Illustration Muskelmann mit Spritze

Gedopt wird mit unglaublich vielen Medikamenten. Das Spektrum reicht von A wie Acetylsalicylsäure (Aspirin®) bis Vardenafil (Levitra®). Am beliebtesten sind die anabolen Steroide, zu denen auch das männliche Hormon Testosteron gehört. Davon gibt es viele Derivate und ähnlich wirkende Substanzen. Es stellt sich die Frage, ob man auch mit Insulin dopen kann?

Physiologische Wirkungen von Insulin
Insulin gehört zu den anabolen (aufbauenden) Hormonen. Ein Hormon ist ein Botenstoff, der von einer spezialisierten Körperzelle gebildet wird und über die Blutbahn zu den anderen Körperzellen gelangt.
Dort wirkt es auf den Stoffwechsel der Zellen. Insulin ist wichtig für Wachstum und Entwicklung, es reguliert den Stoffwechsel der Zellen, stellt Glukose für die Muskelarbeit bereit, lagert Glukose in der Speicherform Glykogen ab und reguliert den Fettstoffwechsel.

Tabelle FasertypenBei körperlicher Aktivität brauchen unsere Muskeln Energie. Wir haben zwei Typen von Muskelfasern:
– Typ-I-Muskelfasern (rote) sind langsam kontrahierende und langsam ermüdende Muskelfasern. Sie dienen vor allem der Ausdaueraktivität. Durch regelmässiges Training können sie gefördert werden. Sie können Fettsäuren (aus dem Fettabbau), Glukose und Glykogen (Zuckerspeicherform) verbrennen (in Energie, den «Brennstoff» ATP, umwandeln). Sie haben eine höhere Dichte an Mitochondrien («Kraftwerke», in denen ATP hergestellt wird) und einen optimierten Sauerstoffverbrauch (aerobe Aktivität).
– Typ-II-Muskelfasern (weisse) sind rasch kontrahierende und rasch ermüdbare Fasern. Sie sind reich an Glykogen. Die Energie (ATP) wird in erster Linie durch anaerobe (ohne Sauerstoff) Glukoseaufspaltung gewonnen. Aus Glukose entsteht energiereiches ATP. Anaerobe Glykolyse (Glukoseverbrennung) führt zu Laktatanhäufung (Milchsäure) und diese Anreicherung an Milchsäure erzeugt ein Ermüdungsgefühl.

Bei Ausdaueraktivität braucht der Skelettmuskel als erstes die verfügbaren im Blut zirkulierenden Glukosemoleküle auf. Wenn die Blutglukose absinkt, wird der Glykogenvorrat aus dem Muskel angeknabbert. Dies geschieht innerhalb der ersten 20 – 30 Minuten der körperlichen Aktivität.
Erst relativ spät werden die Triglyzeride (Fette in Speicherform) aus dem Muskel und die freien Fettsäuren aus dem Fettgewebe angetastet. Diese liefern etwa 50 % der benötigten Energie erst nach 1 – 2 Stunden körperlicher Aktivität.
Ausserdem kann der Körper die Glykogenspeicher der Leber aufbrechen und die hepatische Glukoneo­genese in Gang setzen (Gewinn von Glukose aus anderen Substraten wie Fettsäuren (Bausteine von Fettdepots) und Aminosäuren (Bausteine von Eiweissen). Dabei kommt es wesentlich sowohl auf die Intensität der körperlichen Aktivität als auch auf den Trainingszustand an.
Die Regulatoren dieser Stoffwechselvorgänge sind Insulin (aus der Bauchspeicheldrüse), Glukagon (aus der Bauchspeicheldrüse) und die Katecholamine (Stresshormone aus den Nebennieren und den sympathischen Ganglien). Dabei dient Insulin in erster Linie dazu, die Glykogenspeicher (in Muskel und Leber) aufzufüllen.
Während der körperlichen Aktivität sind hohe Insulinspiegel eher hinderlich, indem sie die hepatische Glykogenolyse hemmen (also die Reservetanks eher verschliessen) und die Lipolyse hemmen (also den Fettabbau und die Freisetzung von freien Fettsäuren verhindern).
Zusammenfassend ist Insulin also für die Maximierung der Kohlenhydrat- (Glykogen in Muskel und Leber) und Fettspeicher (Fettgewebe) nützlich. Während der körperlichen Aktivität, insbesondere bei langer Dauer und hoher Intensität, wäre es aber wegen den Hypoglykämien und der Hemmung der Glykogenolyse und der Lipolyse hinderlich.

