Kurz vor seiner Pubertät erfuhr der ehemalige Radrennfahrer Oliver Behringer von seinem Diabetes Typ1. Im Interview berichtet er darüber, wie er es trotz und mit dieser Diagnose schaffte, eine Profi-Sportkarriere zu erleben.

Wie wurde dein Diabetes bemerkt?
Meine Diagnose als Elfjähriger verlief einigermassen klassisch. Während des Trainings spürte ich plötzlich eine reduzierte Leistungsfähigkeit. Da meine Symptome jedoch unspezifisch waren, konnten sie auf alles Mögliche geschoben werden. Irgendwann zeigten sich Auffälligkeiten wie häufige Toilettengänge, massiver Durst und Hunger sowie eine Gewichtsabnahme.

Trotz typischer Symptome liess der Arztbesuch monatelang auf sich warten…
Rückblickend deutete damals alles recht deutlich auf die gesundheitliche Problematik hin, doch das liegt in der Natur der Sache. Meinen Eltern fiel die Zuordnung der Symptome schwer, da die Krankheit ihnen nicht sehr geläufig war und ich selbst hatte bis dahin noch nie von Diabetes gehört. Daher gingen wir erst zum Hausarzt, als es mir wirklich schlecht ging. Dort war direkt klar, was los ist und als der Blutzucker aufgrund des zu hohen Wertes per Fingermessung auf dem Gerät nicht angezeigt werden konnte, ging es direkt ins Kinderspital.

Wie hast du diese heftige Erfahrung erlebt?
Für meine Eltern war die Diagnose wohl heftig, auch durch Schauergeschichten meiner Verwandten in Bezug auf Amputationen. Selbst war ich hauptsächlich froh, endlich Linderung zu erfahren. Bis ich die Lage realisierte, dauerte es einige Tage und im geschützten Rahmen des Spitals wurde mir vieles abgenommen. Daher war der schwierigste Schritt meine Rückkehr nach Hause, denn dort musste ich plötzlich alleine klarkommen.

Spürtest du Angst von stark einschränkenden Begleiterscheinungen betroffen zu sein?
Natürlich wurden Risiken erwähnt. Jedoch herrschte offene Kommunikation über die Minimierungsmöglichkeiten und statt Panik zu verbreiten wurde Respekt gelernt. So hatte ich nie wirklich Angst davor.

Du fuhrst die ganze Zeit Fahrrad, doch wie kam es zur Profikarriere?
Die Diagnose erschwerte meinen Jungentraum vom Profisport sehr und da keine Diabetesberatung wirklich Erfahrung mit Leistungssport hatte, erhielt ich die gleichen Informationen wie alle Diabetiker:innen. Im Training war alles kontrollierbar, doch die Rennen stellten eine Extremsituation dar. Plötzlich schwenkte der Blutzucker extrem und ich kannte keine Lösungen. So kam ich erst Jahre nach der Diagnose, als ich das Rennfahren schon aufgegeben hatte, mit dem Novo Nordisk-Team in Kontakt. Zeitgleich mit meiner Ausbildung an der höheren Fachschule für Pflege schöpfte ich dort neue Motivation, erhielt wertvolle Tipps und begann gemeinsam mit dem Team wieder Rennen zu fahren. So fand ich Schritt für Schritt meinen Weg zum Profisport und konnte mich anschliessend per Vertrag fürs Team qualifizieren.

Warum genau das Fahrrad?
Darauf gibt es keine prägnante Antwort. Schon als Kind begeisterte es mich, diesen Sport mit meinem Vater auszuüben. Auf dem Fahrrad erlebe ich fast schon meditative Freude, auch bei mehreren Trainingsstunden am Tag. Das Kopflüften hilft, so dass mir meine besten Ideen oder Ansätze ebenfalls auf dem Fahrrad kommen.

Auf was musst du im Gegensatz zu gesunden Sportlern achten?
Grundsätzlich versuche ich alles so zu machen, wie Sportler ohne Diabetes. In Bezug auf Ernährung und Training ist erwiesen, dass dies das Beste ist. Es gilt stets auszuprobieren und zu lernen, wie der Körper auf Dinge reagiert. Daran wird das Diabetesmanagement angepasst, etwa beim starken Anstieg des Blutzuckers beim Erreichen der Leistungsgrenze durch Intervalltraining. Nebst den Nachteilen gibt es sogar Vorzüge, wie die konstante Erinnerung an das Essen, etwas, das Sportler:innen sonst gerne mal vergessen. Diese kleinen Vor- und Nachteile gleichen sich aber im Grossen und Ganzen aus.

Du berichtest auf deinem Blog viel über deine Reisen und mit deinem Team bereiste Orte. Gibt es eine Station, die dir am besten gefiel?
Etwas Besonderes, eine einmalige Erfahrung, waren die drei Rennen in Ruanda. Besonders wegen der netten Menschen. Durch die Kooperation mit der Diabetes-Gesellschaft verglichen wir regelmässig die Diabetessituation vor Ort mit der Schweiz und in diesem schönen Land wurde uns klar, wie privilegiert wir sind. Wichtige Medikamente sind bei uns regulär erhältlich und das Niveau, auf dem wir uns über Veränderungen bei Blutzuckermessgeräten beschweren, ist ein sehr hohes. In Ruanda ist man grundsätzlich froh, wenn der Blutzucker jeden Tag gemessen werden kann und Insulin verfügbar ist. Mit der zum Team gehörigen Type1-Foundation betrieben wir danach einige Jahre wichtige Lobbyarbeit und transportierten mit Firmen Teststreifen und Messgeräte. Dadurch war für alle die mehrfach täglich Blutzuckermessung für vier Jahre garantiert.

