Text: Sabrina Steiner Bilder: Simona Portmann
Drei unterschiedliche Frauen, verbunden durch ihren Beruf in der Küche und die Diagnose Diabetes Typ 1. Doch funktioniert dieser mit Hektik, Resultat auf Zeit und unverzichtbaren Kostproben verbundene Knochenjob so überhaupt?
Mitten im Leben und plötzlich Diabetes. Genau das passiert immer wieder, auch in der Schweiz. So auch bei Olivia, Hildi und Corinna, die als junge Frauen mit der Diagnose Typ 1 konfrontiert wurden und sich mit der neuen Realität zurechtfinden mussten. Ihre Geschichten sind unterschiedlich und doch irgendwie gleich. Symptome, die einige Zeit auf die leichte Schulter genommen wurden – etwa die tägliche Zufuhr von sieben bis acht Litern Wasser, Konzentrations- und Sehstörungen, massive Müdigkeit. Dann ging alles schnell und war plötzlich anders.
Etwa wie bei Hildi, die versuchte, Mutter zu werden. Nachdem dies erfolglos blieb, führte die Suche nach der Ursache vor dreissig Jahren schnell zum Fazit Diabetes. Dank Behandlung durfte sie bereits zwei Monate später einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen halten.
Die lebensfrohe Hildi lässt sich durch die Diagnose weder beruflich noch privat limitieren. Ob kochen, geniessen, wandern, rennen oder sogar schwingen: Sie macht, wonach ihr ist, unterstützt durch solide Planung und das Know-how ihres Ehemannes, von Beruf Diätkoch. Ihre Arbeit, und besonders die grosse Leidenschaft für die Patisserie, wird seit 15 Jahren durch die Insulinpumpe unterstützt, wodurch auch das Ab- schmecken ihrer Dessertkreationen inzwischen entspannt abläuft.
Als Diabetikerin bringt ihr das Küchenwissen vielleicht einen Vorteil bei der Einschätzung von Kohlenhydraten, meint sie. Umgekehrt würden Schema X und reine Theorie im Kochberuf wenig helfen, da sich alle fünf Minuten eine neue Situation vorfinde sowie immer wieder Kleinigkeiten probiert werden müssten. Das fordere.
«Überall kann man etwas mitnehmen und durch Erfahrung wird man ziemlich weiser.»
Doch die spontan-kreative Hildi kennt in ihrem Arbeitsalltag im Seniorenzentrum Engelhof in Altendorf keine Einschränkung, was ihr bestimmt auch durch eine Extra-Prise an Mut und Pragmatismus ermöglicht wird. Sie liebt es, Neues zu lernen, und wechselt gerne alle paar Jahre ihren Arbeitgeber, arbeitete etwa schon in einer Schule, einem Restaurant und im Catering. In Letzterem gehörten Einsätze von 15 bis 16 Stunden täglich dazu, was ihre persönlichen Grenzen langfristig wahrscheinlich überstiegen hätte. Heute befindet sich Hildi in einer beruflichen Wohlfühlzone. Doch bald wagt sie eine nächste Herausforderung: So freut sie sich, beim künftigen Arbeitgeber die Bewohnenden im Küchenalltag zu involvieren. Den dort geplanten Um- bau würde sie gar in Führungsfunktion mit dem Aufbau einer komplett neuen Küche verantworten. Zwar droht beim Volks-Nein der Gemeinde zum Projekt die Arbeitslosigkeit, dennoch überwogen bei ihren Überlegungen die damit verbundene Chance und ihr persönliches Ja dafür.
«Machsch eifach s‘Beschte drus.» – Hildi
Anders ist der Wunsch von Olivia, die ihre Zukunft am jetzigen Ort sieht. Zum einen stimmen Entwicklungsmöglichkeiten und Umfeld, zum anderen ist sie ihrem Arbeitgeber sehr dankbar für ihre Re-Integration, welche 2016 in den Sternen stand. Als kurz und schmerzvoll betitelt die Köchin dieses Kapitel ihrer Lebensgeschichte: Für sie begann damals eine Reise zurück zu Augenlicht und Muskelkraft. Natürlich begleitet von Ängsten, besonders bezüglich der Zukunft in der Küche. Die einzige «Spätfolge» ist heute glücklicherweise nur der Verzicht auf ihre geliebte sonntägliche Pizza, welche sie nun wieder in alter Form im Traumberuf für andere zubereiten darf. Sie selbst entdeckte neue kulinarische Begleiter, besonders begeistern sie die Entdeckungen von Hanf- und Basilikum-Samen.
«Man darf sich bewusst machen, was man sich zuführt.»
Heute lebt die reisefreudige Olivia deutlich achtsamer, sensibilisiert etwa ihre Arbeitskolleg:innen im Umgang mit Zucker in der Küche. Ihre Experimentierfreude im Bereich genussvolle Zuckerreduktion trägt Früchte, so steht etwa ihr Schoggikuchen inzwischen auf der Karte des Gesundheitszentrums für das Alter Klus Park.
Ebenfalls dank ihrer Diagnose vor 15 Jahren entdeckte die 37-jährige Corinna das Interesse an gesunder
Ernährung. Sie kreierte sich sogar nach beratender Karriere im Bereich IT/Banking ihren neuen Beruf selbst. Als absoluter Genussmensch begann sie mit Lebensmitteln zu experimentieren und teilt die schnellen und gesunden Rezepte auf ihrem Blog SCHÜSSEL- GLÜCK. Besonders wichtig ist ihr, Verzicht zu ver- meiden, weshalb sie etwa weiterhin ihre italienischen Abende geniesst, nun halt mit schwarzer Bohnenpasta statt Spaghetti. Dank vielfältiger Kreativität und enormem Wissensschatz ermöglicht die frischgebackene Mama gut schmeckende Alternativen und mit Lebensmitteln verbundene Gefühlserlebnisse. Beispiele dafür sind etwa ihre Low-Carb-Brötchen oder gesunde Snacks wie selbstgemachte Raffaello-Alternativen.
«Jeder ist anders. Wir müssen nicht herausfinden, was für alle funktioniert, sondern jeder darf schauen, was für ihn gut ist.» – Corinna
«Jeder Tag ist ein neuer Tag, aus dem das Beste gemacht werden kann.»
Um die Blutzuckerwerte im trubeligen Berufs- und Baby-Alltag stabil zu halten, greift sie auf einen bewährten Werkzeugkoffer zurück, der in ihrem Fall bedeutet, genügend zu trinken, sich gesund zu ernähren, täglich Yoga und Meditation zu praktizieren und ihre geschätzten ätherischen Öle einzusetzen. Weitere Infos zu Corinnas Rezepten auf ihrem Blog www.schuesselglueck.de
Die Devise «Es ist jetzt, wie es ist» vereint
Inzwischen ist die Krankheit treuer Begleiter der drei Frauen, von Olivia wird sie sogar als bester Freund bezeichnet. Verbindend ist auch die Dankbarkeit für ihr unterstützendes Umfeld, welche das Leben privat wie beruflich bereichern. Ob mit Pumpe oder Pen, der Tenor bleibt allgemein und ist auch für Menschen ohne Diabetes von Vorteil: «Diabetes ist ein Grundrauschen. Man muss dafür sorgen, dass die eigene Batterie geladen ist und es einem selbst gut geht, damit man andere Sachen überhaupt machen kann.»
«Ich finde es sehr gut, dass der Diabetes in mein Leben gekommen ist.» – Olivia