Zerealien nennen wir die Feldfrüchte, nach der alt­römischen Göttin Ceres. Als Göttin der Fruchtbarkeit war Ceres verantwortlich für ihr Gedeihen. Sie war es, die die damals bekannten Getreidearten aus dem Schoss der Erde wachsen liess. In ihrem Tempel auf dem Aventin, einem der sieben Hügel Roms, wurde alljährlich am 19. April ihr Fest, die Cerealia, gefeiert.

Verschiedene Zerealien

Tabelle Naehrwerte Zerealien
Nährwertangaben: Zwicky AG

Tabelle Naehrwerte Zerealien

Im Alten Rom kannte man Dinkel (oder Spelt), Hafer und Gerste; ebenso Roggen und Weizen. Diese beiden letzteren Getreidearten wurden – wie Horaz berichtet (Quintus Horatius Flaccus, 65 – 8 v. Chr., Oden I), hauptsächlich aus Nordafrika importiert. Denn in der Antike war Nordafrika – heute kaum mehr vorstellbar – die reiche Kornkammer Roms.
Seit jener Zeit wurde und wird die Vielfalt an Zerealien, die wir in unseren Lebensmittelgeschäften finden, immer grösser: im Mittelalter dank den Entdeckungsreisen; in neuerer Zeit durch die Zuwanderung aus Afrika und Lateinamerika. Kolumbus’ Entdeckungen brachten im 16. Jahrhundert den Mais nach Europa. Realisieren wir noch, dass wir nach ihm die Jahrhunderte, die seinen Reisen folgten (er hiess spanisch Cristòforo Colòn), die Kolonialzeit nennen?
Später gelangten, ebenfalls aus Lateinamerika, Quinoa und Amaranth zu uns. Beide sind glutenfrei, dafür reich an Protein. Beide findet man in verschiedenen Lebensmittel-Fachgeschäften nun auch «gepufft» (französisch soufflée), als Quinoa-Pop und Amaranth-Pop. – In Perù, der ursprünglichen Heimat von Amaranth, heisst er übrigens Kiwicha, für den Fall, dass Sie einmal nach Perù reisen. – Sowohl Quinoa- wie Amaranth-Pop sind in unserer Familie im Frühstücksmüesli besonders beliebt. – Und der «Garten-Fuchsschwanz», der in unseren Bauerngärten gelegentlich als Zierpflanze vorkommt, ist übrigens ebenfalls eine Amaranth-Pflanze.
In der frühen Neuzeit und bis zur Gegenwart brachten Zuwanderer aus Nordafrika und dem Nahen Osten ihre Spezialitäten Couscous (Griess aus Hartweizen, Gerste oder Hirse), Sorghum (Sorghumhirse) und Bulgur (vorgekochter Weizen mit anschliessender Trocknung) nach Europa.
Weitere «neue» Getreideprodukte in unseren Lebensmittelgeschäften sind Ebly und Fregola. Ebly sind vorgekochte Getreidekörner und eigentlich bei uns bereits gut etabliert. Und doch fragt mich immer wieder einmal jemand: «Was ist das?» Noch nicht so bekannt sind Fregola, kleine Pasta-Kügelchen (aus Hartweizenmehl und Wasser), die im Ofen geröstet wurden. Sie sind eine sardische Spezialität (von Barilla, Buitoni oder Cecco erhältlich); sie sollen durch ligurische Einwanderer von Tabarka in Tunesien nach Sardinien gebracht worden sein.
Schliesslich sei die Hirse nicht vergessen. Sie gilt als die älteste, auf der ganzen Welt bekannte – fast etwas aus der Mode gekommene und doch so feine – Getreideart. Schon in vorgeschichtlicher Zeit gab es in Zentralasien zahlreiche wilde Sorten. In der Antike wurde Hirse von den Griechen und den Römern angebaut; seit dem Mittelalter auch in Deutschen Landen. Das Althochdeutsche kannte ein sehr besonderes, mit Hirse zusammenhängendes Wort: «hersewoestm», ein Zauberwort, mit dem man «verhextes Land» segnete, um es wieder fruchtbar zu machen.
Im 10. Jahrhundert unserer Zeitrechnung schliesslich erzählte der persische Mystiker Abu Said ibn Abu’l Khan, der im Ursprungsland der Hirse, in Zentralasien lebte, die folgende schöne Legende:
Als Gott die Erde schuf, war sie noch völlig leer. Da füllte er sie ganz mit Hirsekörnern, von Ost nach West und von Nord nach Süd, rund herum. Dann schuf er einen ersten Vogel, den Zaubervogel ­Simurgh, und befahl ihm, alle 1000 Jahre ein Hirsekorn zu fressen. Und als auf der ganzen Erde kein einziges Hirsekorn mehr vorhanden war, nachdem Simurgh alle 1000 Jahre ein Körnchen gefressen hatte, – da war dann wohl der Anfang der Ewigkeit vorbei.

AutorIn: Myrtha Frick