Über den diabetischen Fuss (oder auch diabetisches Fuss-Syndrom genannt) haben wir im «d-journal» in den letzten Jahren bereits mehrmals berichtet (z. B. in den Ausgaben Nr. 183, 206, 236, 238). Das Thema verdient aber nach wie vor nicht weniger Beachtung, da diese relevante Diabeteskomplikation leider oft verkannt und unterschätzt wird.
Neben dem Diabetes mellitus spielen weitere Risikofaktoren eine wichtige Rolle, so dass eine optimale Behandlung nur unter enger Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen zu erreichen ist. Hierbei arbeitet Ihr behandelnder Diabetologe eng mit Kollegen anderer Fachrichtungen zusammen und veranlasst, falls notwendig weitere Abklärungen.
An verschiedenen Orten in der Schweiz besteht ausserdem das Angebot einer sogenannten «interdisziplinären Fuss-Sprechstunde», welche in diesem Artikel vorgestellt werden soll.

Abb. 1) Das Team der interdisziplinären Fuss-Sprechstunde am Luzerner Kantonsspital bei der Arbeit.
Abb. 1) Das Team der interdisziplinären Fuss-Sprechstunde am Luzerner Kantonsspital bei der Arbeit.

Nicht nur bei unmittelbar notwendiger Beurteilung oder bei komplizierten Fällen stehen im Rahmen der interdisziplinären Fuss-Sprechstunde gleichzeitig Diabetologen, Fuss-Orthopäden, Podologen, Orthopädie-Schuhmacher, Angiologen, Gefässchirurgen, Wundspezialisten und bei Bedarf auch Infektiologen und Dermatologen zur Verfügung. Häufig sind Patienten überrascht, wie viele Fachkräfte sich gleichzeitig um ihre Füsse versammeln. An diversen Standorten können Patienten vom Hausarzt oder anderen Fachpersonen unkompliziert und rasch in eine ambulante interdisziplinäre Fuss-Sprechstunde zugewiesen werden. Hierbei kann nicht nur die Beurteilung durch Vertreter zahlreicher Fachgebiete vor Ort ohne zeitliche Verzögerung stattfinden, sondern auch die notwendigen Weichen zur optimalen Therapie unmittelbar gestellt werden. Manchmal muss sogar unverzüglich eine stationäre Behandlung veranlasst werden.

Fusssprechstunde Tabelle Klassifikation Wagner«Wehret den Anfängen»
Unter dem Begriff des diabetischen Fuss-Syndroms werden verschiedene Schweregrade verstanden, der Übergang in ein höheres Stadium ist hierbei fliessend. Als eine mögliche Einteilung findet die sogenannte Wagner-Klassifikation (Tabelle 1) weltweit breite Verwendung. Fusssprechstunde Tabelle Klassifikation Wagner

Risikofaktoren
Bereits mildere Formen in einem niedrigen Wagner-Stadium müssen erkannt und ernst genommen werden. Wie so oft gilt auch hier «Vorbeugen ist besser als heilen». Als Betroffene können und sollen Sie im Team eine aktive Rolle einnehmen. Inspizieren Sie regelmässig Ihre Füsse, zeigen Sie auch nur klein und unbedeutend erscheinende Veränderungen Ihrem Arzt oder stellen Sie sich in einer interdisziplinären Fuss-Sprechstunde Ihrer Wohnregion vor. Lassen Sie Ihre Füsse pflegen, auch Hautrisse oder ein Fusspilz müssen beachtet und behandelt werden. Als Risikofaktor gilt neben dem Diabetes mellitus die als «periphere Polyneuropathie» bezeichnete Schädigung der Nerven. Diese stellt per se eine mögliche Komplikation des Diabetes mellitus dar, kann aber auch durch andere Erkrankungen verursacht sein. Es resultieren Gefühlsstörungen an den Füssen, das Schmerzempfinden ist reduziert oder fehlt gänzlich. Verletzungen der Füsse werden somit «nicht wahrgenommen».

