Schlafen ist lebenswichtig. Etwa einen Drittel unseres Lebens verbringen wir schlafend, um uns vom Erlebten zu erholen und uns für das Kommende zu stärken. Die Berichte in diesem «Fokus» und im «Wissen» widmen sich den vielschichtigen Aspektendes Schlafens, aus medizinischer und aus ganz persönlicher Sicht.

 

Weshalb der Schlaf lebenswichtig ist, das erläutern:

Dr. med. Iraida Pisarenco,

Neurologin, Oberärztin am Zentrum für Schlafmedizin des Luzerner Kantonsspitals (LUKS).

 

Dr. med. Urs Bürgi,

Leitender Arzt Schlaflabor am Zentrum für Schlafmedizin des Luzerner Kantonsspitals (LUKS).

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Was geschieht mit uns im Schlaf?

Schlafen ist gleich wichtig wie Essen, Trinken oder Atmen, auch wenn die Folgen eines fehlenden Schlafes nicht sofort sichtbar werden. Ohne Schlaf können die Menschen nicht leben oder funktionieren, zwei Wochen ohne Schlaf können tödlich sein. Schlaf ist eine Art komplexer Stoffwechselzustand des Körpers und des Gehirns, der ein körperliches und mentales «Aufladen» erlaubt. Der Schlaf bringt uns Erholung und kann als «Vorbereitung» für den kommenden Tag verstanden werden. Bei Kindern ist der Schlafprozess auch für die Entwicklung und das Wachstum von Relevanz. Von aussen gesehen hat der Schlaf einen sehr passiven Aspekt, in Wirklichkeit trifft eher das Gegenteil zu; die Prozesse im Gehirn sind dynamisch und je nach Schlafphase aktiv. Zum Beispiel werden Emotionen und Tageserlebnisse in der sogenannten REM-Schlafphase (von Rapid Eye Movement‚ rasche Augenbewegung) verarbeitet.

Der Schlaf scheint eine fragile Angelegenheit zu sein.

Da der Schlaf lebenswichtig ist, haben wir einen starken inneren Drang zu schlafen. Wir reden also besser von einem grundlegenden Bedarf und weniger von einer «Angelegenheit». Auf der anderen Seite ist der Schlaf fragil bezüglich Quantität und Qualität. Den fragilsten Teil stellt der Übergang vom Wach- zum Schlafzustand dar. Wir kennen dies alle: Wenn wir aufgeregt, aufgewühlt, freudig oder angespannt sind, dann fällt uns das Einschlafen schwer.

Welche Bedeutung hat der Schlaf für den Stoffwechsel?

Der Zusammenhang des Schlafes mit dem Stoffwechsel ist vielschichtig. Die Forschung zeigte beispielsweise bei längerem Schlafmangel, dass es zu Gewichtszunahme, Appetitstörung (gesteigertem Appetit) und erhöhten Blutzuckerwerten («Prädiabetes ») kommt. Eine schlechtere Blutzuckerkontrolle konnte auch bei einem verminderten Anteil von Tiefschlaf aufgezeigt werden. Dies kann zum Beispiel bei einem unbehandelten Obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom* der Fall sein.

* Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (OSAS):

Ein OSAS liegt vor bei repetitiven Atempausen aufgrund von vorübergehend in sich zusammenfallenden oberen Atemwegen während des Schlafes. Die verschlossenen Atemwege öffnen sich mit einer Weckreaktion wieder, verbunden mit einem lauten Schnarchen. Die Schlafenden merken oft selbst nichts von dieser Atmungsstörung, die Schlafqualität ist aber deutlich vermindert.

Benötigen Menschen mit einer chronischen Erkrankung besonders viel Schlaf?

Nicht alle chronischen Erkrankungen beeinflussen den Schlafbedarf. Typische Beispiele von Menschen mit erhöhtem Schlafbedarf sind Dialysepatientinnen und -patienten sowie Personen mit fortgeschrittener Herzschwäche.