Ihr konntet also Aufklärungsarbeit leisten?
Zusätzlich zu den Menschen, die jeweils dafür mit dabei sind, stellte der liveübertragende Radiosender unser Team vor. 2018, bei unserer ersten Teilnahme, wurden wir gefragt, was wir als Diabetiker da wollen. Mit einem Etappensieg und täglich guten Resultaten lieferten wir die beste Antwort und David Lausano, unser Etappensieger, ist jetzt dort berühmt. Es ist schon cool mitzuerleben, dass es dadurch nun in Ruanda kein Thema mehr ist, mit Diabetes Sport zu machen.

Gab es aufgrund des Diabetes besondere Herausforderungen?
Etwas Unlösbares oder Kompliziertes erlebte ich nie. Klar, den Umgang mit der Zeitverschiebung musste ich lernen. So etwa, dass mein Blutzucker bei Flügen Richtung Osten hoch und gen Westen eher tief ist. Neben dem sonstigen Stress für den Körper war das immer eine Herausforderung. Sonst ging es mir wie anderen Sportler;innen, die im Ausland unterwegs sind, und ich hatte Schwierigkeiten, kurz nach einem langen Flug mit Zeitverschiebung die eigene Topleistung abzurufen. Diabetes erschwert das noch. Allgemein gilt, dass Diabetiker:innen unabhängig von der Rennsituation mit dem Essen keine fünf Minuten warten können, wenn sie Energie benötigen. Da gibt es keine Kompromisse, selbst wenn ich zu planen und abzuschätzen lernte, wohin der Blutzucker geht und Gegenmassnahmen ergriff. Doch es gibt wie bei vielem anderen in diesem Sport ziemlich gute Möglichkeiten durch Teamarbeit enorm Kraft zu sparen.

Du gingst nach deiner Sportkarriere in deinen alten Beruf als Pflegefachmann. Inwieweit profitierst du heute von deiner Vergangenheit als Profifahrer?
Extrem stark und es ist schön für mich, dass diese Ressourcen nun Menschen unterstützen können. Zum einen lernte ich durch meine Sportkarriere viel über Diabetes und bin heute Ansprechperson Nummer eins beim Verdacht darauf. Zum anderen eignete ich mir als Sportler gewisse Fähigkeiten an, die helfen. Etwa (Selbst-)Disziplin, Eigenverantwortung und den konstanten Glauben, das Richtige zu tun, auch dann, wenn das Resultat nicht direkt zu sehen ist. Im Rennen begegnet man einer Stresssituation, in der man ruhig und flexibel bleiben muss und es gilt, in neuen Situationen passende Lösungen zu finden. Das sind definitiv alles Aspekte, die in der Pflege helfen und ich kann diese Erfahrung im Spitalalltag sinnvoll einsetzen.

Inwieweit profitieren Patient:innen im Spital von deiner eigenen chronischen Krankheit?
Grundsätzlich wissen die meisten Betroffenen selbst bereits gut, wie ihr Körper mit Diabetes funktioniert und es gilt auch im Spital, möglichst viel selbst zu übernehmen. So profitieren sie eher indirekt von meiner eigenen Betroffenheit. Wertvoll sind jedoch meine eigenen Kenntnisse zu Entzündungen, die ich durch den Rennsport gesammelt habe.

Mit elf Jahren bekamst du die Diagnose eher früh. Was würdest du aufgrund dessen Kindern, Jugendlichen und deren Eltern raten, die von Diabetes Typ 1 oder 2 betroffen sind?
Für die Sicherheit und Leistungsfähigkeit gilt es immer die Werte zu kennen. Besonders wenn eine Sportlaufbahn angestrebt wird, ist die kontinuierliche Blutzuckermessung das A und O. Ebenfalls lohnt es sich dann, auf Sport spezialisierte Diabetolog:innen und Diabetesberater:innen zu konsultieren, da es unerlässlich ist, dass die Menschen an der Seite wissen, worüber man berichtet.

Neben den Nieren und Augen gilt es bei Diabetes besonders auf die Füsse zu achten. Gab es für dich da etwas speziell zu beachten oder spielte das bei dir während der Karriere als Radprofi keine Rolle?
Doch, klar. So ist etwa wichtig bei der ärztlichen Visite regelmässig die Sensorik kontrollieren zu lassen. Ansonsten ist es wie bei jedem Menschen vorteilhaft, auf den Körper zu achten. Die Füsse gehen im Alltag oft unter: Indem man sie regelmässig auf offene Stellen überprüft, kann man sich einen schlechte Zustand mit geringem Zeitaufwand kostenlos ersparen,.

Würdest du heute trotz Diagnose den Traum der Sportkarriere verfolgen?
Mir wurde als Kind gesagt, dass es keine Möglichkeit gibt, meinen Wunsch zu realisieren. Heute habe ich das Gegenteil bewiesen, daher: Egal, wer du bist und welchen Traum du hast; bleib dran, auch wenn es – etwa in der Pubertät – mal schwierig ist.