Abb. 2) Interdisziplinäre Beurteilung und Dokumentation des diabetischen Fusses, die entsprechende Fussläsion ist auf Abb. 3 zu erkennen.
Abb. 2) Interdisziplinäre Beurteilung und Dokumentation des diabetischen Fusses, die entsprechende Fussläsion ist auf Abb. 3 zu erkennen.
Abb. 3) Diabetisches Fuss-Syndrom Wagner-Stadium 1.
Abb. 3) Diabetisches Fuss-Syndrom Wagner-Stadium 1.
Abb. 4) Wagner-Stadium 2 an der weiten Zehe des linken Fusses nach Abtragung von Hornhaut.
Abb. 4) Wagner-Stadium 2 an der weiten Zehe des linken Fusses nach Abtragung von Hornhaut.

Auch nur eine Hornhautbildung ist ein relevanter Befund, denn eine solche ist Ausdruck einer ungüns­tigen Druckbelastung. Das Abtragen der Hornhaut sollte den Fachleuten überlassen werden. Nicht selten kann sich darunter ein sogenanntes «Ulcus», (ein Hautdefekt, der sehr tief ins Gewebe reichen kann) (Abbildung 4) verbergen. Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (Durchblutungsstörung der Beine) ist als weiterer Risikofaktor gut bekannt, nicht nur beim Diabetes-Betroffenen. Man denke hierbei an den Begriff des «Raucherbeins».

Teamarbeit
In verschiedenen wissenschaftlichen Studien ist das Risiko der Entwicklung eines Ulcus bei bis zu einem Viertel aller Diabetes-Betroffenen belegt. Rund 84 % aller notwendigen Amputationen geht ein Ulcus der Füsse voran. Ein Befall der tiefer liegenden Strukturen, insbesondere des Knochens (sogenannte Osteomyelitis) muss gesucht und deswegen ein Röntgen und/oder eine MRI (Magnetresonanz-Untersuchung) veranlasst werden. Läsionen, welche infolge der bereits erwähnten Polyneuropathie entstehen, treten insbesondere an Stellen auf, die Druck ausgesetzt sind. Dies unterstreicht die Wichtigkeit einer guten individuellen Schuhversorgung, wobei je nach Schweregrad die Massnahmen von orthopädischen Schuheinlagen, über orthopädische Serienschuhe bis hin zu Mass-Schuhen reichen (siehe «d-journal» Nr. 236/2015). Der Orthopädie-Schuhmacher ist somit ein relevantes Mitglied im Team, sowohl in der Prävention als auch Therapie des diabetischen Fusses. Des weiteren ist die Anwesenheit des Fuss-Orthopäden während einer interdisziplinären Fuss-Sprechstunde sinnvoll. Da jegliche Fussdeformitäten (Fehlstellungen) eine Risikosituation darstellen, sind in gewissen Fällen chirurgische Korrekturen bereits als präventive Massnahmen notwendig. Nicht selten ist auch zur Behandlung einer bestehenden Wunde die Arbeit eines Fuss-Chirurgen gefragt. Nur wenn eine ausreichende Blutversorgung gewährleistet ist, kann eine Wunde heilen, was die Mitarbeit von Angiologen sowie der Gefässchirurgen verdeutlicht (siehe «d-journal» Nr. 238/2016). Falls notwendig, wird ein Eingriff zur Wiederherstellung der Durchblutung in die Wege geleitet. Ob eine (längere) Antibiotika-Therapie bei einer Wunde indiziert ist, kann unter Einbezug der Infektiologen entschieden werden. Auch während einer Fuss-Sprechstunde helfen die Diabetologen bei der Blutzucker-Einstellung, bei Bedarf werden Therapieanpassungen vorgenommen. Eine gute Blutzuckerkontrolle verhilft zu einer besseren Wundheilung und vermindert das Risiko sowohl der erwähnten als auch anderer Diabeteskomplikationen. Abschliessend gebührt der Dank dem Sekretariat und den Pflegefachleuten, die sich unermüdlich in der Organisation und Durchführung einer Fuss-Sprechstunde engagieren. Ohne deren Einsatz wäre diese in ihrer hier dargestellten Form unmöglich. Getreu dem Motto «Yes, we can» – kümmern sich viele Teammitglieder gemeinsam um die Füsse, welche uns im wahrsten Sinne des Wortes durchs Leben tragen.

© Alle Abbildungen in diesem Artikel stammen aus dem Luzerner Kantonsspital. Publikation der Fotos mit Einverständnis der Patienten.

Sanfte Fusspflege bei Diabetes

AutorIn: Dr. med. Lea Slahor