Gedanken können uns plötzlich wecken … …

Gedankenkreisen oder Grübeln verhindert eher das Einschlafen oder Wiedereinschlafen. Man kann sich nicht entspannen und kann nicht abschalten, das Gehirn ist noch «beschäftigt». Das führt zu einem eher oberflächlichen Schlaf, aus dem man leicht erwacht.

Spezifische Aspekte des Schlafes bei Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 …

… wurden kürzlich im Rahmen der Standards of Medical Care der American Diabetes Association zusammengetragen. Es wurden mehr als 60 Studien zusammengefasst. Die einzelnen Studien unterscheiden sich erheblich, da verschiedene Altersgruppen und verschieden grosse Patientengruppen untersucht und vor allem verschiedene Methoden (z. B. reine Befragungen oder aufwendige apparative Messungen) angewandt wurden. Die Aussagekraft der Untersuchungen ist in der Summe also eingeschränkt. Trotzdem konnte gezeigt werden, dass bei Erwachsenen die Schlafqualität bei Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 (DM1) schlechter war als bei Patientinnen und Patienten ohne Diabetes. Und umgekehrt war das HbA1c signifikant höher bei schlechter Schlafqualität.

Die selbstdeklarierte Schlafdauer unterschied sich nicht zwischen Personen mit oder ohne DM1. Unter den Diabetikerinnen und Diabetikern war aber eine schlechtere Blutzuckerkontrolle mit einer kürzeren Schlafdauer assoziiert. Mehr als die Hälfte der erwachsenen Patientinnen und Patienten mit DM1 hatten (unabhängig vom HbA1c) mindestens eine leichte, rund ein Sechstel eine mittelschwere bis schwere Schlafapnoe (Atemaussetzer im Schlaf). Beim Vorliegen einer Schlafapnoe sind zudem mehr diabetesassoziierte Komplikationen aufgetreten. Die Daten beschreiben den Zustand einer definierten Gruppe zu einem bestimmten Zeitpunkt. Die Ursachen für die Zusammenhänge bleiben offen. Eine routinemässige Schlafuntersuchung bei DM1 ist wohl nicht indiziert. Bei typischen Beschwerden wie nicht erholsamem Schlaf, Tagesschläfrigkeit, Konzentrationsstörungen oder morgendlichen Kopfschmerzen sollten aber bei jeder Patientin, bei jedem Patienten der Schlaf und insbesondere die Frage nach einem Schlafapnoe-Syndrom thematisiert werden. Als «Screening-Tools» für das Vorliegen eines Obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms gibt es verschiedene, validierte Fragebogen. Eine Weiterweisung, beispielsweise in eine pneumologische Sprechstunde, macht dann Sinn.

Dr. med. Urs Bürgi

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Verkabelt und beobachtet – eine Nacht im Schlaflabor

