Mit einer schriftlichen Befragung hat diabetesschweiz erhoben, was Menschen mit Diabetes Typ 2 beschäftigt und wie sich ihre Situation verbessern liesse. Die Ergebnisse zeigen, dass sich viele Betroffene einen niederschwelligen Zugang zu Fachberatungen und mehr Austausch mit anderen Betroffenen wünschen.

Im letzten Herbst lag der deutschsprachigen Ausgabe des d-journals ein Fragebogen für Personen mit Diabetes Typ 2 bei. Unmittelbar nach Erscheinen des Mitgliedermagazins trafen die ersten Antworten ein. Schliesslich füllten 460 Frauen und Männer den Fragebogen aus. Die Antworten sind anonym, das heisst, sie lassen sich nicht einem Namen zuordnen. Einzig mit dem ungefähren Alter und dem Geschlecht einer Person können die Antworten verknüpft werden. Beteiligt haben sich 158 Frauen und 302 Männer im Alter zwischen 40 und 100 Jahren. Allein schon das hohe Alter einiger Teilnehmenden stimmt sehr zuversichtlich für das Leben mit Diabetes. Die Jahrgänge 1920 bis 1929 wurden zehnmal angekreuzt. Erstellt und ausgewertet wurde die Patientenbefragung durch Alisha Khanna, Praktikantin bei diabetesschweiz in Baden. Sie ist gelernte Medizinische Praxisassistentin (MPA) und bildet sich nun an der Fachhochschule in Gesundheitsförderung und Prävention weiter. Im Rahmen dieses Studiums absolviert sie ein Praktikum bei der Patientenorganisation und befasst sich mit dem Diabetesmanagement. «Schon während meiner Arbeit als MPA in einer endokrinologischen und diabetologischen Praxis stellte ich fest, wie wichtig die persönliche Unterstützung der Patientinnen und Patienten ist. Manche wünschen sich neben der Begleitung durch die Fachärztin oder den Facharzt ergänzende Angebote. Allerdings wissen sie oft nicht, wo sie diese finden könnten. Denkbar wäre, mit einer neuen Online-Plattform eine hilfreiche Übersicht zu bieten. Diese Idee stiess in der Patientenbefragung durchaus auf Anklang.»

Hauptsorge Coronapandemie

Alisha Khanna vermutet, dass gewisse Ergebnisse durch die Situation mit dem Coronavirus beeinflusst werden. 12 Prozent der Teilnehmenden stufen die Lebensqualität als mittelmässig bis sehr schlecht ein, beziehen dies aber offenbar nicht auf den Diabetes, wie sich aus weiteren angekreuzten Antworten und angefügten Kommentaren herauslesen lässt: Die seelische Belastung durch die Coronapandemie ist für viele erdrückend. So scheint nicht der Diabetes mit seinem Einfluss auf verschiedene Alltagsbereiche die Hauptsorge zu sein, sondern die sich durch Corona veränderte gesellschaftliche und wirtschaftliche Gesamtsituation. Auch fehlt vielen Diabetesbetroffenen seit Monaten die Möglichkeit, in Erfahrungsgruppen andere Gleichgesinnte zu treffen. Der persönliche Kontakt und das vertraute Gespräch lassen sich nicht ersetzen. Nichtsdestotrotz beurteilen 88 Prozent der Befragten ihre Lebensqualität mit Diabetes als gut bis sehr gut. Sehr viele Befragte schätzen es enorm, auf eine optimale Betreuung durch die Hausärztin, den Hausarzt oder die Diabetologin, den Diabetologen zählen zu können. «Ich vermisse nichts, ich fühle mich pudelwohl und sicher», notiert eine ältere Frau, die seit 40 Jahren Diabetikerin ist. Andere Antworten lauten beispielsweise: «Ich würde gern vom Hausarzt zum Facharzt wechseln oder ausserhalb der Arztkonsultationen eine Fachperson aufsuchen, um Fragen zu stellen und ausführlich über den Diabetes aufgeklärt zu werden.» Für Letzteres könnte die lokale Diabetesgesellschaft der richtige Ort sein. Doch wie sich der Befragung entnehmen lässt, ist zu wenig bekannt, dass mehrere Diabetesgesellschaften die Diabetesfachberatung, die Ernährungsberatung und/oder die medizinische Fusspflege anbieten – Angebote, die mit einer ärztlichen Verordnung von der Krankenkasse vergütet werden.

