Die näher rückende Pension wird plötzlich unerwünscht durch stetig steigende Blutzuckerwerte begleitet. Darauf folgt kurz nach Renteneintritt die Diagnose Typ 2: Schlechter Witz oder doch neue Chance?

«Es kommt oft nicht, wie ich plane. Aber am Ende ist immer alles gut.» Dieses Fazit galt bei Rosette Schaub schon immer, doch was viele Menschen kennen, betraf auch sie: Die Pensionierung rückte näher, gleichzeitig lagen ihre Blutzuckerwerte bei ärztlichen Routineuntersuchungen an der oberen Grenze. Da bereits ihr Ehemann Diabetes hatte und er insbesondere auf Reis extrem reagierte, meidet sie diesen fortan, genau wie Nudeln. Ebenfalls integriert sie die Schätze aus geliebten Gartenparadies noch gezielter in der Küche. Ansonsten blieb in ihrem Alltag das meiste gleich, denn die bisweilen unkonkreten Tipps zum Umgang mit dem Diabetes machten es ihr leicht, sich irgendwie «durchzuschlängeln». Schwebezustände sind für die tatkräftige Rosette jedoch langfristig keine Option und als sie vor einigen Monaten, inzwischen 71-jährig, die Diagnose Diabetes Typ 2 erhielt, stellte sie sich dieser Tatsache bewusst. Selbst der Termin beim Facharzt ist für sie kein Grund, nervös zu werden. Einzig die Nebenwirkungen ihrer aktuellen Medikamente ärgern sie etwas, da diese ziemlich unerwartet sind. Ansonsten ist für sie Diabetes ohne Spritze kein Diabetes. Ihre Meinung wird durch eigene Erfahrungen geprägt, denn ihre 84-jährige Schwägerin und ihr zweiter Partner zeigten beide Auffälligkeiten im Zusammenhang mit zu viel Insulin. So fand Rosette ihren Partner nach der Arbeit manchmal bewusstlos vor und die damit verbundene Angst, dass ihn die Gabe von Honig eines Tages nicht mehr retten könnte, belastete sie. Dann starb er vor fünf Jahren plötzlich an einem Herzinfarkt – ähnlich wie bereits ihr erster Mann, der an ihrem 45. Geburtstag mit ihr bis nach Mitternacht feierte und am Morgen plötzlich tot war. Die Ironie des Schicksals zeigte ihr also wiederholt, wie wenig sich das Leben an Pläne oder Ängste hält.

Wenn das Leben Zitronen reicht, können diese zur Dekoration genutzt werden

Vom Mitleid anderer will sie bis heute nichts wissen und fragt sich lieber: «Was machst du jetzt, Rosette? Versinkst du im Mitleid oder gibt es für dich eine neue Chance?» So orientierte sie sich etwa nach dem Tod ihres ersten Mannes beruflich komplett um, wechselte vom Kindergarten in die Psychiatrie, später wurde sie Aktivierungstherapeutin, war auch in leitender Funktion tätig. Komme was wolle, sie gestaltet aktiv ihr eigenes Leben. Wie gross der Einfluss des eigenen Geistes auf Herausforderungen ist, lernte die Wahl-Solothurnerin aktiv und sie hält viel davon, Theorie in der Praxis anzuwenden. So arbeitet sie bis heute voller Herzblut in ihrem Beruf. Als junge Frau startete sie den Versuch freiberuflich zu arbeiten, lastete sich daneben jedoch ehrenamtlich so stark aus, dass es für sie keinen Sinn mehr ergab. Darauf folgte erneut eine Anstellung, bei der sie wiederum mit ganzem Elan dabei war und immer noch ist, inzwischen mit ehrenamtlichen Stunden beim vormaligen Arbeitgeber.

Sauer ist immer noch süss genug

Wo früher das Sammeln von Ideen für die Arbeit reichlich Raum einnahm, sammelt Rosette heute etwa in netter Gesellschaft im eigenen Garten frische Johannisbeeren. Die Nähe zum persönlichen Umfeld ist ihr besonders wichtig. Als sie vor einiger Zeit nicht mehr «funktionsfähig» war, übernahmen ihre Freundinnen das Zepter. Eine Operation an der Achillesferse stellte für sie, die bis 70 nie im Spital war, ein Novum dar. Dazu folgten statt geplanter fünf Wochen über sechs Monate, in denen sie nicht mobil war, ein Vierteljahr sogar im Rollstuhl. Heute macht die Ferse zwar immer noch Probleme, doch das ist für Rosette keine Ausrede, sich weniger zu bewegen. Denn: «Es ist, wie es ist, oder?» Persönliche Tiefs erachtet sie als normal und fand soliden Umgang damit. Jeden Tag setzt sie sich Ziele, um emotionale Ausschläge, unabhängig der Richtung, zu vermeiden. Extremen Stimmungsschwankungen entgeht sie durch fixe Termine und die dadurch erlebte Vorfreude, etwa auf beinahe tägliche Spaziergänge mit Kolleginnen, die Arbeit in ihrem Garten, den Einsatz im Alters- und Pflegeheim, beim AquaFit-Kurs von diabetessolothurn und zwei Mal wöchentlich während des Krafttrainings im Fitnesscenter, das je nach Motivation mit Ausdauertraining ergänzt wird. Dazu kommt ihr monatliches Pétanque-Spiel, von dessen gesundheitsfördernder Wirkung bereits Hippokrates sprach. Das Spiel ohne Anlauf wirke auf den ersten Blick harmlos, meint sie.

Jeden Tag setzt sie sich Ziele, um emotio-
nale Ausschläge, unabhängig der Rich-
tung, zu vermeiden.

Doch das «Bücken und Heben» bringt ständige Bewegung und durch Turniere kommt spannende Abwechslung in den Alltag, so das Fazit der rüstigen Oberbaselbieterin. Pragmatisch behandelt sie bis zum Termin mit dem Diabetesspezialisten aktuell auch ihre Zuckerwerte, welche sie sporadisch morgens misst. Das richtige Mass zu kennen, gelte besonders an aussergewöhnlichen Tagen, etwa beim letzten Turnier oder dem nachbarschaftlichen Gartenfest. Gerne geniesst Rosette weiterhin ein Apéro, auch mal gefolgt von einem Stück Wähe und einem Schluck Wein, gleicht derlei Eskapaden am nächsten Tag aber sehr bewusst aus. Ausgewogenere Balance zu finden und zu halten, ist eines ihrer nächsten Ziele. Ansonsten lässt sie sich vom Diabetes nicht vorschreiben, wie sie ihre Tage zu gestalten hat. Schliesslich seien viel zu viele Menschen von dieser Erkrankung betroffen, wo führe das denn hin, wenn sich alles nur noch darum dreht? Mehr Mühe macht ihr hingegen das Alleinsein, besonders abends, wo es dann schon mal ein Trösterli gibt, etwa in Form von Chips. Da könne sie sich bestimmt noch verbessern, aber man dürfe auch nicht vergessen, die Fünfe mal gerade sein zu lassen, so ihr Fazit. Ob ihre Freude und Unbeschwertheit aus ihrem ersten Beruf als Kindergärtnerin resultiert oder die lebensfrohe Rosette von Natur aus flexibel ist: Fakt bleibt, dass die ihr eigene persönliche Lebenseinstellung dabei hilft, den Lebenseventualitäten gelassener entgegenzusehen.

AutorIn: Sabrina Steiner