Fröhliche Schulkinder rennen durch Gang

Bildung, Gesundheit und Freizeit sind in der UNO-Kinderrechtskonvention als universelle Rechte festgehalten. Kinder haben das Recht, sie einzufordern – der Staat und die Gesellschaft haben die Pflicht, sie zu erfüllen (1). 2019 wurde die Kinderrechtskonvention 30 Jahre alt. Viel Positives hat sich seither entwickelt. Doch Kinderrechte werden auch in der Schweiz permanent auf die Probe gestellt. Wie steht es beispielsweise um das Recht auf Bildung von Kindern mit Typ-1-Diabetes in der Schweiz?

Umfassender Bildungsauftrag
Die Schulzeit ist für Kinder eine wichtige Zeit der Reife und Persönlichkeitsbildung. Die Umsetzung des «Inklusionsgedankens», die Interaktion in heterogenen Gruppen und der Aufbau der eigenen Persönlichkeit sind neben dem Fachwissen wichtige Lernziele. Kinder werden an die Herausforderungen der Gesellschaft herangeführt und müssen lernen, damit umzugehen. Die Anforderungen an Schule und Lehrpersonen sind gestiegen, vor dem Hintergrund des Lehrplans 21 und des gleichzeitigen Lehrermangels sind die Rahmenbedingungen heute anspruchsvoll.
Doch gilt dies auch für andere Bereiche. So sind heute mehr denn je die Anforderungen an Erziehungsberechtigte mit dem schnellen Wandel unserer Gesellschaft und der Digitalisierung verbunden. Der Druck auf Eltern von chronisch erkrankten Kindern, wie beispielsweise Kinder mit Typ-1-Diabetes, ist eine zusätzliche Belastung. Dank einer repräsentativen Umfrage in Deutschland konnte erstmals objektiviert werden, dass seit 2004 die Belastungen durch das Diabetes-Management in den Familien stark zugenommen haben: Die Diagnose eines Kindes zieht psychosoziale Folgen ebenso wie finanzielle Einbussen aufgrund der Reduzierung des Arbeitspensums nach sich (2).

(1) https://www.pestalozzi.ch/de/justitia (zuletzt besucht am 16.12.19)
(2) Umfrage zitiert und erläutert unter https://www.diabetes-kids.de/artikel/kinder-mit-diabetes-typ-1-in-schulen-und-kindergarten-oft-benachtei­ligt-5899 (zuletzt besucht am 4.9.19)

Es lohnt sich deshalb, den Schulen zumindest in dieser Hinsicht klar gegenüber zu treten: Wir sind alle gefordert! An der allgemeinen Systemüberforderung sind weder Einzelne, insbesondere Eltern, «Schuld», wie beispielsweise Frau L, notabene Lehrerin, zu wissen glaubt: «Heutzutage kann man ja eigentlich jedes Problem an die Schule delegieren. So ist es auch ganz einfach, dass beide Elternteile Vollzeit arbeiten können, selbst wenn das Kind gravierende medizinische Probleme oder sonstige spezielle oder auch sehr spezielle Bedürfnisse hat. (3)» Was wird von Eltern chronisch kranker Kinder erwartet? Wäre «Homeschooling» der richtige Weg?

(3) Auszug aus einem Leserbrief auf einen Artikel in der Bz vom 13.5.19, «Diabetiker im Kindergarten – sie fühlen sich im Stich gelassen».

Gesundheitskompetenz als Lernziel
Eine zielführende Perspektive ist möglich, wenn wir den Blick auf die geltende Rechtslage des Kindes lenken: Kinder haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, zur Schule zu gehen. «Homeschooling» als Lösungsmodell zu fordern, erscheint damit nicht nur überflüssig, sondern widerspricht auch dem Bildungsziel der Lehrpläne. Diese arbeiten heute vorrangig kompetenzorientiert – Gesundheitskompetenz sollte hier durchaus eine Rolle spielen dürfen.
Wer Inklusion an Schulen propagiert, sollte in der Praxis auch einen Weg anbieten, die Bedürfnisse diabetischer Kinder im Schulalltag zu integrieren. Betroffene Kinder benötigen etwa bis zum zwölften Lebensjahr Unterstützung während der Schulzeit. Das gilt für das Messen und Interpretieren der Glukosewerte, die Berechnung der Kohlenhydrate beim Essen und der Insulindosis, das Insulinspritzen bzw. die Insulingabe und die Betreuung beim Schulsport und bei Ausflügen.