Teilnehmerin aus Umfrage:

«Es ist schade, dass der Diabetes Typ 2 in der Gesellschaft häufig als selbstverschuldet angesehen wird»

84 Jahre alt und täglich auf dem Heimvelo

Wie wichtig die Selbstsorge ist, um diabetesbedingte Komplikationen zu vermeiden, wissen fast alle Antwortenden. Alisha Khanna zieht hier aber in Betracht, dass eher solche Personen den Fragebogen ausgefüllt haben, die sich mit dem Diabetes und den Lebensumständen aktiv auseinandersetzen. Knapp die Hälfte der Teilnehmenden möchte sich körperlich mehr betätigen und sich bemühen, das gesunde Körpergewicht beizubehalten oder zu erreichen. Auf die Frage, ob ihnen hierzu die Unterstützung fehle, antworten fast alle mit Nein. Es sei eine Sache der Selbstdisziplin. Was damit gemeint sein könnte, veranschaulicht ein 84-jähriger Mann: «Täglich trete ich eine Stunde auf dem Heimvelo, und dreimal wöchentlich gehe ich wandern. » Wem eine solche Aktivität aufgrund von Knie- oder Hüftproblemen erschwert wird, vermisst einen wichtigen Lebensbereich. Um die Blutzuckerwerte dennoch positiv zu beeinflussen, wird auf die Ernährung geachtet, und für die Mehrheit ist es selbstverständlich, die ärztlichen Anweisungen zu befolgen. 92 Prozent der Befragten geben an, ihr Diabetes sei zurzeit gut bis sehr gut eingestellt.

UNERSETZLICHE PERSÖNLICHE BEGEGNUNGEN

«Ich vermisse nichts, ich fühle mich pudelwohl und sicher.»

Das notierte in der Patientenbefragung von diabetesschweiz eine Frau, die seit 40 Jahren Diabetikerin Typ 2 ist. Die Äusserung entspricht dem Grundtenor der Antworten, welche auch die Zufriedenheit über die medizinische Versorgung beinhalten. Aber nicht wenige der befragten Menschen sind während der langen Coronazeit beeinträchtigt, weil ihnen das unbeschwerte Zusammensein mit Gleichgesinnten fehlt – wie es dieses Bild zeigt, das vor der Coronapandemie entstanden ist.

Umfeld sollte besser informiert sein

Manche der Befragten haben den Diabetes schon seit vielen Jahren in ihr Leben integriert, die einen sind auf die Injektionen von Insulin angewiesen, andere verwenden orale Antidiabetika. «Ich bin gut versorgt und betreut», schreibt eine Frau. «In den 30 Jahren mit Diabetes habe ich mich immer über Neues gefreut und hoffe weiter auf Fortschritte in der Forschung.» Neben der guten medizinischen Betreuung wünschen sich einige eine psychosoziale Begleitung, aber auch eine verbesserte Aufklärung des Umfeldes über die Krankheit. «Es ist schade, dass der Diabetes Typ 2 in der Gesellschaft häufig als selbstverschuldet angesehen wird», notiert eine jüngere Frau. Und ein Mann im Alter zwischen 81 und 90 Jahren meint: «Obwohl ich zu einer Gruppe gehöre, von der praktisch nicht oder nur abwertend gesprochen wird, geht es mir zum Bewundern gut.» Je selbstbewusster ein Mensch mit einer Beeinträchtigung umgeht, desto eher ist er fähig, sich jene Unterstützung zu holen, die ihm entspricht. In der Schweiz sind die Angebote gut und vielfältig, und doch bestehen Lücken. Zum Beispiel ist den Antworten zu entnehmen, dass sich Berufstätige mehr organisierte Aktivitäten am Feierabend wünschen, um mit anderen Diabetesbetroffenen zusammen sein zu können. Nach der Coronapandemie werden bestimmt neue Eigeninitiativen für persönliche Treffen und Gespräche entstehen, da jetzt klar wird, worauf es am meisten ankommt.

→ Die Erkenntnisse der Befragung werden unter anderem in ein Projekt des Vereins QualiCCare, einem Partner von diabetesschweiz, einfliessen. Das von der Gesundheitsförderung Schweiz finanzierte Projekt befasst sich mit der Behandlungsqualität bei Menschen, die gleichzeitig verschiedene Krankheiten aufweisen (Multimorbidität). Weitere Informationen: www.qualiccare.ch

 

AutorIn: Pascale Gmür