Wenn ein Kind die Diagnose Diabetes Typ 1 erhält, ändert sich das Leben der ganzen Familie von einem Moment auf den anderen. Meist steht noch am selben Tag der Termin bei einer Fachärztin
oder einem Facharzt für Diabetologie an, um das Einmaleins des Diabetesmanagements zu erlernen. Dieses schnelle und in den Alltag eingebettete Prozedere hat neben medizinischen vor allem psychosoziale Gründe und zielt auch darauf ab, die Kinder möglichst nahtlos in Kitas, Kindergärten und Schulen zu integrieren.

«Es ist für die Familien meist eine wertvolle Erfahrung, wenn nach der Sicherung der Diagnose die Ersteinstellung von Diabetes ambulant vorgenommen wird, sofern es der Gesundheitszustand der Kinder und Jugendlichen zulässt und die Bereitschaft besteht. So wird eine möglicherweise belastende Spitalsituation vermieden», erklärt Dr. Tiziana Gozzi Graf von der Zentrumpraxis für Diabetes in St. Gallen. Die Fachärztin für Diabetologie und Endokrinologie arbeitet Hand in Hand mit der Diabetesfachberaterin Eliane Brühwiler und dem Ernährungsberater Mike Dähler von der Ostschweizer Diabetesgesellschaft St. Gallen, die sowohl Eltern und Kinder als auch die Betreuungspersonen schulen und sensibilisieren, wenn dies gewünscht ist und Bedarf besteht. Die Experten sind sich einig: Grundvoraussetzung für ein unbeschwertes Leben mit Diabetes seien zunächst die Akzeptanz der Diagnose sowie eine offene Kommunikation gegenüber dem sozialen Umfeld, insbesondere der Betreuungseinrichtung. Es empfehle sich, früh den Kontakt mit Lehrpersonen und Betreuer:innen zu suchen. Es gehe darum, dass die Betreuungssituation möglichst übergangslos gesichert ist und das Kind dasselbe autonome Leben führen kann wie vor der Diagnose. Dr. Tiziana Gozzi Graf unterstreicht: «Jedes Kind hat das Recht auf eine Kita-Erfahrung.»

Schnelle Rückkehr in den Alltag

In der Regel finden sich die Eltern schnell im Thema zurecht und können das Personal in Schulen, aber vor allem in Kindergärten und Kitas – wo die Kinder auch zu Mittag essen – selbstständig anweisen. Zusätzlich gibt es einfach gehaltene Broschüren für Betreuer:innen, in denen erklärt wird, in welchen Situationen man am Mittagstisch aktiv werden muss und was das Kind selbstständig managen kann. Fundamental ist, die Berechnung von Kohlenhydraten und die damit zusammenhängende Insulingabe zu erlernen. Dabei erhalten die Kinder keinen speziellen Ernährungsplan, es bedarf lediglich der richtigen Gewichtung unterschiedlicher Nährstoffquellen. Zu wissen, dass Eltern und Experten bei Unsicherheiten jederzeit zur Verfügung stehen, vermittelt zusätzliche Sicherheit. Zudem besteht die Möglichkeit, dass Diabetes- und Ernährungsberater:innen vor Ort Erzieher:innen schulen. Auch der Unterricht von Gruppen in der Zentrumpraxis oder bei der Diabetesgesellschaft ist Bestandteil des Angebots im Umgang mit Diabetes bei Kindern. «Wir sind gerade dabei, das Personal einer Kita von einem dreijährigen Kind zu schulen, und alle sind engagiert und kooperativ bei der Sache. Das Kind wurde mit offenen Armen empfangen und wir stehen während der Eingewöhnung im ständigen Dialog mit der Einrichtung», erklärt die Diabetesfachberaterin Eliane Brühwiler.

 

Insulinpumpen vereinfachen, Diabetesmanagement

Doch nicht alle Betreuer:innen finden sich so gut in die neue Situation ein. Gelegentlich herrscht auch Respekt vor der medizinischen Verantwortung. Umso wichtiger ist es, Ängste zu minimieren und aufzuzeigen, dass das Kind ab einem gewissen Alter selbst viel übernehmen kann und sich der zeitliche Aufwand in Grenzen hält, gerade bei den viel verbreiteten Insulinpumpen. Hier kann das Kind zum Beispiel ein Handy in der Brusttasche tragen und so sind nicht nur die Betreuer:innen, sondern auch die Eltern in der Lage, aus der Ferne den Blutzucker in Echtzeit zu verfolgen. Dr. Tiziana Gozzi Graf merkt an: «Immer wieder sind wir auch psychologische Berater, wenn es darum geht, das Diabetesmanagement zu begleiten. Das Ziel, ein Kind zu integrieren und vertrauensvoll mit den Eltern zu agieren, sollte allen Bedenken übergeordnet sein. Wenn man sich bewusst macht, dass eine Unterzuckerung mit der Gabe von Traubenzucker reguliert werden kann, relativieren sich viele Ängste.»

Keine Angst vor Ausgrenzung

Es kommt vereinzelt auch vor, dass Eltern die Ausgrenzung ihrer Kinder fürchten und mit der Kommunikation gegenüber Lehrpersonen zurückhalten. Ernährungsberater Mike Dähler, der selbst seit seiner Jugend mit Diabetes Typ 1 lebt, macht Mut: «Oft sind die Kinder mit Diabetes eher die Coolen, je nachdem wie ein Kind mit dem Diabetes umgeht. Denn nicht jeder hat einen Roboter-Knopf am Arm», so Dähler augenzwinkernd. Er betont: Diabetes sei ernst zu nehmen, dürfe aber nicht in den Vordergrund gestellt werden. Es gehe vor allem darum, eine gewisse Portion Leichtigkeit nicht aussen vor zu lassen.

 

 

Tipps für Eltern

 

  • Sehen Sie die Betreuungseinrichtung als Partner.
  • Informieren Sie so kurz und sachlich wie nötig.
  • Schüren Sie nicht unnötig Bedenken.
  • Ermutigen Sie die Lehrperson, Sie jederzeit zu kontaktieren.
  • Bieten Sie eine medizinische Schulung an, die Sie selbst oder ein/e Diabetesfachberater:in und/oder ein/e Ernährungsberater:in durchführen.
  • Informieren Sie, dass Lehrpersonen in Gruppen in der Zentrumpraxis oder bei der Diabetesgesellschaft geschult werden können.
  • Versuchen Sie, Ihr Kind schnell vertrauensvoll und selbstständig in den Alltag zu entlassen.
  • Versorgen Sie Lehrpersonen mit Traubenzucker.
  • Entbinden Sie Ärzte gegenüber der Betreuungseinrichtung von der Schweigepflicht.

 

AutorIn: Dr. phil. Nicole Seipp-Isele