Vreni Ritschard erfuhr in ihrem Berufsleben am Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) immer wieder, wie stark Kinder sein können. Auch dann, wenn sie lernen müssen, mit Diabetes umzugehen.

 

 

Die Diabetesfachberaterin Vreni Ritschard ist für unzählige Kinder, Jugendliche und deren Eltern eine wichtige Bezugsperson. Sie erzählt von ihrer Arbeit am Kinderspital Basel.

 

«Wenn es nicht mehr weh tut, darüber zu reden, dann ist der Diabetes beim Kind und bei den Eltern, ja, in der Familie angekommen.» Vreni Ritschard wurde schon oft von Müttern und Vätern gefragt, wie lange es dauern würde, bis man die Krankheit akzeptiere. «Ich weiss es nicht, das ist für jeden Menschen anders. Die fachlich kompetente und einfühlsame Begleitung hilft, den Diabetes annehmen zu können und gut damit zu leben. Aber es liegt nicht allein an der Begleitung, die Betroffenen müssen auch selbst viel dazu beitragen.» Vreni Ritschard arbeitete als Diabetesfachberaterin am Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB). Dort hatte sie ihre Berufslaufbahn als Kinderkrankenschwester begonnen und später auf die Notfallstation gewechselt, bevor sie 2004 auf die endokrinologische Abteilung kam und sich zur Diabetesfachberaterin weiterbildete. Als Mitarbeiterin eines gut eingespielten Teams mit Ärztinnen und Ärzten, Pflegenden und weiteren Fachpersonen begleitete sie unzählige Kinder und Jugendliche am UKBB. Nachdem sich der Diabetes manifestiert hat, verbringen die jungen Patientinnen und Patienten hier etwa eine Woche, um gesundheitlich stabilisiert und therapeutisch eingestellt sowie in der Anwendung des Insulins geschult zu werden. Später kommen sie regelmässig und meist jahrelang in die ärztliche Sprechstunde, bis sie zur Erwachsenenwelt zählen und den Arzt wechseln müssen. Vreni Ritschard stellt fest, sie sei mit den kontinuierlich betreuten Kindern mitgewachsen. Indem sie ihre Entwicklung miterlebte, aber auch weil sie mit den Kindern und Jugendlichen unschätzbar wichtige Erfahrungen gewann, die sie wiederum anderen Familien mitgeben konnte. Seit kurzem ist Vreni Ritschard pensioniert, bleibt innerlich jedoch weiterhin mit den Kindern und Familien verbunden, die ihr Berufsleben prägten. «Die Kinder faszinierten mich schon immer. Ich erlebte fast täglich, wie unwahrscheinlich stark ein Kind ist. Es heult vielleicht schnell, wenn es stürzt. Aber wie es mit schwierigen Lebenssituationen umgeht, hat mich tief beeindruckt.»

 

« Mami, wenn du dir etwas ganz fest wünschen könntest, was wäre das?» «Dass du keinen Diabetes mehr hast.» Das Mädchen lachte: «Aber weshalb? Es ist doch mein Leben. Du musst einen Wunsch für dich haben, mir geht es gut.»

 

Erst das Kind, dann die Eltern

Das Krankheitsbild des früh auftretenden Diabetes hat sie zu interessieren begonnen und nicht mehr losgelassen, weil es schön sei, die ganze Familie einzubeziehen. Für die Pflegefachfrau, Mutter und Grossmutter ist es wichtig, zuallererst dem Kind zuzuhören, zu ihm das Vertrauen aufzubauen und so die Beziehung zu den Eltern zu finden. Dafür braucht es Fachwissen, ein zuverlässiges Team, Einfühlungsvermögen, Erfahrung, Geduld und manchmal auch die Akzeptanz, dass eine schwierige Situation ausgehalten werden muss. Doch meist zeigt sich auch hier irgendwann eine Lösung. Vreni Ritschard sagt, nach einer Diagnosestellung hätten praktisch alle Eltern das Gefühl, sie seien Schuld an der Erkrankung, und benötigen eine gute Aufklärung. Für die elterliche Betroffenheit spiele das Alter des Kindes keine Rolle. Doch die Patientinnen und Patienten selbst reagierten auf die Diagnose je nach Alter unterschiedlich. «Die Kinder bis im Alter von elf, zwölf Jahren lassen sich leichter darauf ein, da sie noch nicht verstehen, dass der Diabetes für immer bleibt. Das realisieren Teenies hingegen relativ schnell und sind damit beschäftigt, nun anders als die Gleichaltrigen zu sein. Auch für die Eltern ist es schwierig, waren sie doch daran, die Kinder langsam loszulassen. Und nun kommt eine solche Diagnose. Da hat jedes Mami, jeder Papi das Gefühl, das Kind noch mehr beschützen zu müssen. Oft ist das Verhalten des Kindes für die Eltern hilfreich.» Vreni Ritschard berichtet von einem 15-jährigen Mädchen, das selbst sagt, es sei an der Krankheit gereift. Die Mutter schien eher Mühe mit dem Diabetes zu haben, wie die Tochter feststellen konnte, als sie fragte: «Mami, wenn du dir etwas ganz fest wünschen könntest, was wäre das?» «Dass du keinen Diabetes mehr hast.» Das Mädchen lachte: «Aber weshalb? Es ist doch mein Leben. Du musst einen Wunsch für dich haben, mir geht es gut.»

