Antworten und Tipps zu Rechtsfragen

Wenn es um Fristen geht: Couverts mit Poststempel aufbewahren

Unser Leben ist in vieler Hinsicht von Komplexität geprägt – dies umso mehr, wenn uns gesundheitliche Fragestellungen beschäftigen, die mit rechtlichen Aspekten zusammenhängen. Nachstehend sind einige Rechtsfragen skizziert, die bei diabetesschweiz und den Regionalgesellschaften eingetroffen sind. Die Antworten enthalten auch Tipps im Umgang mit Behörden und Versicherungen und Hinweise auf grundsätzliche Überlegungen.

 

Krankenkasse

«Meine Krankenkasse weigert sich, 800 Teststreifen pro Jahr zu übernehmen, obwohl mein Hausarzt ein schriftliches Gesuch eingereicht hat. Liegt es daran, dass ich Typ-2-Diabetikerin bin? Ich muss täglich das Insulin Tresiba® spritzen und zweimal den Blutzucker messen.»*

*Alle Fragen sind anonymisiert.

 

Ob Sie einen Diabetes Typ 2 oder Typ 1 haben, spielt bezüglich Rückerstattung der Blutzuckerteststreifen keine Rolle. Vielmehr geht es darum, ob Sie Insulin brauchen oder nicht. Bei einer Insulintherapie gibt es keine sogenannte Limitation, also keine Mengenbeschränkung. Nur bei Diabetesbetroffenen ohne Insulintherapie ist die Rückerstattungspflicht der Krankenversicherung auf 200 Teststreifen pro Jahr beschränkt. Dazu gibt es jedoch Ausnahmen, die mit der Ärztin oder dem Arzt besprochen werden können. Wichtig ist, dass Sie die Leistungsabrechnungen Ihrer Krankenkasse stets überprüfen. Das gilt vor allem auch für Menschen mit Diabetes Typ 1, die zum Teil komplexe Abrechnungen aufgrund von Therapiegeräten und Material haben. Bei Unklarheiten wenden Sie sich am besten direkt an die Krankenkasse, verlangen Sie eine genaue Auskunft und halten Sie alles schriftlich fest. Notabene: Schickt Ihnen die Krankenkasse einen Leistungsentscheid in Form einer Verfügung, sollten Sie die angegebenen Fristen einhalten. Grundsätzlich sind Fristen im Sozialversicherungsrecht nicht verlängerbar. Es ist deshalb ratsam, von sämtlicher Korrespondenz die Briefumschläge mit dem Poststempel aufzubewahren. Im Streitfall kann dies über die Einhaltung der Frist entscheiden.

Strassenverkehrsamt

«Ich bin Diabetiker Typ 2. Beim Autofahren geriet ich in eine routinemässige Kontrolle. Der Polizist fragte, weshalb neben mir ein Blutzuckermessgerät liege. Wenig später schickte mir das Strassenverkehrsamt die Aufforderung, ein verkehrsmedizinisches Gutachten über meine Fahreignung vorzulegen. Muss ich das machen?»

In unser aller Interesse soll am Strassenverkehr nur teilnehmen, wer gesundheitlich dazu in der Lage ist. Die Behörden müssen für diese Verkehrssicherheit sorgen. Obwohl Studien zeigen, dass Personen mit einem Diabetes nicht mehr Unfälle verursachen als andere Autofahrende, ist es grundsätzlich zwecklos, sich auf Diskussionen mit den Behörden einzulassen. Auch eine Berufung auf den Diskriminierungsschutz nützt nichts, denn Verkehrssicherheit würde im Streitfall höher gewertet. Deshalb: Ja, Sie müssen das Gutachten einreichen.

