Bewegung löst viele positive Prozesse im Körper aus. Die Muskelmasse nimmt zu, der Blutdruck sinkt, die Cholesterinwerte werden reguliert. Aber auch der Blutzucker wird durch Bewegung positiv beeinflusst. Physiotherapie kann helfen, in Schwung zu kommen und mehr körperliche Aktivität in den Alltag zu bringen.

Regelmässige Bewegung ist besonders für Menschen mit Diabetes essenziell: Die Insulinempfindlichkeit steigt und der Transport der Glukose vom Blut in die Zellen wird durch die Zunahme der GLUT-4-Transporter in den Zellen verbessert. Dadurch sinkt der Blutzucker. Menschen mit Typ-1-Diabetes sind sich des Einflusses von Bewegung auf den Blutzucker oft bewusster. Sie passen die Insulindosis aufgrund dieser Prozesse sowohl vor, während als auch nach der körperlichen Aktivität an. Diese Prozesse können sich auch Menschen mit Typ-2-Diabetes zunutze machen und den Blutzucker durch Bewegung positiv beeinflussen. Studien zeigen, dass mithilfe von Ausdauerund Krafttraining der Langzeitzuckerwert (HbA1c) gesenkt werden kann. Auch bei Prädiabetes kann Bewegung in Kombination mit einer Ernährungsanpassung eine medikamentöse Behandlung verhindern.

 

DER WEG VON DER GLUKOSE IM BLUT IN DIE ZELLE

Der Glukosespiegel steigt aufgrund einer Mahlzeit im Blut an. Verschiedene Systeme im Körper nehmen das wahr und die Bauchspeicheldrüse schüttet Insulin aus. Das Insulin dockt an den Insulinrezeptoren der Zellen an. In den Zellen wird dann ein Arbeitsauftrag an die GLUT-4-Transporter weitergeleitet: Sie sollen die Glukose, die sich in den Blutbahnen befindet, in die Zelle hineinschleusen. Gelingt das Einschleusen von Glukose, sinkt der Blutzucker. In den Zellen wird dann die Glukose zu den Mitochondrien (Kraftwerke der Zellen) gebracht, um Energie für den Körper herzustellen. Bei Diabetes mellitus Typ 2 sind die Insulinrezeptoren oft nicht mehr empfindlich genug. Dadurch ist die Glukoseaufnahme vom Blut in die Zelle gehemmt und daraus resultiert ein konstanter erhöhter Blutzucker. Mithilfe von Bewegung kann die Empfindlichkeit der Insulinrezeptoren sowie die Einschleusung von Glukose in die Zelle verbessert werden. Dadurch sinkt der Blutzucker und dem Körper steht mehr Energie zur Verfügung.

(Der beschriebene Prozess erklärt der Verständlichkeit halber nicht alle Vorgänge in Körper und Zelle.)

 

Wie viel Bewegung ist genug?

Die Bewegungsempfehlung des Bundesamts für Gesundheit (BAG) lautet für Erwachsene: Wöchentlich 150 Minuten Ausdauertraining mittlerer Intensität oder 75 Minuten Ausdauertraining mit hoher Intensität und an zwei oder mehreren Tagen Krafttraining. Das gilt auch für Menschen mit Diabetes. Es muss allerdings nicht immer Sport sein. Genauso wichtig ist, Bewegung aktiv im Alltag einzubauen: zum Beispiel Küchenarbeiten im Stehen verrichten, während dem Zähneputzen oder Telefonieren an Ort und Stelle marschieren. Sich gemeinsam mit anderen Menschen zu bewegen, fördert eine regelmässige Aktivität: Turnvereine, DIAfit-Programme, Laufgruppen usw. sind ideal dafür. Um den positiven Effekt auf den Blutzuckerhaushalt optimal zu nutzen, sollten nicht mehr als zwei Tage zwischen den Bewegungseinheiten liegen.

