Comiczeichnung diverser Sportler

Starken Blutzuckerschwankungen vorbeugen.

Sport ist gesund. Diese Aussage geht uns alle an. Insbesondere Diabetesbetroffenen ist regelmässige sportliche Betätigung dringend empfohlen. Wer unter einer Behandlung mit Insulin steht, muss dabei aber berücksichtigen, dass das körperliche Training beachtliche Blutzuckerschwankungen verursachen kann. Vor allem muss dem erhöhten Risiko für Unterzuckerungen (Hypoglykämien) unbedingt Beachtung geschenkt werden.

Regelmässige sportliche Aktivität hat nicht nur bei Typ-1-Diabetesbetroffenen viele günstige Einflüsse auf die Gesundheit. Ein verbessertes allgemeines Wohlbefinden, eine gute körperliche Leistungsfähigkeit, ein geringeres Sturzrisiko im Alter, ein güns­tiger Einfluss auf das Körpergewicht und das verminderte Risiko von Herzkreislauferkrankungen sind einige Beispiele dafür.
Sport sollte man idealerweise während mindestens 150 Minuten pro Woche betreiben. Viele Leute haben aber Angst vor Blutzuckerschwankungen und gelegentlich vorkommenden Unterzuckerungen, die vor allem unter Insulinbehandlung auftreten können. Andere bringen ganz einfach die Zeit für die sportliche Aktivität nicht auf oder machen generell eine Unsicherheit im Umgang mit dem Diabetes geltend, um nicht Sport zu betreiben.
Es gibt eindeutige Situationen, in denen Diabetesbetroffene beim Sport besonders vorsichtig sein müssen. Dazu gehören eine Einschränkung der Sehkraft, ein akutes Herzleiden sowie Fussprobleme, die mit einer erhöhten Verletzungsgefahr einhergehen. Hier sollte man vorgängig den Arzt oder die Ärztin konsultieren.
Die sportliche Aktivität ist zu verschieben, wenn der Blutzucker über 15 mmol/l liegt und der Ketonnachweis im Urin oder im Blut positiv ausfällt oder wenn in den vergangenen 24 Stunden eine schwere Unterzuckerung durchgemacht wurde.

Blutzuckerverlauf beim Nichtdiabetesbetroffenen
Üblicherweise wird unterschieden, ob die sportliche Aktivität im aeroben oder anaeroben Stoffwechselzustand durchgeführt wird. Meistens ist es natürlich so, dass das Training sowohl aus Komponenten aus dem aeroben und dem anaeroben Bereich besteht.
Eine sportliche Aktivität im aeroben Stoffwechselzustand besteht typischerweise aus wiederholten, immer wieder auftretenden gleichen Bewegungen. Dabei werden vor allem die grossen Muskeln aktiviert. Beispiele dafür sind Marschieren, Velofahren, Joggen und Schwimmen.
Aktivitäten im anaeroben Bereich sind typischerweise kurze und heftige Kraftanstrengungen (gegen Widerstand), wie zum Beispiel Gewichtheben, Sprint oder Bodybuilding.
Der Körper achtet bei jeder sportlichen Aktivität darauf, dass der Blutzucker stabil auf einem konstanten Niveau zwischen 4 und 6 mmol/l gehalten wird. So steht der Muskulatur immer genügend Brennstoff in Form von Zucker zur Verfügung. Dies wird mit einer verminderten Ausschüttung von Insulin und/oder einer vermehrten Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin, Noradrenalin, Wachstumshormon, Glucagon und Cortisol gesteuert. Dabei zapft der Körper bei Bedarf auch die Energiereserven in der Leber oder (bei langanhaltender Muskelaktivität) des Fettgewebes an.

Diabetesbetroffene müssen die Insulindosis anpassen
Diabetesbetroffene, v. a. mit Typ 1, sind mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass der Körper während der sportlichen Aktivität nicht selber laufend den Insulinbedarf regeln kann, wie wir oben gesehen haben. Dies ist so, weil das verfügbare Insulin schon vorher in einer gegebenen Menge als Basis- oder Mahlzeiteninsulin zugeführt worden ist und nicht jede Minute neu angepasst werden kann. Auch der Zeitpunkt und der Ort der letzten Insulinspritze, die Zeitspanne seit der letzten Mahlzeit und deren Zusammensetzung sowie die Intensität und Dauer der geplanten sportlichen Aktivität spielen eine wichtige Rolle.

Sportler beim Gewichtheben
Sportliche Betätigung im anaeroben Bereich führt meistens zu einem ­Anstieg des Blutzuckers.

Bei aeroben Aktivitäten wie Marschieren u.s.w. tendiert der Blutzucker dazu zu sinken, weil die Insulinmenge nicht laufend den Erfordernissen entsprechend nach unten angepasst werden kann und die Freisetzung von Glukose durch die Leber verzögert ist. Deshalb muss man in der Regel vor dem Sport zusätzliche Kohlenhydrate zuführen und die Insulindosis schon vorher reduzieren, um Unterzuckerungen zu vermeiden. Gelegentlich beobachtet man während der sportlichen Aktivität auch einen Blutzuckeranstieg. Dies ist dann der Fall, wenn der Blutzucker schon vor dem Sport zu hoch war, zu viele Kohlenhydrate zugeführt oder die Insulin­dosis zu stark reduziert worden ist. Wenn dann noch während des Sports die Stresshormone aktiviert werden, steigt der Blutzucker zusätzlich.

