Berner Diabetikerlager 1966

Am 18. Juli 1966 traf sich vor dem Caran d’Ache-Schaufenster im alten Bahnhof Bern eine bunt zusammengewürfelte Schar zu einem Experiment – sie reiste ins erste Berner Diabetikerlager. In den Jahren zuvor hatten die wenigen Kinder, die an Diabetes Typ 1 erkrankt waren und deren Eltern überhaupt den Mut hatten, ihre Sprösslinge vorübergehend in fremde Hände zu geben, bei der Organisation «Pfadfinder trotz allem» Unterschlupf gefunden – zusammen mit körperlich und geistig Behinderten.
Dies sei nicht mehr zeitgemäss, fanden einige Pio­niere. Diabetiker seien weder an den Rollstuhl gebunden noch geistig behindert, und man wolle zuckerkranken Kindern möglichst normale Ferien bieten. Und so nisteten sich also 26 Leute für drei Wochen in der «Chruteren» auf dem Stoos (Kanton Schwyz) ein, unter den Betreuern ein Arzt, eine Krankenschwester, eine Diätköchin, eine Fürsorgerin und – sicher ist sicher – ein angehender Pfarrer. Natürlich gab es zu dieser Zeit noch keine Insulinpumpen, Blutzuckersensoren oder Menu-Apps auf dem Smart-Phone – die Einstellung des Diabetes glich einem Blindflug ohne Kompass. Wer wissen wollte, wie hoch der Blutzuckerwert war, musste sich diesen vom Arzt im Labor bestimmen lassen und erfuhr den Wert erst einige Stunden später. Aus heutiger Sicht also nicht alltagstauglich. Man behalf sich deshalb auch im Lager mit dem «Clinitest»: ­
5 Tropfen Urin und 10 Tropfen Wasser wurden mit Hilfe einer Tablette in einem Reagenzglas zum Kochen gebracht, und die Farbe des trüben Süppchens liess auf den im Urin ausgeschiedenen Zucker schliessen. Und so pilgerten jeweils alle Lagerteilnehmer zu festgelegten Zeiten mit ihren angeschriebenen Plastikbechern zur Toilette und schauten anschliessend mit grossem Interesse, welche Farbe sich im Reagenzglas zeigte. Zweimal täglich machte man diese Übung, dazwischen verliess man sich auf sein Gefühl.
Drei verregnete Wochen lang wurde auf dem Stoos getestet, gebastelt, gewandert, gespielt, und – wie Lagerleiter Andreas Schneiter in der Lagerzeitung schrieb – gesungen. «Trübe blickt der Himmel drein, Nebel steigt vom Tale, Hügel starren grau und klein – man singt und lacht im Saale».
Es seien ausser zwei kleineren Missgeschicken keine ernsthaften Unfälle passiert, heisst es in besagter Lagerzeitung, und «wir dürfen mit freudiger Genugtuung sagen: das Experiment Berner Dia­betikerlager hat sich gelohnt. Mit frischer Kraft werden wir an die Vorbereitung des nächsten Lagers gehen!»
Vieles hat sich in den Lagern seit 1966 geändert, einzelne Bräuche haben aber Jahrzehnte überdauert, und vor allem: Jedes Jahr findet sich wiederum ein Leiterteam, das an die Vorbereitung des nächsten Lagers geht. Im Sommer 2016 feiert das Berner Diabe­tikerlager seinen 50. Geburtstag – Grund für ein grosses Fest.