Text: Christian Lüscher

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Die Startszenerie hätte in einen Tatort-Krimi gepasst. Es war eine kalte Winternacht, eine entfernte Kirchenuhr schlug 22 Uhr. Von der Aare zogen ein paar Nebelfetzen herauf. Ich stieg auf dem fast leeren Parkplatz aus dem Auto, schlug den Jackenkragen hoch und begab mich ein kurzes kurviges Strässchen hinunter zum Eingang des Schlaflabors. Ziel des «Abenteuers» war es, eine Erklärung für meine Müdigkeitsattacken tagsüber zu finden – vielleicht stammten sie von unbemerkten nächtlichen Atemaussetzern. An der Eingangstüre zur Klinik suchte ich den richtigen Klingelknopf, läutete und zog mir eine Maske über. Wenige Augenblicke später öffnete mir eine ebenfalls maskierte Frau die Türe und liess mich eintreten. So begann meine Nacht im Schlaflabor, unter Corona-Bedingungen.
Zwei Pflegefachfrauen begrüssten mich freundlich, zeigten mir mein «Schlafzimmer» und liessen mir Zeit zum Umziehen. Dann gingen sie gemeinsam an meine Verkabelung. Über 20 verschiedene Drähte wurden angeschlossen, präzis platziert an Kopf, Brustkorb oder Waden. Eine Art Betonpaste sorgte dafür, dass sich die Elektroden nicht von der Haut lösten, und nach einer Stunde war das Werk vollbracht. Die Drähte von meinem Körper wurden in einem Mehrfachstecker zusammengeführt, der in die Wandbuchse eingeklinkt wurde. Somit musste nur die Verbindung zur Wand gekappt werden, sollte ich zur Toilette gehen. Dann wünschten mir die Pflegefachfrauen eine gute Nacht, löschten das Licht und beobachteten meinen Schlaf über eine Nachtsichtkamera im Büro nebenan. Dort wurden auch meine Bewegungen, Hirnaktivitäten, Herzschläge usw. mit Kurven und Zacken erfasst. Als eine Mischung aus verkabelter Marionette und Frankensteins Monster lag ich also im Bett, und wider Erwarten konnte ich bald einschlafen – immerhin war schon fast Mitternacht. Der Schlaf war zwar nicht gerade das, was man sich in der Regel erträumt, aber weit besser als ich ihn mir unter diesen Umständen vorgestellt hatte. Jedenfalls störten mich die Drähte nicht merklich, und nur einmal musste eine Messelektrode neu angekleistert werden, weil ich sie fortgerissen hatte.
Als eine Mischung aus verkabelter Marionette und Frankenstein Monster lag ich also im Bett.
Kurz nach 6 Uhr war diese spezielle Nacht schon vorbei, der Besuch im Schlaflabor hingegen noch lange nicht. Nach dem Morgenessen – ohne meinen geliebten Kaffee, der das Resultat verfälscht hätte – ging es weiter mit Tests und angeordneten Nickerchen. Bereits um 9.30 Uhr legte ich mich auf Anweisung wieder eine halbe Stunde zu Bett, und die Messgeräte nebenan verzeichneten minutengenau, ob und wann ich wieder einnickte. Angesichts der doch eher kurzen Nacht überfiel mich der Schlaf nach wenigen Minuten erneut.
Zwei Tests brachten in mein Schlaf-Wach-Intervalltraining etwas Abwechslung. Der erste fand an einem Computer- Fahrsimulator statt, wo ich mit dem Steuerrad einer kurvigen Strasse auf dem Monitor nachfahren musste und daneben auf Zahlen achten respektive bei bestimmten Zahlen einen Knopf drücken sollte. Lag es am wackligen Steuerrad, das mal wieder nachgestellt werden müsste, oder am schlechten Schlaf? Jedenfalls schnitt ich einige der Kurven relativ giftig, bei anderen hätten die Reifen eines echten Autos wohl ziemlich gequietscht. Der zweite Test, nach weiterem Nickerchen, bestand darin, eine Viertelstunde lang auf einen roten Punkt zu starren. Dabei wurden meine Pupillen beobachtet und meine Wachheit oder Schläfrigkeit notiert.
Kurz nach 16 Uhr war Ende der Übung. Ich wurde sorgsam von allen Drähten und Andockpunkten befreit und konnte mir unter der Dusche die betonartigen Klebstellen aus den Haaren waschen. Die Computerdaten gingen zur Auswertung an einen Schlafspezialisten – und es sollte sich herausstellen, dass mein Atem tatsächlich mehrmals pro Stunde stockte, was aber nicht aussergewöhnlich sei und nur teilweise meine Tagesmüdigkeit erkläre. Wir suchen weiter … Nach dem «Abenteuer» schlief ich so gut wie schon lange nicht mehr.
AutorIn: Pascale Gmür, Dr. med. Urs Bürgi, Christian Lüscher / Fotos: Maurice K. Grünig / Portraitfotos aus Privatarchiv