Die anaerobe Aktivität von hoher Intensität und von kurzer Dauer wie Gewichtheben (siehe Bild) führt in der Regel lediglich zu einer kurzfristigen Erhöhung des Blutzuckers durch die Stresshormone.
Dies tönt zunächst recht kompliziert. Deshalb werden im Folgenden konkrete Ratschläge abgegeben, wie man vorgehen kann. Je nach eigener Erfahrung und Art/Dauer der sportlichen Tätigkeit muss dies dann selbstverständlich individuell angepasst werden (vgl. dazu die Tabelle: Anpassung KH Zufuhr).

Einige Ratschläge
Vor jeder Aufnahme einer sportlichen Aktivität muss der Blutzucker gemessen werden.
Vor einer aeroben körperlichen Aktivität sollen, wenn der Blutzucker unter 5 mmol/l liegt, zunächst 10–20g Glukose eingenommen und gewartet werden, bis der Blutzucker die Grenze von 5 mmol/l überschritten hat. – Liegt der Blutzucker zwischen 5 und 7 mmol/l, ist empfohlen, vor der sportlichen Aktivität 10g Glukose einzunehmen. Wenn der Blutzucker zwischen 7 und 15 mmol/l beträgt, spricht in der Regel nichts gegen den sofortigen Beginn mit der körperlichen Aktivität. – Im Falle einer Hyperglykämie, wenn der Blutzucker 15 mmol/l überschreitet, soll zunächst überprüft werden, ob nicht Ketonkörper vorhanden sind. Sind diese im Blut > 1,4 mmol/l bzw. im Urin höher als ++ resp. 4 mmol/l, muss mit anstrengendem, intensivem Sport zugewartet werden und eine Korrekturinsulindosis appliziert werden, um den Blutzucker in den ungefährlichen Bereich zwischen 7 und 15 mmol/l abzusenken.
Die Menge des Mahlzeiteninsulins ist je nach Intensität und Dauer des Sportes um 20 – 75 % zu reduzieren, wenn in den 2 Stunden vor oder nach dem Sport eine Mahlzeit eingenommen wird.
Bei einer länger dauernden sportlichen Aktivität muss das Langzeitinsulin ebenfalls deutlich herabgesetzt werden. Wer eine Insulinpumpe benutzt, kann einfach vorübergehend eine tiefere Basalrate einstellen. In seltenen Fällen (nach Rücksprache mit dem Arzt) kann die Insulinpumpe sogar während bis zu 60 Minuten ganz ausgeschaltet werden.
Wenn die körperliche Aktivität längere Zeit dauert, sind alle 30–60 Minuten 10–90g Kohlenhydrate zuzuführen, je nach Intensität und Dauer. Dies ist nötig, um genügend Energiereserven zu haben und Unterzuckerungen zu vermeiden.

Nach der sportlichen Aktivität
Hier ist es wichtig, rasch die Vorräte an Glukose in den Muskeln und in der Leber aufzustocken, um eine Unterzuckerung zu vermeiden. Eine solche kann auch noch später auftreten, denn die höhere Empfindlichkeit auf Insulin kann bis zu 24 Stunden, selten sogar bis 72 Stunden, anhalten. Vor allem in den Abendstunden muss der Blutzucker gut überwacht werden, um nächtlichen Unterzuckerungen vorzubeugen. – Bei anaerober sportlicher Aktivität sinkt der Zucker meistens weniger stark ab. Oft bleibt er sogar stabil oder neigt dazu, leicht anzusteigen.
Kontinuierliche Messsysteme, die den Blutzucker laufend messen und auf dem Display angeben, sind natürlich ideal für die Blutzuckerüberwachung. Allerdings sind diese Geräte während einer körperlichen Aktivität oft weniger genau. Man muss daran denken, dass die Zuckerwerte auf diesen Geräten rund 5 bis 10 Minuten hinter dem Blutzucker hinterher gehen, weil die Messung im Unterhautgewebe und nicht direkt im Blut erfolgt. Dies kann bei einem raschen Blutzuckeranstieg respektive -abfall zu fatalen Fehleinschätzungen des effektiven Blutzuckers führen.

Regelmässige Messungen
Diese allgemeinen Empfehlungen ersetzen die persönliche Erfahrung nicht. Jeder und jede Diabetesbetroffene muss eine eigene Strategie zur Stabilisierung des Blutzuckers finden, um erfolgreich und ohne Zwischenfälle Sport treiben zu können. Auch hier gilt eben: «Übung macht den Meister!»

Artikel erschienen in «d-journal romand» Ausgabe 3/2019
Ins Deutsche übersetzt und bearbeitet von Dr. med. Alexander Spillmann

AutorIn: Christophe Petite, médecin diabétologue