Mit gutem Recht – diabetische Kinder brauchen Unterstützung
Diabetische Kinder haben dieses Recht auf Unterstützung. Swiss Diabetes Kids ist dem nachgegangen und hat es durch ein juristisches Gutachten von Prof. Gächter, Universität Zürich, bestätigt bekommen. Gewisse Vorgaben haben ausserdem schweizweite Gültigkeit und liegen nicht – wie oft argumentiert wird – in der Hoheit der Schule bzw. des Kantons. Gewisse Player haben aus gutem Willen Richtlinien erstellt. Die Stadt Zürich hat beispielsweise 2013 ein Konzept für den Umgang mit chronischen Krankheiten in der Schule erstellt. Solche Initiativen sind grundsätzlich zu unterstützen. Sie zeigen anderseits, dass Papier geduldig und jedes System nur so gut ist, wie die Personen, die dahinterstehen. Grade in Zürich hat Swiss Diabetes Kids Fälle betreut, die ein schwieriges Licht auf die Schulen werfen. Ein Fall ist besonders aufgefallen, da hatte interessanterweise vor allem der SAD (Schulärztlicher Dienst) keine genügenden Diabeteskenntnisse, was die Integration des Kindes unnötig kompliziert und aufgebauscht hat.
Die Rechtslage ist eigentlich klar. Wichtig sind nun Menschen, die das geltende Recht kennen und im Interesse der betroffenen Kinder und Familien handeln: beherzt, unbürokratisch und mit gesundem Menschenverstand.
Nachfolgend haben wir Informationen und Stellungnahmen zusammengetragen, die helfen sollen, das geltende Recht der Typ-1-Diabetes-Kinder im Schulalltag umzusetzen (4).

(4) Auf unserer Homepage erfahren Sie mehr und ausführliches zum Thema.

1. Kinder mit Diabetes (ohne weitere relevante Einschränkungen) sind normal einzuschulen.
2. Eltern sind für die Therapie ihres Kindes verantwortlich. Sie sind zur Zusammenarbeit mit der Schule verpflichtet und haben diese rechtzeitig zu informieren. Es empfiehlt sich, zusammen mit der Schule einen «Integrationsplan» zu erstellen: Er regelt Zuständigkeiten, enthält wichtige Kontakte und entbindet gegenüber den Mitschülern und Lehrerpersonen von der Schweigepflicht. Auch eine Erklärung zur Verabreichung von Medikamenten ist Bestandteil dieses Plans.
3. Für die medizinische Versorgung während der Schulzeit ist die Schule verantwortlich. Dabei ist die nach den allgemeinen medizinischen (dia­betologischen) Regeln gebotene Versorgung gemeint, nicht aber die optimale Therapie (das heisst: Kein Anspruch auf die perfekte Blutzuckereinstellung). Die Eltern können, gegen ihren Willen, nicht regelmässig in die Versorgung eingebunden werden.
4. Die Hilfestellung bei der Blutzuckermessung und Verabreichung des Insulins ist einer Lehrperson grundsätzlich zuzumuten. Im Notfall muss sie wissen, wie zu messen ist und was zu tun ist. Der regelmässige Beizug der Spitex ist somit nicht nötig und auch nicht zielführend.
– Die vollständige Verabreichung von Insulin per Spritze durch die Lehrperson ist in manchen Kantonen bewilligungspflichtig (z. B. Zürich). Kinder sollten jedoch möglichst bald in der Lage sein, Insulin selbst zu spritzen. Sie sind lediglich auf Hilfeleistung beim Abgeben des Insulins (z. B. Nachkontrolle der Dosis, Helfen beim Rechnen) angewiesen. Diese Hilfeleistungen sind zumutbar.
– Die Verabreichung von Insulin per Pumpe ist schweizweit ohne staatliche Bewilligung erlaubt. Die Lehrperson darf, je nach Kanton, alle medizinischen Massnahmen durchführen.
– Sollten subjektive Gründe einer Lehrperson die Hilfeleistung unmöglich machen (z. B. Phobie vor Spritzen), liegt es in der Verantwortung der Schule, eine Lösung zu finden.
– Die Angst, man könne der Therapie nicht gerecht werden, kann mittels sachlicher Information und kurzer Schulung aufgehoben werden.
– Die Haftungsfrage ist kantonal geregelt. Ein Durchgriff ist äussert selten der Fall und wird nur bei grobfährlässigem Handeln erfolgen. Grundsätzlich sind juristische Schritte, wenn immer möglich, zu vermeiden, weil sie dem Kind meist mehr schaden als nützen.

Ist die Lehrperson gegenüber dem diabetischen Kind und seinen Bedürfnissen offen, ist bereits viel gewonnen. Die Aufklärung der Lehrpersonen ist deshalb zentral. Sollte es dennoch zu Schwierigkeiten kommen, sollten sich Familien oder auch Schulen rechtzeitig externe Unterstützung holen. Swiss Diabetes Kids fordert deshalb auch vom Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer die Ausarbeitung nationaler Richtlinien im Umgang mit chronisch kranken Kindern. Nicht richtig sind Aussagen wie: «das Setzen einer Spritze oder eine individuell angepasste Medikamentenabgabe muss klar von einer medizinisch geschulten Fachperson übernommen werden. Die Lehrperson ist dazu nicht ausgebildet und kann Haftung und Verantwortung nicht übernehmen.» Solche Falschinformationen müssen korrigiert werden.
Für den Schulalltag sieht der Verein auch zahlreiche Möglichkeiten der sinnstiftenden Einbindung der Thematik: Mit einem Blick auf das Blutzuckermessgerät könnte beispielsweise die Anwendung des Dezimalbruchs erklärt werden. Nicht zuletzt hilft die moderne Diabetestherapie auch, die Digitalisierung aus einem praktischen Blickwinkel zu betrachten – nämlich als lebenserhaltende Errungenschaft.