Wie kann man den bewegungsarmen Alltag mit regelmässiger körperlicher Aktivität vereinbaren? Sicher nicht, indem man sich Bewegung als lästige Pflicht vorstellt. Das d-journal hat ein paar Anregungen für Sie zusammengestellt, um das Thema einmal entspannt und kreativ zu betrachten.
19 Uhr 54. «Ach … noch ein Artikel über sportliche Betätigung… (Seufzen)» Bertrand lässt die Zeitung auf den Couchtisch fallen, wo schon eine Fitnesswerbung liegt. Nach einem anstrengenden Tag wüsste er überhaupt nicht, woher er Zeit und Energie für Bauchmuskeltraining und Squats nehmen sollte. In Reichweite wartet die Fernbedienung, dieser Zauberstab zur Welt der TV-Serien, wo müde Geister so gut aufgehoben sind.
07 Uhr 48. Sabine steht vor ihrem Arbeitsort. Ihr ist heiss im Mantel, Handtasche und Laptop lasten schwer auf der Schulter. Jetzt zu Fuss in den fünften Stock und völlig verschwitzt im Büro ankommen? Im Lift wirft Sabine einen resignierten Blick auf den Schrittzähler. Sie weiss ohnehin nicht mehr genau, wie viele sie erreichen soll.
Solche entmutigende Momente zementieren ein ums andere Mal unsere bewegungsscheuen Gewohnheiten. Man weiss es, wird immer wieder daran erinnert: Bewegung ist der Königsweg für eine gute Gesundheit. Aber wenn man die meiste Zeit sitzt, muten Empfehlungen für körperliche Aktivität an wie die Aufforderung, den Mount Everest zu erklimmen. Und das ist schade. Denn schon erste Schritte wirken sich positiv aus.
Nach einer halben Stunde aufstehen
«Wenn Menschen mit Diabetes, die meistens sitzen, regelmässig nach jeder halben Stunde aufstehen, kann dies die Risikofaktoren für kardiometabolische Erkrankungen senken. Studien haben zudem gezeigt, dass auch das Herz-Kreislauf-Risiko verändert werden kann», erklärt Jardena Puder, Ärztin für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsspital Lausanne (CHUV).
Gewöhnen wir uns deshalb an, darauf zu achten, wie lange wir schon sitzen. Zudem brauchen wir einen Vorrat an unwiderlegbaren Gründen, warum wir uns bewegen müssen. Beim Telefonieren ein paar Schritte gehen, den Balkon putzen, Laub rechen. Im Büro so hoch oben oder so tief unten wie möglich Pause machen (Dachterrasse, Untergeschoss). Den Schwatz unter Kollegen mit einer Runde durchs Quartier kombinieren. Für weitere Ideen: siehe Links am Ende des Artikels.
«Sehr wirkungsvoll können auch Gleichgewichts- und Beweglichkeitsübungen sein, unter anderem im Hinblick auf Stürze und Schmerzen», rät Jardena Puder. Als Nächstes folgen Ausdauertraining und Muskelkräftigung mittlerer Intensität: Sie unterstützen Ihre körperliche Fitness und verbessern den Blutzuckerspiegel.
2,5 Stunden Bewegung pro Woche
Bei mittlerer Intensität beschleunigen sich Atmung und Herzschlag, ein Gespräch ist aber weiterhin möglich. Wie die American Diabetes Association empfiehlt auch Jardena Puder, sich 150 Minuten als Ziel zu nehmen und nicht länger als zwei Tage zu pausieren. Einteilen können Sie sich die Zeit, wie es für Sie stimmt, zum Beispiel dreimal 50 Minuten oder fünfmal 30 Minuten.
Zur Muskelkräftigung sagt sie: «Ich unterstütze organisierte Aktivitäten in der Gruppe, weil die Teilnehmenden und die Leitungsperson wichtige Motivationsfaktoren sind», und sie erwähnt namentlich DIAfit, ein Programm, das den Anfang erleichtert und den Schritt in die selbstständige Aktivität unterstützt. Und was ist mit dem Schrittzähler? «Die 10 000 Schritte pro Tag gehören zum Marketing für ein japanisches Produkt; die Zahl ist wissenschaftlich kaum belegt», relativiert Jardena Puder. «Andere Studien zeigen, dass 7000 bis 8000 Schritte pro Tag die Sterblichkeit insgesamt und aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken.»
