Françoise Mathez erkrankte im Rentenalter an Diabetes, zu einem Zeitpunkt also, zu dem andere in den Ruhestand treten. Das gilt nicht für Schwester Françoise. Sie widmet ihr Leben weiterhin Gott und den Mitmenschen.

Wer Schwester Françoise begegnet, nimmt eine ruhige, feste Entschlossenheit wahr. Auch wenn sie heute gesundheitlich fragil ist, verfügt sie über eine beeindruckende Kraft, mit der sie sich Gott und ihren Mitmenschen unaufhörlich widmet. Während mehrjährigen Aufenthalten engagierte sie sich über die Klostergemeinschaft hinaus auch in Algerien, im Libanon und in Israel. 2011 wurde bei ihr Diabetes Typ 2 diagnostiziert. «Das kam überraschend», erzählt sie, «war aber ein Stück weit auch eine Erleichterung, denn nun verstand ich endlich, weshalb ich oft so müde war.» Erinnerungen wurden wach: «Diabetes lag in der Familie, doch es war ein Tabuthema, auch wenn mein Vater am Ende seines Lebens kurz darüber gesprochen hatte. Einige Familienangehörige trugen schwer an dieser Krankheit, ein Onkel verstarb nach mehreren Amputationen und eine der Grossmütter erlitt ein ähnliches, nicht weniger tragisches Schicksal.»

Insulin: eine Befreiung!

Nachdem die Diagnose feststand, verschrieb ihr der Arzt Metformin. Das orale Antidiabetikum vertrug Schwester Françoise im Lauf der Jahre immer schlechter und irgendwann wurde klar: Jetzt braucht es Insulin. Diese Nachricht ist für gewöhnlich beunruhigend oder gar erschreckend. Bei Schwester Françoise war es anders: «Das Insulin war für mich eine Befreiung», sagt sie, «auch wenn ich es mir viermal am Tag spritzen muss. Durch das Insulin fühle ich mich wieder im Gleichgewicht.» Diese positive Einstellung kommt nicht von ungefähr: Sie ist nicht zuletzt auf die gute Betreuung durch die Diabetologin zurückzuführen, die in ihrer Praxis in Biel auch Ernährungsberaterinnen und Pflegefachfrauen beschäftigt. «Es ist sehr beruhigend, Ansprechpartnerinnen zu haben, die sich ausreichend Zeit nehmen, um mir die Auswirkungen der medizinischen Entscheide und der Therapien zu erklären, mich aber auch in Fragen zur Ernährung und zu den Hilfsmitteln begleiten.» Die Wahl der Diabetologin sei sehr wichtig, betont Schwester Françoise. «Es ist wertvoll und ermutigend zu wissen, wem ich alles erzählen und Fragen stellen kann. Denn selbst wenn man sich als Patientin gut versorgt sieht und glaubt, die Erkrankung im Griff zu haben, tut es gut, in dieser Einschätzung bestätigt zu werden.»

Vertraute neue Technologien

Zum erfolgreichen Selbstmanagement des Diabetes trägt zweifellos bei, dass Schwester Françoise glücklicherweise gut mit neuen Technologien umgehen kann. Geschickt bedient sie ihr digitales Blutzuckermessgerät und die App von www.diabetes-m.com, die sie selbst auf dem Smartphone und auf dem Tablet installiert hat. «Ich fand diese App im Internet. Sie ist sehr leistungsfähig. So habe ich alle meine Werte auf dem Smartphone, das mit dem Tablet synchronisiert wird.» Schliesslich war auch ein Bericht im d-journal vom April 2018 hilfreich für die positive Einstellung zum Diabetes. Dank dieser Lektüre konnte sich Schwester Françoise von den Schuldgefühlen befreien, die sie wegen ihres Diabetes gehabt hatte. Beim Bericht handelte es sich um ein Porträt von Kevin Brady, Vorstandsmitglied der Genfer Diabetesgesellschaft, der unmissverständlich klarmachte, dass er «sich nicht für seine Stoffwechselstörung verantwortlich fühlt».