Man darf Angst haben

Das Auftreten des Diabetes kann für jede Familie eine zusätzliche Belastung bedeuten. Vreni Ritschard erinnert sich gut an eine Mutter, die das Beratungsgespräch verweigerte und murmelte: «Ich mache das nicht. Zuhause schliesse ich die Spritzen im Schrank ein.» Es könne nicht sein, dass sie ihren zweijährigen Sohn täglich spritzen müsse. Vreni Ritschard versuchte ihr zu klären, weshalb ihr nichts anderes übrig bleibe. Es stellte sich heraus, dass sich die Frau vor ihrem Mann schämte, weil der Sohn erkrankt war. Der Mann wurde zum Arztgespräch eingeladen und reagierte ruhig. Die Frau hatte eine Reaktion befürchtet, die nicht eintrat. «Es war schön zu erleben, wie sich die Frau danach öffnen und auf die Insulintherapie einlassen konnte. Der Sohn ist inzwischen 16-jährig und managt den Diabetes mit Pumpe und Sensor problemlos.» Beim Spitalaustritt werden die Eltern und die Kinder jeweils ermutigt, das Gelernte daheim umzusetzen und bei auftauchenden Problemen im Spital anzurufen. «Mütter und Väter haben ein gutes Grundgefühl für ihre Kinder, das ihnen mitgegeben wird, wenn sie Eltern werden. Sie müssen nur lernen, mit diesem Bauchgefühl umzugehen. Was aber genauso wichtig ist: Man darf auch Angst haben vor dem Ganzen und sich Hilfe holen.»

Keine diabetesfreie Zeit

Was es wirklich bedeutet, sich rund um die Uhr mit Diabetes zu beschäftigen, erlebte Vreni Ritschard, als sie an einem Sommerlager für diabetische Kinder teilnahm. «Unzählige Male hatte ich am UKBB den Betroffenen erklärt, was Diabetes bedeutet und dass er nicht heilbar ist. Es waren Informationen, die ich weitergab, aber nicht lebte. Im Lager realisierte ich jedoch, was es heisst, keinen Feierabend zu haben. Die Eltern vollbringen eine enorme Leistung.» Vreni Ritschard nahm schliesslich an vielen Ferienlagern teil und sah 2020, wie schmerzhaft es für die Kinder war, dass die Lager aufgrund der Coronapandemie abgesagt werden mussten. «Sie brauchen diese Möglichkeit, eine Zeit mit Gleichgesinnten verbringen zu können, wo der Diabetes nichts Besonderes ist. Und die Eltern erhalten eine Verschnaufpause und erfahren, dass die Kinder auch mit anderen Personen zusammen den Diabetes gut bewältigen können.» Eltern bei der Diagnosestellung ehrlich aufzuklären, ist für Vreni Ritschard selbstverständlich. Der Berg könne für die Eltern auch einmal zu hoch werden oder das Kind könne den Mut verlieren. Als enge Bezugsperson konnte die Fachfrau schon schwierigste Situationen auffangen oder zu psychologischer Unterstützung motivieren. «Wenn die Betroffenen wissen, wohin sie sich wenden können, um über Unsicherheiten und Probleme offen zu reden, dann besteht die grosse Chance, dass der Diabetes gut akzeptiert wird.»

 

diabetesschweiz: neuer Fachbereich «Kinder, Jugendliche & Eltern»

In der Schweiz leben etwa 3200 Kinder und Jugendliche mit Diabetes Typ 1. Für sie und ihre Familien hat diabetesschweiz neu den Fachbereich «Kinder, Jugendliche & Eltern» geschaffen. Mit dem Ziel, sich als Patientenorganisation für die Interessen der Betroffenen einzusetzen und sie in ihrem Selbstmanagement zu unterstützen. Die Bedürfnisse, Fragen und Schwierigkeiten im Umgang mit der Krankheit sind anders gelagert als bei Erwachsenen. Kleinkindalter, Schule, Pubertät, Berufsausbildung sind nur einige Themen, die eine besondere Vertiefung erfordern. Der Fachbereich vermittelt zwischen den Betroffenen, den verschiedenen Interessengruppen und den bereits bestehenden Angeboten – wie beispielsweise am Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) oder am Kinderspital St. Gallen. Mit diesem neuen Angebot wird diabetesschweiz einerseits gewisse Aufgaben von Swiss Diabetes Kids übernehmen, andererseits wird die Zusammenarbeit zwischen den beiden Organisationen intensiviert. Gemeinsam mit jenen, die sich für diabetische Kinder und Jugendliche engagieren, möchte diabetesschweiz neue Dienstleistungen schaffen, Informationen aufbereiten sowie Veranstaltungen durchführen. Ein Schwerpunkt wird die Weiterentwicklung der bestehenden Sommerlager für Kinder und Jugendliche sein.

Weitere Informationen: www.diabetesschweiz.ch

 

AutorIn: Pascale Gmür