Wenn Sie die Vorschriften zur Fahrfähigkeit in Abhängigkeit von Ihrer Therapie konsequent einhalten, droht Ihnen kein Ungemach. Sie sollten auf jeden Fall die angegebenen Fristen beachten und gegebenenfalls sofort eine Fristerstreckung verlangen. Leider sind die Kosten für das Gutachten selbst zu tragen. Die kantonalen Strassenverkehrsämter ordnen Diabetesbetroffene in vier Risikostufen ein, je nach Therapieform und dem damit einhergehenden Risiko für Hypoglykämien. Die Diagnose steht dabei nicht im Vordergrund, das heisst, die Einstufungen gelten sowohl für Diabetes Typ 1 wie für Typ 2.

Weitere Informationen finden Sie in der Broschüre «Diabetes und Autofahren», zu bestellen bei www.diabetesschweiz.ch.

Die behandelnde Ärztin oder der Arzt muss Sie bei einer Therapie mit möglicher Hypoglykämiegefahr über die Richtlinien bezüglich Fahreignung und Fahrfähigkeit bei Diabetes informieren und Ihnen eine Einschätzung zur persönlichen Fahreignung geben. Mit anderen Worten: Wenn der Arzt Ihnen per sofort vom Autofahren abrät, müssen Sie sich daran halten. Allgemein führt Diabetes sehr selten dazu, dass die Fahreignung dauerhaft beeinträchtigt oder ausgeschlossen wird.

Übrigens: Wer bereits einen Führerausweis hat, muss einen neu aufgetretenen Diabetes nicht beim Strassenverkehrsamt melden. Es bleibt aber in der eigenen Verantwortung, ob und in welchen Situationen er oder sie Auto fahren darf. Ärztinnen und Ärzte sind grundsätzlich an die Schweigepflicht gebunden und dürfen den Behörden nichts mitteilen. Wer einen Lernfahrausweis beantragt und bereits einen Diabetes hat, muss die Gesundheitsfragen wahrheitsgetreu beantworten. (Dies alles gilt für private Fahrzeuglenkende.)

 

Berufliche Situation

«Ich bin 30 und arbeite als Zimmermann in einer Fassadenbaufirma. Kürzlich habe ich von der Ärztin die Diagnose Diabetes Typ 1 erhalten. Deshalb steht eine Umschulung im Raum. Was meinen Sie zu meiner Situation?»

Grundsätzlich ist es nicht verboten, mit Diabetes als Zimmermann zu arbeiten. Es ist jedoch einer der wenigen Berufe, die als problematisch angesehen werden, weil Blutzuckerschwankungen ein erhöhtes Unfallrisiko auf Baustellen bedeuten können.

Bei der Frage, ob ein Verbleib im Beruf oder ein vorübergehender respektive ein längerfristiger Umstieg auf einen anderen Beruf sinnvoll ist, spielt Ihre Haltung, die Haltung des Arbeitgebers, der Unfallversicherung und der behandelnden Ärztin bzw. des behandelnden Arztes eine wichtige Rolle.

Bevor Sie wichtige Entscheidungen treffen, zum Beispiel die Kündigung einreichen, sollten sie sich vom Arbeitgeber, vom Berufsverband oder von der Gewerkschaft beraten lassen. Klären Sie ab, wie Ihr Erwerbsausfall gedeckt ist, falls der Arzt/die Ärztin eine sofortige Arbeitsunfähigkeit in Ihrer «angestammten Tätigkeit» verfügt. Und vor allem, für wie lange ist die Lohnfortzahlung des Arbeitgebers oder einer allfällige Taggeldversicherung gewährleistet? Auch gibt es Fragen zur Pensionskasse zu klären.

Des Weiteren geht es um die Kosten und die Möglichkeiten einer Umschulung. Hier verfügt die Invalidenversicherung (IV), bei der grundsätzlich alle mit Wohnsitz in der Schweiz versichert sind, über eine breite Leistungspalette. Vielleicht ist gar eine betriebsinterne Umschulung oder Versetzung möglich.