Hürden für Bewegung mit Diabetes mellitus Typ 2

Gemäss dem BAG waren 2017 in der Schweiz zwei Prozent aller Todesfälle auf Bewegungsmangel zurückzuführen. Bei Menschen mit Diabetes spielen viele Faktoren eine Rolle, wieso sie sich nicht genügend bewegen: Folgeschäden und Begleiterscheinungen von Diabetes wie Übergewicht, Gelenkbeschwerden, Polyneuropathie, Schmerzen, Schamgefühl, Angst vor falscher Dosierung und Gewohnheit sind nur ein paar Gründe, dass Betroffene inaktiv sind. Wenn die Füsse von Polyneuropathie betroffen sind, Schmerzen und Missempfindungen das Gehen beeinträchtigen und die Gangsicherheit dadurch reduziert wird, führt dies längerfristig zu einer Inaktivitätsspirale.

Physiotherapie kann helfen

Physiotherapeut:innen sind Bewegungsexpert:innen und können Bewegung spezifisch als nichtinvasive Therapie bei Diabetes mellitus Typ 2 einsetzen. Sie können Betroffene unterstützen, aktiver zu werden, und helfen, die richtige Dosierung zu finden sowie ein Übungsprogramm für zu Hause zusammenzustellen. Individuell auf den Patienten oder die Patientin angepasst, kann der optimale Trainingszeitpunkt evaluiert werden, um Prozesse im Körper zu unterstützen. Dies kann ein Intervalltraining sein, um die GLUT-4-Transporter zu aktivieren, moderate Bewegung auf nüchternen Magen, um die Fettverbrennung und die Kraftwerke der Zellen (Mitochondrien) positiv zu beeinflussen, oder das bewusste Einbauen von Bewegung nach den Mahlzeiten, um Blutzuckerspitzen nach dem Essen zu mindern.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Die Zusammenarbeit von Ärzteschaft, Ernährungssowie Diabetesberatung und Physiotherapeut:innen ist für die Förderung von Bewegung wichtig. Dadurch kann das Wissen aller Disziplinen genutzt und Menschen mit Diabetes geholfen werden, längerfristig aktiv zu bleiben und Folgeschäden von Diabetes zu reduzieren.

 

BACHELORARBEIT DER AUTORIN ZUM THEMA

Bewegung kann als nichtinvasive Therapie bei Diabetes mellitus Typ 2 eingesetzt werden, um den Blutzucker zu senken. In der Schweiz sind vier Prozent der Bevölkerung von Diabetes betroffen. Die direkten und indirekten Kosten von Diabetes beliefen sich 2011 auf über CHF 2,3 Milliarden.

Im Rahmen der Bachelorarbeit wurde folgende Frage untersucht: «Wie wird die Physiotherapie in der Schweiz beim Diabetes mellitus Typ 2-Management durch die Fachärzt:innen integriert?»

Ziel der Arbeit war es, aufzuzeigen, welche Rolle die Physiotherapie beim Diabetes mellitus Typ 2-Management hat und wie diese Möglichkeit integriert und durch interdisziplinäre Zusammenarbeit in den ausgewählten Kantonen respektive in der Schweiz durch die Fachärzteschaft genutzt wird.

An der Umfrage nahmen Mediziner:innen unterschiedlicher Disziplinen teil: 112 der Allgemeinen Inneren Medizin und 29 aus dem Bereich Endokrinologie/Diabetologie. Aus der Umfrage resultierte, dass 58 Prozent der Befragten der Allgemeinen Inneren Medizin und 77 Prozent bei der Endokrinologie/ Diabetologie bei 1–25 Prozent der Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 eine Physiotherapie Verordnung ausstellen. Das heisst, dass Physiotherapie-Verordnungen bei der Diagnose Diabetes zwar ausgestellt werden, jedoch nur bei einem kleinen Anteil der Patient:innen. Der Einfluss der Bewegung als nichtinvasive Therapieform wird somit nur selten genutzt. Die Auswertung zeigt auch, dass die Fachmediziner:innen das Potenzial nicht ausnutzen, die Beeinflussungsmöglichkeiten der Physiotherapie unterschätzen und diese folglich nicht verordnen.

AutorIn: Rebekka Wallimann, Physiotherapeutin BSc SUPSI, Clinic Bad Ragaz, Typ-1-Diabetikerin seit 2015