetoleranz bis zur Entwicklung des Typ-2-Diabetes wird nämlich nicht nur durch die vererbte, nicht korrigierbare Veranlagung beeinflusst, sondern vor allem durch weitere, grundsätzlich beeinflussbare Faktoren wie Körpergewicht und Bewegung.
So führt ein erhöhtes Körpergewicht zu einer Anhäufung von freien Fettsäuren im Blut. Diese wiederum hemmen die Insulinabgabe durch die Bauchspeicheldrüse. Sie verschlimmern aber auch die Insulinresistenz, indem sie nicht nur die Glukoseaufnahme in die Muskelzellen behindern, sondern auch die Zuckerfreisetzung durch die Leber fördern. Diese vermehrte Zuckerfreisetzung geschieht vorwiegend in der Nacht und in den frühen Morgenstunden. Deshalb haben viele Typ-2- Diabetiker vor allem morgens beim Aufstehen die höchsten Blutzuckerwerte und nicht im Laufe des Tages. Dies mag zunächst unlogisch erscheinen, weil man ja die ganze Nacht nichts gegessen hat, ist aber – wie erwähnt – gut erklärbar.
Viele Untersuchungen haben gezeigt, dass regelmässige körperliche Bewegung (Sport), begleitet von einem Verlust an Körpergewicht, die wichtigste und wirksamste Massnahme ist, um den Ausbruch des Diabetes zu verzögern. Körperliche Bewegung und Gewichtsabnahme sind deshalb die Eckpfeiler und die Grundlagen, wenn es darum geht, einen Diabetes Typ 2 zu verhindern. Aber diese als Lebensstilveränderung bezeichnete Massnahme ist erfahrungsgemäss viel, viel schwieriger umzusetzen, als sich «einfach» ein Medikament verschreiben zu lassen.
Verschiedene Fachleute empfehlen in diesem Stadium zusätzlich zur Lebensstilveränderung eine Therapie mit drei verschiedenen Medikamenten (Metformin, DPP4-Hemmer, Thiazolidindion). Rein von der Überlegung her ist dieser Ansatzpunkt richtig, wäre aber in der Umsetzung sehr kostspielig. Realistischer sind eine Anleitung zu Gewichtsreduktion und mehr Bewegung und allenfalls ein Medikament, das die Insulinresistenz vermindert.
Der manifeste Typ-2-Diabetes
Im Laufe der Jahre verlieren die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse (die sog. Betazellen), ihre Fähigkeit, den Mehrbedarf an Insulin zu decken; sie erschöpfen sich (Abb. 2). Auch diese Funktionseinbusse ist erblich veranlagt, aber im Detail noch unklar. Konsequenz daraus ist ein steigender Blutzucker; der Diabetes bricht aus (Abb. 1). In den ersten Jahren der abnehmenden Insulinfreisetzung kann man den Diabetes mit einem Medikament, das die Betazelle zur Insulinabgabe stimuliert, behandeln. Als Beispiele wären Sulfonylharnstoffe oder Glinide zu nennen. Meistens verlieren aber diese Substanzen im Laufe der Jahre ihre Wirkung, da die Bauchspeicheldrüse immer schwächer wird und schliesslich trotz Medikament kaum noch Insulin abzugeben vermag (Abb. 2). Dies ist der Zeitpunkt, wo eine Insulinzufuhr von aussen unumgänglich ist.
Die Lebensdauer der Betazellen vom Moment an, an dem der Diabetes diagnostiziert worden ist, beträgt im Durchschnitt 15 Jahre. Diese Zeitspanne ist aber von Patient zu Patient sehr unterschiedlich. Wann eine Insulintherapie nötig wird, ist nicht immer einfach zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann man eine C-Peptid-Messung vornehmen. Sie gibt einen guten Hinweis auf die Sekretionsreserven für Insulin, die in der Bauchspeicheldrüse noch verblieben sind. Das C-Peptid ist ein Stück des noch nicht aktiven Insulins. Die Höhe des C-Peptidspiegels stimmt deshalb überein mit dem Spiegel an körpereigenem Insulin, das im Blut vorhanden ist. Die Bestimmung ist einfach, nicht sehr teuer und ein gutes Werkzeug in der Hand des Diabetologen.
Verständlicherweise sind viele Typ-2-Diabetiker nicht gerade begeistert vom Gedanken, sich selber Insulin spritzen zu müssen. Aber die Kenntnis des natürlichen Verlaufs der Erkrankung hilft ihnen zu verstehen, dass nach einigen Jahren die Bauchspeicheldrüse nicht mehr auf die Medikamente anspricht und es deshalb notwendig sein kann, die Therapie mit Insulin zu ergänzen oder gänzlich darauf umzustellen.
(Übersetzt und adaptiert aus dem «d-journal romand 1/2016» von Dr. med. Alexander Spillmann)