Babys können eine Unterzuckerung nicht signalisieren
Diabetes kann schon im Babyalter auftreten. Bei einem von hunderttausend Neugeborenen wird Diabetes mellitus Typ 1 oder ein monogener Diabetes diagnostiziert. Von der korrekten Diagnose hängt die richtige Therapie ab. Hierfür ist das Baby vollkommen auf sein Umfeld angewiesen.
Früher wurde bei allen Säuglingen mit chronischer Hyperglykämie die Diagnose Diabetes mellitus Typ 1 (DM1) gestellt. Heute wissen wir, dass Diabetes durch verschiedene Faktoren verursacht werden kann, auch durch einen einzelnen Gendefekt (monogener Diabetes). Der monogene Diabetes (MD) macht mindestens 85 Prozent der Diabetesfälle bei Babys unter 6 Monaten und 4 Prozent aller Diabetesfälle bei Kindern aus. Bei Kleinkindern sollte nach der Neugeborenenperiode auch ein MD in Erwägung gezogen werden, wenn die Familienanamnese stark positiv ist, die Autoantikörper des DM1 negativ sind oder andere Krankheiten vorliegen. Es ist wichtig, zwischen den verschiedenen Diabetesformen zu unterscheiden, da die Behandlungen unterschiedlich sind. So werden die meisten Patientinnen und Patienten mit MD mit Tabletten (Sulfonylharnstoffe) behandelt, während es bei DM1 immer Insulin braucht. Bei einem neonatalen Diabetes ist immer eine umfassende genetische Untersuchung erforderlich. Aus diesem Grund wurde ein genetischer Schnelltest entwickelt.
Leicht verkennbare Symptome
Die Merkmale des DM1 sind bei Kleinkindern im Vergleich zu älteren Kindern unterschiedlich. Die klassischen Symptome eines beginnenden Diabetes (häufiges und starkes Wasserlassen, Durst, Gewichtsverlust) können unauffällig und schwierig zu erkennen sein. Bei einem Baby ist ein beginnender Diabetes manchmal nicht von einer akuten Infektion zu unterscheiden (schnelle Atmung, Müdigkeit, Schläfrigkeit, Erbrechen, Durchfall, Dehydrierung, Fieber). Damit steigt das Risiko einer späten Diagnose. Somit weisen die Säuglinge bei der Erstuntersuchung häufiger eine diabetische Ketoazidose (DKA) auf. Bei Kindern unter 2 Jahren ist eine schwere DKA (hohe Ketonwerte, tiefer BlutpH-Wert) sogar dreimal häufiger.
Prinzipien der Behandlung
Wie bei älteren Kindern steht auch bei der Behandlung von Kleinkindern mit DM1 die funktionelle Insulintherapie (FIT) an erster Stelle. Da Kleinkinder häufig und in kaum vorhersehbaren Abständen und Mengen Nahrung zu sich nehmen, muss die Therapie sehr flexibel erfolgen und sich dem Kind anpassen. Möglich wird dies durch den ausschliesslichen Einsatz von schnell wirkenden Insulinanaloga und den systematischen Gebrauch von Insulinpumpen, die den FITKriterien entsprechend eine Basalrate an Insulin abgeben, um den Blutzuckerspiegel zwischen den Mahlzeiten stabil zu halten. Jeder Mahlzeit wird Insulin beigefügt, um den Bedarf entsprechend den zugeführten Kohlenhydraten abzudecken. Zur Berechnung dieses «Essensinsulins» ermittelt man die vom Kind aufgenommene Kohlenhydratmenge. Beim gestillten Kind muss das Gewicht vor und nach der Mahlzeit bestimmt werden, um die Menge der aufgenommenen Milch und somit der zugeführten Kohlenhydrate zu berechnen. Da Kleinkinder ihre Eltern nicht auf eine Unterzuckerung aufmerksam machen können, werden konsequent Glukosesensoren mit Alarmfunktion verwendet, obwohl diese für Kinder unter 2 Jahren nicht empfohlen sind. Diese Sensoren sind kein Ersatz für die kapillare Glukosemessung, das gilt insbesondere bei sehr hohen oder sehr tiefen Werten.
Alltägliche Aspekte
Ein Baby ist ganz auf sein Umfeld angewiesen. Damit Eltern ihr Kind umfassend versorgen können, brauchen sie theoretisches und praktisches Wissen. Dieses können sie sich während des Spitalaufenthalts des Babys aneignen. Danach steht den begleiteten Familien zu Hause eine engmaschige Betreuung durch das Diabetesteam zur Verfügung (anfangs ein- bis zweimal wöchentlich). Ein Hausbesuch einer Pflegefachperson wird stets empfohlen. Wenn das Kind in einer Krippe, von weiteren Familienmitgliedern oder einer Tagesmutter betreut wird, können diese Personen ebenfalls vom Diabetesteam geschult werden. (Wie die Eltern fachlich begleitet werden, ist nicht überall gleich. Hier handelt es sich um die Vorgehensweise des Diabetesteams am Universitätsspital Genf. Anm. d. Red.)
Obwohl neue Technologien wie Insulinpumpen oder Glukosesensoren Vorteile bieten, können sie das Alltagsleben behindern (das Kind tragen oder baden, Windeln wechseln, Spielen mit Geschwistern). Es gibt zahlreiche Hilfsmittel, die den Komfort für das Baby verbessern und dessen besondere Bedürfnisse berücksichtigen: geringer Insulinbedarf, kleine Hautoberfläche, häufige Katheterokklusionen (Verstopfen des Systems), Probleme beim Fixieren, Irritationen der Haut. Um Schmerzen zu vermeiden, sollte vor Einführen des Katheters oder des Sensors eine anästhesierende Salbe aufgetragen werden. Fühlt sich das Kind unwohl, sollten Katheter, Sensor, Fixierung und Einführungsstelle (meist die Aussenseite des Oberschenkels, oberer äusserer Quadrant des Gesässes oder Lendengegend) überprüft werden.
Eltern gut informieren und schulen
Die funktionelle Insulintherapie, therapeutische Schulungen und technische Fortschritte haben viele Verbesserungen gebracht. Die Behandlung von Babys mit Diabetes wird dadurch aber auch komplexer. Zudem beruht ihr Erfolg weiterhin darauf, dass die Eltern des Babys und sein Umfeld gut informiert sind und die vorgeschlagene Behandlung einhalten.