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Brennstoffe für die Energiegewinnung im Muskel sind Glukose (sechseckig dargestellt), Glykogen in Muskel und Leber (verkettete Glukosemoleküle), Triglyzeride (Bestandteile der Fettspeicher) und in geringerem Mass Glukose aus der Glukoneogenese der Leber (Herstellung von Glukose aus Aminosäuren und Fettsäuren durch die Leber). Die eigentlichen Kraftwerke für die aerobe Energiegewinnung (als Fabrik gezeichnet) sind die Mitochondrien in den Muskelzellen.

Aber wie wird denn mit Insulin gedopt und macht das Sinn?
In der Doping-Fibel «Anabole Steroide – Das schwarze Buch» liest man, dass Insulin als Dopingstoff verwendet wird. Die «empfohlenen» Dosen reichen von ein- bis zweimal täglich 10 – 20 Einheiten für Anfänger bis zu zwei- bis dreimal täglich 10 – 20 Einheiten für Fortgeschrittene (die Dosen gelten für Männer) kurz vor einer kohlenhydratreichen Mahlzeit.
Typischerweise wird kurzwirksames Insulin ­(Actrapid®, Apidra®, Humalog®, NovoRapid®) verwendet, es kann aber auch mit den Verzögerungsinsulinen gedopt werden. Als Nebenwirkungen werden unter anderem die Gefahr von Hypoglykämien, Erhöhung der Blutfette, Bewusstlosigkeit und Tod genannt.
Die genaue Anleitung erklärt, dass Insulin (fast) ausschliesslich bei einer gleichzeitigen Wachstumshormonkur zum Einsatz kommt. Wachstumshormon wirkt aufbauend auf die Muskulatur, verursacht aber gleichzeitig eine Insulinresistenz (das körpereigene Insulin kann nicht gut wirken) und auch einen Blutzuckeranstieg (Diabetes wegen Insulinresistenz). Zusammen mit Insulin kann der Blutzuckeranstieg vermieden werden, es kommt zu einer verbesserten Erholung des Glykogenvorrates (Leber und Muskel) und zu einer verbesserten Eiweisssynthese in den Geweben und speziell im Muskel (man spricht von einem synergistischen Effekt). Es wird geraten, kurzwirksames Insulin ein- bis zweimal täglich kurz vor einer kohlenhydratreichen Mahlzeit zu injizieren. Nach sechs Wochen Anwendung soll das Insulin während zwei Wochen pausiert werden, angeblich, um den Körper nicht an das Insulin und die Insulinresistenz zu gewöhnen (diese Art der unterbrochenen Hormonanwendung wird für die meisten Hormone empfohlen).
So kommt es, wie beschrieben wird, zu einer erheblichen Gewichtszunahme mit Erhöhung der Muskelmasse unter anderem auch durch vermehrte Glykogen- und Wassereinlagerung in der Muskulatur. Als optimale Kombination wird eine gleichzeitige Anwendung von Steroiden (Tabletten oder Injektionen wie Testosteron oder testosteronähnliche Substanzen), Wachstumshormon (Injektionen) und Insulin (Injektionen) empfohlen.
Insulin gilt als Dopingsubstanz, wenn es nicht im Rahmen eines insulinpflichtigen Diabetes lebensnotwendig ist, und ist in dieser Anwendung im Sport verboten.
Aus medizinischer Sicht, insbesondere in Kenntnis des labilen Gleichgewichts und subtilen Zusammenspiels der Hormone, sind solche Anwendungen erschreckend und unvernünftig.
Patienten mit Typ-1-Diabetes, die täglich Insulin injizieren und die Schwierigkeiten der Blutzuckerkontrolle bei sportlichen Aktivitäten kennen, können nachvollziehen, welche «Rosskuren» einem gesunden Körper so auferlegt werden. Immerhin: Doping mit Insulin ist möglich und bei Bodybuildern beliebt.

AutorIn: Dr. med. K. Binz