«Betrachtet man das Gesamtgesundheitskapital (und nicht nur den Blutzucker), ist das Ertragsgesetz erkennbar», ergänzt Nicolas Junod, Koordinator von DIAfit Westschweiz. «3000 Schritte ergeben im Vergleich mit 0 Schritten einen unglaublichen Vorteil, 6000 sind viel wirkungsvoller als 3000 und 10 000 gewinnbringender als 6000, doch der Unterschied ist weniger markant.»
Es soll Freude machen
Zahlen hin oder her: Zuerst geht es darum, anzufangen. Schreckt Sie der Vitaparcours ab? Zucken Sie beim Wort «CrossFit» zusammen? Es gibt unzählige Arten, in Bewegung zu kommen. Suchen Sie die «Karotte», die Sie für den ersten Schritt motiviert – die nächsten ergeben sich nachher von selbst. Testen Sie ein paar Ideen der Autorin und entwerfen Sie dann Ihre eigenen Motivationsrituale.
Gerade höre ich die warme Stimme von Soha – und die Sängerin inspiriert mich mit ihrem spanischen Text: «Schon sechs Schritte, bald sieben. Alle weiteren zähle ich nicht mehr. Tausend und noch viele mehr, ich bin immer noch auf den Beinen.»
Ein richtig guter Groove! Schnell weg vom Computer, ich lasse mich mitreissen und tanze durchs Wohnzimmer. Sie auch?
www.hepa.admin.ch/de/erwachsene
www.paprica.ch/de
www.diafit.ch
TANZEN, SPIELEN, ENTDECKEN
- Musik: Stellen Sie Listen mit anregender Musik
zusammen, die Sie für einen dynamischen Spaziergang
oder zum Tanzen sofort zücken können. Auf die
Beine: «Don’t wait too long» (Madeleine Peyroux).
Beschwingter Spaziergang: «Come over here» (Sam
Bettens). Schultern kreisen lassen: «Some Place»
(Nick Waterhouse) … Liste nach Lust und Laune
vervollständigen. - Miteinander: Wie wäre es, wenn Sie Ihre nächsten
Treffen mit Freunden, Liebsten oder Verwandten
draussen planen würden? Durchs Dorf, in der Stadt
oder im Wald spazieren: Bewegen Sie sich zusammen
mit den Menschen, die Sie gernhaben. - Kreativität: Stellen Sie sich kreative Miniaufträge im
Freien. Dafür fehlt Ihnen die Zeit? Wenn Sie arbeiten,
bieten sie die perfekte Gelegenheit zur Verschönerung
der Mittagspause! Ihr Auftrag: fünf Fotos in 30 Minuten
zu einem bestimmten Thema, zum Beispiel die Farbe
Rot, Steine … was immer Ihnen einfällt. - Tiere und Pflanzen: Bestimmen Sie jede Woche eine
neue Pflanzensorte, einen Vogel oder ein Insekt in
Ihrer Umgebung. Laden Sie dafür eine App auf Ihr
Handy oder kaufen Sie sich ein Taschenbuch, damit
Sie bei jeder guten Gelegenheit nachschlagen können. - Hundeliebe: Bieten Sie Ihrem betagten Nachbarn
oder Ihrer Vollzeit arbeitenden Nachbarin an, den
Hund zum Spazieren mitzunehmen. Oder schlagen Sie
dem Tierheim vor, Hunde spazieren zu führen. - Spiel: Geocaching, eine Art Schnitzeljagd, wird in
Ihrer Region und auf der ganzen Welt gespielt. Nur die
App auf das Handy laden, und los geht’s: Mit dem
GPS machen Sie sich auf die Suche nach den Caches
(Behältern), die von anderen Geocachern versteckt
wurden. Wie von selbst führt Sie das Spiel ins Freie –
und erst noch an ganz unerwartete Orte