Vom kargen Tal in die Kulturstadt

Eingangs wurde Schwester Françoise als stark und entschlossen beschrieben, und diese beiden Eigenschaften könnte man mit mutig, frei und selbstlos ergänzen. An ihre Kindheit und Jugend im Vallée de Tavannes, wo sie als Einzelkind aufwuchs, denkt sie nicht gern zurück, denn «das Leid stand im Mittelpunkt der Familie», nicht zuletzt, weil die Mutter schwer krank war. Um es mit den Worten des französischen Schriftstellers François Mauriac auszudrücken: «Toutes les rues de mon village sont bloquées par mes chagrins d’enfant.» («Alle Strassen meines Dorfes sind durch den Kummer meiner Kindheit versperrt.») Doch als die 19-Jährige von Reconvilier für ein Jahr nach Basel zieht, offenbart sich ihr eine andere Welt – ein Feuerwerk an Lebensfreude: «Zusammen mit zwei Freundinnen entdeckte ich Theater, Kino, Musik, Poesie und Literatur und war fasziniert.» Freudig nimmt sie die Eindrücke in sich auf, berauscht von all den Möglichkeiten, die ihr jetzt offenstehen. Eine Erfahrung, die sie nie vergessen wird. Von Basel zieht sie nach Lausanne, wo sie sich an der späteren Fachhochschule für Sozialarbeit und Gesundheit einschreibt. Ihre Ausbildung schliesst sie mit dem Diplom als Sozialpädagogin ab.

Religiöses Engagement

Die wirkliche Offenbarung folgt kurz darauf in Marseille während eines Aufenthalts in einer Familie, die nach den religiösen Grundsätzen der Darbysten, einer freikirchlichen Bewegung, lebt. Die Mutter ist zwar sehr religiös, jedoch bereit, sich über die Glaubensregeln hinwegzusetzen, wenn sie es für richtig hält. «Diese Frau verfügte über eine Freiheit, die ich nicht hatte.» Diese Erkenntnis besiegelt ihre Berufung. Kurz darauf tritt sie in die klösterliche Gemeinschaft von Grandchamp ein. Das war 1975. Danach findet sie Erfüllung in den Tätigkeiten des Klosterlebens, in den Gebeten und Meditationen, bei der geistlichen Lektüre, aber auch beim Empfang von Gästen sowie während der Arbeiten zur Instandhaltung und Renovation des Anwesens, auf dem einst indische Baumwolle verwoben wurde. Grandchamp hat sich für den interreligiösen Dialog geöffnet. Dafür setzt sich auch Schwester Françoise mit ganzer Kraft ein, indem sie sich mit Neugierde und wachsendem Wissen auch den Religionen wie Buddhismus, Judentum, Islam oder Sufismus zuwendet.

Algerien und der Nahe Osten

Auf andere Menschen zugehen und ihnen zuhören, das ist Schwester Françoise ein tiefes Anliegen. «Es rührt wohl daher, dass mir das als Einzelkind fehlte.» Ihre Aufgeschlossenheit kommt ihr bei zwei längeren Einsätzen im Ausland ganz besonders zugute: Der erste führt sie nach Algerien, wo sie sich von 1978 bis 1981 einer Schwesternschaft in einem Slum von Algier anschliesst. «Die Gemeinschaft von Grandchamp war dort seit Beginn des Algerienkriegs (1954) bis im Jahr 2014 vertreten. Heute wäre das nicht mehr möglich. Wir wurden damals von der armen Bevölkerung stets herzlich aufgenommen und unsere Beziehung zu den Menschen war ausgezeichnet, auch wenn die Lebensbedingungen häufig sehr schwierig und manchmal geradezu kafkaesk waren.» Der zweite Einsatz (1994 – 1998) führt Schwester Françoise in den Libanon, und zwar in einen Vorort von Beirut, in dem Christen und Schiiten zu jener Zeit nebeneinander leben. «Ich leitete eine Institution, die Menschen mit mehrfachen Behinderungen durch Arbeit unterstützte. Dort war ich in Kontakt mit Christen, Schiiten und Sunniten, ohne dass es dabei auch nur ansatzweise Probleme gab. Ich selbst hatte keinerlei Vorurteile.» Nach Israel reist sie später mehrere Male und verbringt dort insgesamt über ein Jahr. Sie hat im Heiligen Land keine sozialpädagogischen Verpflichtungen, sondern möchte «die Präsenz von Gebet und Freundschaft stärken». So ist Schwester Françoise immer auf andere zugegangen, mit dem starken Interesse für andere religiöse Kulturen, in denen Schweigen und gemeinsame Mahlzeiten den Kern eines offenen Dialogs bilden. «Wir alle beten zu einem Gott, aber er hat viele Facetten.» Aus dieser Überzeugung heraus veröffentlichte sie kürzlich ein Buch, in dem sie vieles davon festhält, was ihr Innenleben prägt.

→ Françoise Mathez: Aux invités de la vie, Editions Cabédita, 2020

AutorIn: Text: Pierre Meyer / Foto: Schwester Siong