Elterlicher Betreuungsaufwand

«Bei unserem Kind wurde ein Diabetes Typ 1 diagnostiziert. Gibt es von einer Sozialversicherung finanzielle Entschädigungen für unseren Betreuungsaufwand?»

Es kommen vor allem Geldleistungen der Invalidenversicherung (IV) in Frage. Zu denken ist an Entschädigungen für Aufwände bei «Hilflosigkeit» oder bei einem «Geburtsgebrechen»:

– Betreffend «Hilflosigkeit» verweisen wir auf unser Merkblatt «Welche sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche hat ein Kind mit Diabetes Typ 1?». Das Merkblatt ist bei www.diabetesschweiz.ch erhältlich.

– Per 1. Januar 2022 wurde die «Geburtsgebrechenliste » der IV revidiert. Das betrifft Kinder bis 20 Jahre mit einer medizinischen Einschränkung, die auf dieser abschliessenden Liste figuriert (z. B. Leukämie bei Neugeborenen oder Trisomie 21). Die medizinische Behandlung von Geburtsgebrechen wird über die IV finanziert, sodass die Familien keine Kosten wie Selbstbehalt und Franchise wie bei der Krankenkasse tragen müssen. Diabetes Typ 1 bei Kindern ist nur ein Geburtsgebrechen, wenn «dieser innert den ersten vier Lebenswochen» diagnostiziert wird. Von der Liste gestrichen wurde die Zöliakie. Damit verlieren betroffene Familien die jährlichen IV-Pauschalen von rund 1200 Franken für die Zusatzausgaben der Spezialdiät. Normalerweise tritt Zöliakie bei weniger als 0.5 Prozent der Bevölkerung auf. Bei jungen Typ-1-Diabetesbetroffenen sind es drei bis sechs Prozent. Beide Erkrankungen scheinen auf die gleichen Erbanlagen zurückzuführen zu sein.

Lohnfortzahlung für Eltern

«Ich begleite unsere Tochter, die Diabetes Typ 1 hat, zur Dreimonatskontrolle. Nun stehen weitere Arzttermine für die Umstellung auf die Insulinpumpe an. Mein Chef behauptet, die zusätzlichen Termine dürfe ich nicht während der Arbeitszeit wahrnehmen. Mit den regulären Kontrollterminen seien die höchstens drei Tage der Lohnfortzahlungspflicht für ‹dieses Krankheitsereignis› ausgeschöpft. Stimmt das?»

Der Arbeitgeber stützt sich vermutlich auf die relativ neuen Regelungen im Obligationenrecht (Kurzzeitig bezahlter Arbeitsurlaub für die Betreuung von Familienangehörigen, Art. 329 h OR): Arbeitnehmende, die Angehörige betreuen, können dafür höchstens drei Tage pro Ereignis und höchstens zehn Tage pro Jahr bezahlt frei nehmen.

Die Kontrollen und die Umstellung auf die Pumpe wären in diesem Falle tatsächlich als ein Ereignis zu werten, nämlich die Behandlung des Diabetes. Somit hätten Sie laut Art. 329 h OR tatsächlich nur Anspruch auf drei bezahlte Tage. Hätte Ihre Tochter ein zusätzliches gesundheitliches Problem, z. B. Grippe oder Unfall, wäre das ein neues Ereignis und müsste separat geregelt werden, da es nicht mit dem Diabetes assoziiert ist.

Für die Betreuung des eigenen Kindes mit gesundheitlicher Beeinträchtigung können Sie sich aber auf die bereits seit längerem geltende Regelung – nämlich Art. 324 a OR – stützen. Hier sind die bezahlten Tage grundsätzlich nicht auf drei beschränkt und auch nicht auf ein Ereignis. Als Arbeitnehmerin müssten Sie jedoch dafür besorgt sein, dass auch jemand anders Ihr Kind begleiten kann, falls dies zumutbar ist, damit die Anzahl der Absenztage im Rahmen bleibt.

AutorIn: Caroline Brugger, lic. iur., diabetesschweiz